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Diener zweier Herren – ThyssenKrupp und die israelische U-Boot-Korruptionsaffäre

Seit mehr als vier Monaten schon halten die Proteste gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu an. Und das im ganzen Land, über alle politischen Grenzen hinweg. Was Konservative und Linke, Religiöse wie Säkulare eint, ist eine Forderung: Netanjahu muss weg – ein Regierungschef, gegen den drei Korruptionsverfahren laufen, darf nicht im Amt bleiben.

Dem diffusen Bündnis schlossen sich im September in Jerusalem neue Demonstrantinnen an, ausgestattet mit zwei U-Booten aus Pappe, eins pink, eins schwarz, jeweils drei Meter lang, die sie auf Holzbrettern über ihren Köpfen trugen. Mit dieser Kunstaktion wollten sie auf den größten Bestechungsskandal in der Geschichte Israels hinweisen: den Fall 3000, wie ihn die Ermittlungsbehörden nennen. Bei dem erst 2016 durch investigative Journalisten bekannt gewordenen Vorgang geht es um den milliardenschweren Kauf von bis zu vier U-Booten und vier Korvetten aus der Produktion des deutschen Konzerns ThyssenKrupp, sowie um den Verkauf von zwei U-Booten an Ägypten – und das israelische Einverständnis dazu.

Wann genau die israelische Justiz das Gerichtsverfahren wegen Bestechung, Betrug und Geldwäsche gegen neun Politiker, Geschäftsmänner und hochrangige Offiziere, die zum Teil Netanjahu sehr nah stehen, eröffnen wird, ist unklar. Klar ist nur, dass der Regierungschef selbst nicht auf der Anklagebank sitzen wird. Gegen ihn als Verdächtigen wurde nicht ermittelt, obwohl er die Deals mit dem deutschen Rüstungsgiganten gegen alle Widerstände aus dem Sicherheitsapparat forcierte. Ob die Ermittlungsbehörden Netanjahu doch noch ins Visier nehmen werden, soll in den kommenden Wochen vom Obersten Gericht entschieden werden. Die Recherchen einer Antikorruptionsgruppe mit zahlreichen aus Sicherheitsgründen unter Verschluss gehaltenen Zeugenaussagen von Generälen und Diplomaten sollen den Premierminister ernsthaft belasten.

Aber nicht nur Netanjahu, auch die Verantwortlichen in den Führungsetagen von ThyssenKrupp sind bislang von Ermittlungen verschont geblieben. Ob es in Deutschland noch zu einer Anklage gegen den Konzern kommen wird, hängt nicht zuletzt von der Staatsanwaltschaft Bochum ab, in der eine Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität angesiedelt ist. Seit März 2019, als bekannt wurde, dass nach einem zweijährigen „Beobachtungsvorgang“ Ermittlungen gegen ThyssenKrupp aufgenommen wurden, kamen keine neuen Details ans Licht, Anfragen aus der Presse und aus dem Bundestag zum Trotz. Die Ermittler lassen sich Zeit.

Die Vorgeschichte

Um zu verstehen, welche politischen, ökonomischen und geostrategischen Interessen einer gründlichen Aufklärung des Falls im Wege stehen, muss man in die Tiefen der deutsch-israelischen Rüstungsbeziehungen eintauchen. So besitzt Israel bereits eine Flotte von fünf in Kiel gebauten U-Booten der Dolphin-Klasse, die laut mehreren Quellen mit atomwaffenfähigen Marschflugkörpern bestückt sind. Die Bundesregierung genehmigte die Auslieferung der beiden ersten U-Boote und die Übernahme der Kaufsumme Anfang der 1990er Jahre – eine Art Wiedergutmachung für die Beteiligung deutscher Konzerne am Aufbau des irakischen Rüstungsprogramms. So war für die Entwicklung der Scud-Raketen, die Saddam Hussein während des Irak-Kriegs 1991 auf Israel abfeuern ließ, ausgerechnet der damalige Thyssen-Konzern mitverantwortlich.

Wozu aber brauchte Israel, dessen Küste gerade einmal 210 Kilometer lang ist, überhaupt diese hochkomplexen und mit hohen Kosten verbundenen U-Boote, die wochenlang unter Wasser unterwegs sein können, ohne entdeckt zu werden? Die erschreckende Antwort darauf liegt in ihrer atomaren Bewaffnung. In einem Szenario, das den Überlegungen eines Doktor Seltsam aus dem Kalten Krieg entstammen könnte, sollten sie eingesetzt werden, wenn Israel durch feindliche Kräfte völlig zerstört und nicht mehr in der Lage wäre, einen atomaren Zweitschlag aus dem eigenen Land einzuleiten. Eine apokalyptische Vision, die Israels Feinde vor einem Angriff abschrecken sollte.

Dass die Technologie dafür aus Deutschland nicht nur geliefert, sondern mit viel Steuergeld finanziert wurde, berichtete der Spiegel ausführlich im Jahr 2012. Von der folgenden öffentlichen Debatte in der Bundesrepublik blieb vor allem Günter Grassʼ Gedicht „Was gesagt werden muss“ in Erinnerung, in dem er die Rolle Deutschlands als „Zulieferer eines Verbrechens“ beklagte. Dabei kam das eigentliche Thema, die atomare Bedrohung, die von Israel ausgeht, viel kürzer als die angeblichen antisemitischen Untertöne darin. Die Position der Bundesregierung, weiterhin atomwaffenfähige Waffensysteme an Israel zu verkaufen, änderte sich dadurch nicht.

Auf die zwei ersten U-Boote, die schließlich 1999 in Israel angekommen sind, folgte ein drittes ein Jahr danach, dieses Mal nur zur Hälfte von Deutschland finanziert. Alle drei U-Boote sind noch im Einsatz – bis voraussichtlich 2030. Auch wenn Deutschland den Großteil des Kaufbetrags übernahm, belaufen sich die Kosten der Wartung und der von ThyssenKrupp gelieferten Ersatzteile im Jahr auf bis zu 50 Millionen Euro pro U-Boot – eine enorme Belastung für den angespannten Militäretat Israels. Nichtsdestotrotz bestand Israel auf der Lieferung zweier weiterer U-Boote, Nummer 4 und 5, die der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder 2005 genehmigte. Diese wurden nur zu einem Drittel aus Deutschland mitfinanziert, aber mit dem Versprechen der Bundesregierung, Rüstung in Höhe eines weiteren Drittels der Kaufsumme aus israelischer Produktion zu erwerben. Schließlich erreichten die beiden bestellten U-Boote Israel 2014 und 2016. Der Bedarf des israelischen Militärs nach hochwertigen U-Booten schien damit gedeckt zu sein – mit einer Flotte von fünf Stück konnte immer und überall unter dem Meeresspiegel ein israelisches U-Boot auf die Endzeit-Katastrophe reagieren.

Der nützliche Vermittler

ThyssenKrupp jedoch arbeitete weiter daran, seine Waffensysteme an Israel zu verkaufen. 2009, kurz nach dem Sieg Netanjahus bei der Parlamentswahl, trennte sich der Konzern überraschenderweise von seinem langjährigen israelischen Repräsentanten, Yeshayahu Bareket. Den Auftrag, ThyssenKrupps Marinegeschäft als Vermittler exklusiv zu vertreten, bekam Miki Ganor, der heute als Schlüsselfigur der Korruptionsaffäre gilt. Ganor selbst war bis Anfang der 1990er Jahre Offizier bei der Marine gewesen, aber Karriere machte er dann im Ausland im Immobiliensektor. Ein gelungener Quereinstieg, doch wie erklärt sich aufgrund dieses Hintergrunds seine Berufung? Laut dem Entwurf der Anklageschrift soll der damalige Oberbefehlshaber der Marine, Eljezer Marom, heute einer der Beschuldigten in der Affäre, bei ThyssenKrupp auf diesen Personalwechsel gedrängt haben. Walter Freitag, der damalige Chef von ThyssenKrupp Marine Systems, dem Geschäftsbereich für Marinetechnologie, soll mit einer klaren Drohung des Oberbefehlshabers konfrontiert gewesen sein: Ganor als Vermittler oder gar kein Geschäft.

Angesichts seiner Verbindungen in oberste Stellen ist es nicht verwunderlich, dass Ganor für sich eine viel versprechende Vergütung arrangieren konnte – eine Provision von 3,7 Prozent auf die Gesamtsumme jedes zukünftigen Deals mit dem israelischen Militär. Das bedeutet, für jedes verkaufte U-Boot rund 18,5 Millionen Euro, für jede Korvette um die vier Millionen. Außerdem ist es ihm gelungen, sich eine Provision von zwei Prozent für den schon vor seiner Anstellung verhandelten Verkauf des sechsten U-Boots zu sichern. Bis November 2016 hat er schon 10,4 Millionen Euro kassiert.

Für welche Arbeit genau hätte er solche Summen verdient? Die israelische Armee hat eine eigene Einheit, die für den Einkauf zuständig ist und die fachliche Recherche selbst führt. Über Preis und Zeitpunkt wurde zwischen den Regierungen direkt verhandelt. Die israelische Marine hat lange und enge Beziehungen mit ThyssenKrupp, Delegierte der Marine auf der Werft in Kiel eingeschlossen. Worin genau bestanden Ganors Aufgaben dann? Oder besser gefragt, was hatte Ganor anzubieten?

Die Antwort: gute Freunde in Politik und Militär. Besonders nützlich in dieser Hinsicht war eine weitere Schlüsselfigur in der Affäre, David Schimron, Netanjahus privater Rechtsanwalt und Cousin. Heute steht auch er, einer der mächtigsten und bestvernetzten Anwälte des Landes, neben Ganor vor Gericht. Spätestens 2011 hat er sich mit ihm zusammengetan und im April dieses Jahres begleitete er ihn sogar bei einem Besuch im Hauptquartier von ThyssenKrupp in Essen. Compliance-Vorstand Dr. Donatus Kaufmann gab später zu, dass man bei ThyssenKrupp bereits damals sehr gut gewusst habe, wer Schimron war und dass er enge Beziehung zum Premier hatte.

Die sieben fetten Jahre

Und in der Tat, trotz der hohen Provision schien Ganor für ThyssenKrupp eine äußerst profitable Wahl gewesen zu sein. Die plötzliche Vorliebe für Produkte von ThyssenKrupp, die zwischen 2009 bis 2016 zu verzeichnen war, hat sich in vielen seltsamen Entscheidungen manifestiert:

Die Korvetten

So wurde bereits 2009 eine Verwaltungseinheit, die innerhalb der Marine den Kauf von subventionierten US-amerikanischen Korvetten koordinierte, aufgelöst. Ein Offizier berichtete, ihm sei schlicht mitgeteilt worden: „Wir gehen lieber zu den Deutschen. Zu ThyssenKrupp.“ Das war nur die erste Auffälligkeit in einem langen und komplizierten Prozess. Im Sommer 2014 veröffentlichte das israelische Verteidigungsministerium nach vielen Verzögerungen eine Ausschreibung für vier Korvetten – das gewünschte, eher kleine Modell wurde nicht von ThyssenKrupp produziert, südkoreanische Werften bewarben sich für den Auftrag.

Doch ohne Erfolg. So berichtete der damalige Rechtsberater des Verteidigungsministeriums Ahaz Ben-Ari über einen außergewöhnlichen Anruf im Juli 2014 in einer E-Mail, die später der israelische Channel 10 publik machte: „Der Anwalt David Schimron, der ThyssenKrupp repräsentiert, hat mich angerufen. Er möchte wissen, ob wir die Ausschreibung annulieren, um mit seinen Kunden zu verhandeln, wie der Premier gebeten hatte.“ Schimron, als ein Diener zweier Herren, von ThyssenKrupp und von Netanjahu – als solchen haben ihn auch die Militärstellen wahrgenommen. Die Ausschreibung wurde zurückgezogen und die teuren Korvetten aus deutscher Produktion für 430 Millionen Euro angeschafft, ein Viertel davon von der Bundesregierung subventioniert. Die Abmachung war so heikel, dass sich das Finanzministerium weigerte, dem Militär dafür die Gelder freizugeben. Die Summe wurde am Ende, zum ersten Mal in der Geschichte Israels, von einer Privatbank ausgeliehen.

U-Boot Nummer 6

Auf der Tagesordnung der Netanjahu-Regierung stand bereits 2009 auch der mögliche Kauf eines sechsten U-Bootes – eine umstrittene Angelegenheit. Der damalige Generalstabschef Gabi Ashkenazi protestierte vehement dagegen, weil er darin reine Geldverschwendung sah. Fünf U-Boote reichten völlig aus. Trotzdem entschied sich Netanjahu für den Kauf und war sogar bereit, eine Subventionsbedingung der Bundesregierung zu erfüllen und finanzielle Zugeständnisse gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu machen. Der damalige Sicherheitsminister Ehud Barak unterstützte den Deal ebenfalls, auch der Vizechef des Nationalen Sicherheitsrats, Avriel Bar Yosef, spielte bei den Verhandlungen eine wichtige Rolle. Auch er wird sich bald auf der Anklagebank wiederfinden, als Komplize von Ganor.

Der U-Boot-Verkauf an Ägypten

Der Verkauf von bis zu vier U-Booten der Dolphin-Klasse, dieses Mal an Ägypten, ist ebenfalls Teil dieser Geschichte. Seit Jahren gehört es zur inoffiziellen Praxis der militärischen Verbündeten Israels, keine hoch entwickelten Waffensysteme an seine arabischen Nachbarn zu verkaufen, ohne zuvor eine geheime Genehmigung dafür von der Regierung in Jerusalem einzuholen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ging so vor. Nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak 2011 hatte Israel ein Veto gegen einen möglichen Verkauf von U-Booten an das südliche Nachbarland eingelegt. Das Veto des israelischen Militärs blieb unverändert bestehen, auch nachdem der damalige ägyptische Armeechef Abdel Fattah al-Sisi 2013 geputscht hatte und sich ein Jahr danach zum Präsidenten wählen ließ. Dennoch bewilligte die Bundesregierung den Deal.

Das militärische Establishment in Israel war in Aufruhr. Als Israels Präsident Reuven Rivlin 2015 Berlin besuchte, protestierte er gegenüber Merkel. Diese entgegnete, sie habe dafür die offizielle Genehmigung von Netanjahu bekommen. Jahrelang bestritt Netanjahu dies. Erst 2019 gab er zu, aus geheimen Sicherheitsgründen den Kauf genehmigt zu haben, ohne den Verteidigungsminister und den Generalstabschef zu informieren. Welches Geheimnis so wichtig war, ist bis heute unklar. Ein hochrangiger Offizier erklärte als Teil der aktuellen Petition vor dem Obersten Gericht, dass Ganor auch in diese Angelegenheit involviert war und von der Genehmigung des Verkaufs an Ägypten womöglich profitierte.

U-Boote Nummer 7 bis 9

Den geschäftlichen Verbindungen zwischen Israel und ThyssenKrupp tat die Lieferung der U-Boote an Ägypten keinen Abbruch. Im Gegenteil: Beim Ansinnen Netanjahus im Jahr 2015, drei weitere U-Boote zu bestellen, ging es um mehr als eine Milliarde Euro. Der damalige Verteidigungsminister Mosche Jaalon war völlig verblüfft von der Idee und ließ eine umfangreiche Recherche zu den strategischen Bedürfnissen der Armee durchführen. Die Ergebnisse waren eindeutig: Israel brauche keine weiteren U-Boote. Das Verteidigungsministerium, der Generalstab, die Marine und alle relevanten Offiziere waren einer Meinung. Die Initiative war vom Tisch – aber nicht für lange.

Im Oktober 2015 besuchte Netanjahu Berlin. Bei seinem Treffen mit der Kanzlerin eröffnete er ihr den Plan, drei weitere U-Boote von ThyssenKrupp zu bestellen. Die Bundesregierung sollte auch dieses Mal ein Drittel der Summe übernehmen, insgesamt 400 Millionen Euro. Darüber hinaus zeigte er Interesse am Kauf von zwei U-Jagdbooten für die Bekämpfung von U-Booten, die auch ThyssenKrupp herstellt. Als Netanjahu im Februar 2016 abermals nach Berlin reiste, um eine Absichtserklärung mit dem Kanzleramt über den geplanten Kauf zu unterschreiben, bekam Verteidigungsminister Jaalon Kenntnis von dem Vorgang. Er bestand darauf, dass er weder U-Boote noch U-Jagdboote benötige. Als Verteidigungsminister konnte er es nicht hinnehmen, von dieser wichtigen Entscheidung ausgeschlossen zu sein. Medienberichten zufolge war das anschließende Gespräch zwischen den beiden laut und unangenehm.

In das geheime Ersuchen von Netanjahu waren aber womöglich andere Personen eingeweiht. Im Dezember 2015, kurz nach Netanjahus erstem Besuch in Berlin, saßen Ganor und Schimron mit dem deutschen Botschafter in Israel, Clemens von Goetze, in einem Restaurant in Tel Aviv zusammen. Was sie dort diskutierten, weiß man bis heute nicht. Offiziell ist es nur um „allgemeine innen- und außenpolitische Fragen“ gegangen.

Solange Jaalon im Amt war, konnte er die allen Expertenmeinungen nach unnötige Bestellung blockieren, doch im Mai 2016 entließ ihn Netanjahu. Sein Nachfolger Avigdor Liebermann erwies sich als viel entspannter im Bereich Unterwasser, sodass die israelische Regierung im Oktober 2016 einstimmig den Deal absegnete.

Privatisierung der Werft

Die fleißigen Mittelsmänner von ThyssenKrupp beschäftigten sich derweil mit einer langfristigeren Vision: Bei Geschäften mit U-Booten lassen sich nicht allein beim Kauf, sondern vor allem bei deren dauerhafter Wartung hohe Gewinnmargen erzielen. Die Kosten dafür belaufen sich pro Jahr auf rund zehn bis 15 Prozent des Kaufpreises, und das 30 Jahre lang. Waren die israelischen U-Boote bis dahin auf den Werften der israelischen Marine gewartet worden, ergriffen Ganor und Schimron im August 2016 eine neue Initiative. Bei einem Treffen mit Gewerkschaftsvertretern der Werftarbeiter stellten sie einen detaillierten Plan zur Privatisierung der Wartung vor. Der neuen privaten Werft, die sie als „deutsche“ beschrieben, würden militärische Docks übergeben werden. Ob die geplante Werft zu ThyssenKrupp gehören sollte oder zu einem von Ganor geleiteten Tochterunternehmen, blieb unklar. Die Dimension des Projekts, mit den enormen Wartungskosten für die U-Boote, ist hingegen deutlich. Dass es am Ende doch nicht zu einer Privatisierung kam, liegt höchstwahrscheinlich an der Enthüllung des Korruptionsverdachts durch die Presse Ende 2016.

Starke Medien und schwache Justiz

Als der Investigativjournalist Raviv Drucker im November 2016 zum ersten Mal die dubiose Verbindung zwischen ThyssenKrupp, Schimron und Netanjahu in Channel 10 öffentlich machte und die mögliche Werft-Privatisierung problematisierte, war die Dimension des Falls noch nicht abzusehen. Polizei und Staatsanwaltschaft, mit ihren von Netanjahu ernannten Leitern, zeigten noch wenig Interesse, sich ernsthaft im Umfeld des Premiers umzuschauen. Dass in der Folge Ermittlungen aufgenommen wurden, ist in erster Linie der Arbeit einzelner Journalist*innen zu verdanken, die trotz Schmutzkampagnen und Drohungen in den folgenden Monaten die zahlreichen Verdachtsfälle der Bestechung von Netanjahu aufdeckten. Doch obwohl Netanjahu in drei anderen Fällen wegen Bestechung, Betrug und Veruntreuung angeklagt wurde, weigert sich die Staatsanwaltschaft bis heute, den Premierminister als Verdächtigen im Fall der von ThyssenKrupp bestellten U-Boote und Korvetten zu behandeln.

Das Wegschauen des Staatsanwalts ist umso erstaunlicher, als 2019 weitere belastende Indizien für Netanjahus Verbindungen zu ThyssenKrupp bekannt wurden. So soll er in den vergangenen zehn Jahren von seinem amerikanischen Cousin, dem Geschäftsmann Nathan Milikowsky, mehr als vier Millionen Euro in Form von Aktien und Geschenken in bar erhalten haben. Milikowskys Firma lieferte Stahl an ThyssenKrupp. Im Oktober 2020 schließlich erklärte die Staatsanwaltschaft, die großzügige Unterstützung durch seinen Cousin nicht vor Gericht bringen zu wollen. Auch hier wartet man auf die Entscheidung des Obersten Gerichts, ob die familiären Verstrickungen von Netanjahu mit ThyssenKrupp nicht doch noch zu Ermittlungen führen werden.

Die Hände in Unschuld waschen

Während die Forderung, Netanjahus Rolle in der U-Boot-Affäre zu klären, laut und deutlich in den landesweiten Protesten in Israel erhoben wird, hat es ein anderer Protagonist bislang ziemlich gut geschafft, ungeschoren davon zu kommen. So ist die Rolle ThyssenKrupps in der Bestechungsaffäre in Deutschland bislang kaum bekannt. Die Berichterstattung darüber war begrenzt, die Reaktion der Politik zurückhaltend und die Entscheidung der Bundesregierung Ende 2017, den Verkauf trotz schweren Korruptionsverdachts zu genehmigen, sehr diskret. Auch ist unklar, ob die bereits seit vier Jahren laufenden Ermittlungen „gegen unbekannt“ der Staatsanwaltschaft in Bochum je in einem Verfahren münden werden.

Wirtschaftliche Interessen dürften der Grund dafür sein, dass die Justiz weder in Israel noch in Deutschland gegen den Konzern vorgeht. ThyssenKrupp Marine Systems GmbH, die die U-Boote herstellt, beschäftigt Tausende Mitarbeiter*innen, und ihr wirtschaftliches Gewicht für Schleswig-Holstein ist beträchtlich. Auch für Israel ist die Firma weiterhin ein strategischer Partner. Hinzu kommt, dass die Verteidigung der Interessen Israels unter Merkel zur deutschen Staatsräson zählt. Außerdem besteht Israel darauf, sein Arsenal von Atomwaffen nicht öffentlich zu machen. Und ThyssenKrupp beharrt darauf, von Schmiergeldern nichts gewusst zu haben. Das mag zunächst überzeugend klingen: Alle Gelder, die an Ganor flossen, sind legal für erbrachte Leistungen bezahlt worden. Alles andere geschah in Israel und anscheinend außer der Kontrolle des Konzerns.

Doch auch wenn ThyssenKrupp juristisch nicht belastet werden kann, bleibt das Verhalten fragwürdig. Die in der Rüstungsindustrie übliche Vorgehensweise, riesige Beträge an einzelne, gut vernetzte und völlig unnötige Vermittler zu zahlen, ist eine öffentliche Debatte wert.

Wie schon bemerkt, benötigte ThyssenKrupp keinen Vermittler, um die Verträge mit Israel abzuschließen. Den letzten Beweis dafür lieferte der Konzern selbst, als er versuchte, die wachsende mediale Aufmerksamkeit dadurch zu besänftigen, dass er im November 2017 die Stelle des israelischen Vermittlers abschaffte und stattdessen eigene Mitarbeiter einstellte.

Auch wenn ThyssenKrupp den Vermittler Ganor nicht benötigte, wussten ihre Manager ganz genau, was es bedeutet, einen Mann, mit solchen Beziehungen, wie sie Ganor pflegte, reich zu machen. Zu einer Anklage gegen den Konzern reicht es wahrscheinlich nicht, weil diese Praxis, zumindest im Ausland, legal und gängig ist: eine bestimmte Summe Geld an der richtigen Stelle zu investieren, um politische Unterstützung zu bekommen. Man kann nur ahnen, wie Machthaber in Ländern, deren rechtsstaatliche Strukturen schwächer sind als in Israel oder Deutschland, dadurch geradezu zur Korruption verlockt werden.

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Yossi Bartal arbeitet als freier Autor in Berlin. Für die Berliner Zeitung und die taz berichtet er ausführlich über die Korruptionsaffären von Netanjahu.

Itay Mashiach ist Journalist und Datenanalyst. Bis 2019 berichtete er für Israels größte Tageszeitung, Yedioth Ahronoth, aus Berlin. Seitdem schreibt er für das Haaretz Magazine Reportagen.