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Aufnahmekomitees als Mittel zur Aufrechterhaltung der Segregation

Der Kauf einer Wohnung oder eines Hauses bzw. die Wahl des Wohnorts wird in der Regel als eine Frage persönlicher Präferenzen und der finanziellen Möglichkeiten angesehen. Für palästinensische Staatsbürger*innen Israels gilt das jedoch eher nicht. Wieso? Nach den Forschungsergebnissen von Professor Yosef Jabareen von der Technischen Universität Haifa[1] gibt es unter den insgesamt 1.215 Ortschaften in Israel 940 kleinere, eher landwirtschaftliche geprägte, in denen Aufnahmekomitees eine sehr zentrale Rolle spielen. Diese Komitees setzen sich aus Einwohner*innen des Orts zusammen und sind rechtlich befugt, alle Personen, die in den Ort ziehen möchten, zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob sie sich dort tatsächlich niederlassen dürfen. Das Recht, ein Haus zu kaufen und den eigenen Wohnort auszusuchen, wird daher unter Umständen von diesen Aufnahmekomitees eingeschränkt. Eine Folge hiervon: In solchen ländlichen Gemeinden wohnen so gut wie keine palästinensischen Staatsbürger*innen Israels.

Historischer Hintergrund

Die Staatsgründung Israels im Jahr 1948 ging mit einer massiven Flucht und Vertreibung eines Großteils der im Land lebenden palästinensischen Bevölkerung während des Krieges und danach einher. Dies sollte erklärtermaßen eine klare jüdische Mehrheit im neuen Staat gewährleisten. Jene Palästinenser*innen, die innerhalb des Staatsgebiets bleiben konnten, erhielten die israelische Staatsbürgerschaft. Sie machen heute circa 20 Prozent aller Staatbürger*innen Israels aus. Trotz des mit der Staatsbürgerschaft verbundenen Versprechens der Gleichheit gibt es in Israel eine Politik und Gesetzgebung, die manchmal direkt und manchmal verschleiert Staatsbürger*innen aufgrund ihrer ethnisch-nationalen Identität diskriminieren.

Die Definition Israels als ein jüdischer und demokratischer Staat erweckt in diesem Zusammenhang einen irreführenden Eindruck. Der Begriff jüdisch wird oft als rein symbolisch begriffen oder als Ausdruck für einen Nationalstaat, in dem de facto die meisten Menschen jüdisch sind. In der Praxis hatte diese Definition jedoch eine Reihe von politischen Mechanismen und Maßnahmen zur Folge, die darauf ausgerichtet sind, die Vorherrschaft der jüdischen Staatsbürger*innen zu bewahren. Wichtige Instrumente zur Herrschaftssicherung sind die Regulierung von Grundbesitz, das Bevölkerungsregister und die Zuteilung von staatlichen Ressourcen für die wirtschaftliche Entwicklung. Auch die Arbeit der sogenannten Aufnahmekomitees gehört dazu. Und wie bei anderen Mechanismen gibt es keinen schriftlichen oder anderen öffentlich zugänglichen Nachweis, der ihren Zweck verrät: Hinter scheinbar neutralen Formulierungen wie, die Bewohner*innen eines Ortes hätten das Recht auf Gemeinschaftsleben auf der Grundlage gemeinsamer Kultur und Tradition, verbirgt sich die Absicht, gezielt Palästinenser*innen und andere unliebsame Bevölkerungsgruppen fernzuhalten.

Die überwiegende Mehrheit der palästinensischen Staatsbürger*innen Israels lebt in Ortschaften und Gemeinden, die lediglich etwa 3,6 Prozent des Staatsgebiets einnehmen. Wohnungsmangel ist daher für sie zu einem existenziellen Problem geworden. Diesem Mangel liegen zwei Ursachen zugrunde: zum einen Enteignungen nach der Staatsgründung, zum anderen dass die Verwaltung Israels sich in vielerlei Hinsicht diskriminierender Maßnahmen bedient. Beide Faktoren bestimmen bis heute die Lebensrealität der Palästinenser*innen in Israel.

Land, Eigentum und Benachteiligung

In Israel sind 93 Prozent des Territoriums als „Staatsland“ (Land in staatlichem Eigentum) definiert. Etwa 5.000 Quadratkilometer hiervon und damit ein Viertel des Lands waren ursprünglich Privateigentum von Palästinenser*innen, die zur Zeit der Staatsgründung zu Flüchtlingen wurden und deren Eigentum sich Israel angeeignet hat. Circa 12.000 Quadratkilometer und damit mehr als die Hälfte des Lands bestehen aus nicht landwirtschaftlich genutzten Flächen, die vor 1948 zum Territorium palästinensischer Kommunen gehörten. Ein relativ kleiner Teil (ca. 1.000 Quadratkilometer) ist Land, das die zionistische Bewegung vor 1948 von seinen Eigentümer*innen kaufte. Es wird vom Jüdischen Nationalfonds verwaltet.[2]

Nach der Staatsgründung wurden Gesetze zur Regelung der Landnahme verabschiedet, wie zum Beispiel das Absentees’ Property Law.[3] Dieses Gesetz erlaubte es dem israelischen Staat, sich das Land der mehr als 700.000 Palästinenser*innen, die aus dem Land geflüchtet waren bzw. vertrieben wurden, anzueignen. Darüber hinaus wurde das Land von Zehntausenden palästinensischer Binnenflüchtlinge mithilfe eines Gesetzes konfisziert, das sie als "anwesende Abwesende" (present absentees) definiert. Für die Verwaltung des neu gewonnenen Staatslands wurde die Israel Land Administration gegründet. Teil dieser Körperschaft ist der Jüdische Nationalfonds, der sechs der vierzehn Mitglieder des Exekutivrats der Land Administration stellt. Explizites Ziel des Jüdischen Nationalfonds ist es, die jüdische Besiedlung von Israel zu fördern. Seit der Staatsgründung war der Jüdische Nationalfonds neben der Jewish Agency und anderen Organisationen für die exklusive Ansiedlung von Jüdinnen und Juden auf sogenanntem Staatsland zuständig.

Seit der Staatsgründung wurden mehr als 700 neue Ortschaften in Israel errichtet. Alle von ihnen sind jüdisch, mit Ausnahme von sechs Kleinstädten im Negev.[4] Das lässt tief blicken und verdeutlicht, dass die staatliche Kontrolle der Landressourcen nicht allen Staatsbürger*innen gleichermaßen zugutekommt, sondern dazu dient, die Vorherrschaft der jüdischen Staatsbürger*innen zu sichern. Eines der zentralen Ziele der zionistischen Bewegung auch nach der Gründung des Staats Israel war die „Besiedlung des Landes“. Hinter diesem Ausdruck verbirgt sich die Überlegung, dass Land, das vor Kurzem noch von einer indigenen Bevölkerung bewohnt wurde, von der jüdischen Bevölkerung übernommen und besiedelt werden muss. Über Jahrzehnte hinweg haben der israelische Staat und repräsentative Institutionen wie die World Zionist Organization die Formulierung „Judaisierung von Galiläa und des Negev“ verwendet, wenn sie über die „Besiedlung des Landes“ sprachen.

Den arabischen Ortschaften wird die Luft zum Atmen genommen

Wie bereits erwähnt, gibt es in Israel eine ungewöhnliche Situation: 93 Prozent des Lands gehören dem Staat. Zugleich findet sich in Israel eine fast vollständige geografische Trennung zwischen Jüdinnen und Juden einerseits und Araber*innen andererseits. Die überwiegende Mehrheit der jüdischen Bevölkerung lebt in Ortschaften, in denen keine Araber*innen wohnen, und umgekehrt.

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Karte vom alternativen Panungszentrum ACAP (Arab Center for Alternative Planning).

In jedem Staat regulieren und lenken Planungsvorschriften und -institutionen die Entwicklung von Städten und Kommunen, die wirtschaftliche Entwicklung, den Erhalt von Freiräumen und Grünflächen und vieles mehr. Diese Institutionen sind von zentraler Bedeutung für eine langfristige Planung, die im Sinne des Gemeinwohls ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Entwicklungs- und Wirtschaftsinteressen aufrechterhält.

Eine Untersuchung der geografischen Aufteilung der Zuständigkeitsbereiche der Planungsinstitutionen in Israel zeigt, dass arabische Ortschaften in Vergleich zu jüdischen von Anfang an bei der Festlegung ihres Kommunalgebiets extrem benachteiligt wurden: Das gesamte Territorium der arabischen Ortschaften macht zusammengenommen nur 3,6 Prozent der Gesamtfläche Israels aus (siehe die grünmarkierten Flächen auf der Karte). Ein Großteil dieses Territoriums ist Privateigentum von palästinensischen Staatsbürger*innen Israels. Mit anderen Worten: Der Staat sprach der arabischen Minderheit nur jene Gebiete zu, die sich in privatem Besitz befanden. Das übrige Land wurde durch Enteignung und Eingliederung in die Zuständigkeit von jüdischen Ortschaften und Regionalverbänden überführt,[5] die gegründet worden waren, um „das Land der [jüdischen] Nation“ zu erhalten.[6]

Seit 1948 hat sich die arabische Bevölkerung mehr als verzehnfacht, aber der Umfang des Grunds und Bodens der Ortschaften, in denen sie leben, ist nicht größer geworden. Infolgedessen sind sie völlig überbevölkert und jeder Entwicklungsplan erweist sich als unzureichend. Manche ihrer Bewohner*innen versuchen folglich, in jüdische Städte zu ziehen, doch diese wehren sich dagegen. Es wird vermieden, ihnen Wohnungen zu vermieten oder zu verkaufen,[7] und es kommt zu Protesten der dortigen jüdischen Einwohner*innen,[8] die mitunter sogar von der Stadtverwaltung angespornt und angeführt werden. Dennoch ist es einem gewissen Prozentsatz gelungen, in jüdische Städte zu ziehen. In manchen Städtchen im Norden des Landes machen arabische Einwohner*innen bereits 20 Prozent und mehr der Bevölkerung aus.

Dennoch sind die betreffenden Stadtverwaltungen nicht bereit, den arabischen Einwohner*innen eine Grundversorgung zur Verfügung zu stellen, wie zum Beispiel arabischsprachige Schulen (in Israel gibt es zwei offizielle Schulsysteme, ein hebräisch- und ein arabischsprachiges), soziale Dienste und Kulturveranstaltungen in arabischer Sprache sowie alles, was mit Religion verbunden ist, sei es muslimisch oder christlich.

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Wahlkampage des Likuds in Tel Aviv. "Es ist: Wir oder Sie; Die hebräische Stadt oder die islamistische Bewegung Yafos; Nur der Likud; Die Rechte für Tel Aviv -Yafo", 2018.

Wie arbeiten die Aufnahmekomitees in der Praxis?

Sogenannte Gemeinschaftssiedlungen und andere ländliche Ortschaften können sich viel effizienter gegen einen Zuzug von Araber*innen schützen – nämlich mithilfe von Aufnahmekomitees. Eine von Professor Yosef Jabareen von der Abteilung für Architektur und Städtebau des Technion durchgeführte Studie zeigt, dass es heute bereits 940 Gemeinschaftssiedlungen gibt, die unter Verweis auf ihre „soziokulturelle Einzigartigkeit“ den Zuzug von Araber*innen ablehnen können. Zu diesen Ortschaften gehören alle Kibbuzim, die allermeisten genossenschaftlich geführten, ländlichen Moschawim und viele der ländlichen Ortschaften in Israel. Dem „Aufnahmekomitee-Gesetz“ nach setzen sich diese Gremien aus Vertreter*innen der Kommune und der Bewegung bzw. des Verbands, der die Ortschaft angehört,[9] der Jewish Agency und des zuständigen Regionalverbands zusammen. Das Gesetz erlaubt kleinen Gemeinschaftssiedlungen, in denen nicht mehr als 400 Familien wohnen, die Aufnahme von Zuzugswilligen zu verweigern, die das „soziale und kulturelle Gefüge der Ortschaft“ beeinträchtigen könnten. Die Verordnung schreibt gleichzeitig vor, dass Kandidat*innen nicht aufgrund ihrer Rasse und Religion, ihres Geschlechts, ihrer Nationalität, einer Behinderung, ihres Personenstands oder Alters, aufgrund ihrer Elternschaft, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Herkunftsland oder ihrer parteipolitischen Einstellung abgelehnt werden dürfen. Trotz dieses eindeutigen Diskriminierungsverbots finden die Aufnahmekomitees, denen nur jüdische Mitglieder angehören, stets einen Weg, um arabischen Bewerber*innen den Zuzug zu verwehren, wobei sie sich solcher Argumente bedienen wie „fehlende kulturelle Übereinstimmung“.

Von den Hunderten von Gemeinschaftssiedlungen, die auf israelischem Staatsland errichtet wurden, sind viele zweckbestimmt. So gibt es Gemeinschaftssiedlungen für religiöse, säkulare oder auch vegetarische und anthroposophische Gruppen. Trotz der großen Vielfalt gibt es jedoch keine einzige für palästinensische Staatsbürger*innen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte kam es vor, dass palästinensische Staatsbürger*innen die Aufnahme in Gemeinschaftssiedlungen beantragten. Sie wollten zum Beispiel in eine weitläufige Ortschaft mit guter Infrastruktur ziehen und damit ihre Lebensqualität verbessern. Ein Beispiel ist der Fall des Ehepaares Zubeidat, Architekt*innen von Beruf, die im Sommer 2006 heirateten und sich in einer kleinen Gemeinschaftssiedlung namens Rakefet niederlassen wollten. Als das Ehepaar dort ein Grundstück kaufen wollte, wurde es gebeten, sich einem Aufnahmeverfahren zu unterziehen. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde das Aufnahmekriterium „soziale Übereinstimmung“ überprüft, das heißt, ob das Ehepaar in sozialer Hinsicht in die Gemeinschaft passt. Während eines Treffens mit den Mitgliedern des regionalen Aufnahmekomitees wurde ihnen mitgeteilt, dass ihr Antrag wegen fehlender Übereinstimmung abgelehnt worden war.[10] Das Ehepaar entschloss sich, gegen diese Entscheidung zu klagen. Ihr Weg durch die Instanzen führte sie bis zum Obersten Gerichtshof, der entschied, dass die Gemeinschaftssiedlung sie aufnehmen muss.

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Familie Ka'adan. Foto: ACRI

Ein anderes Beispiel ist das Urteil des Obersten Gerichtshofs zugunsten der Familie Ka'adan – einer Familie, die ein Haus in der Gemeinschaftssiedlung Katzir kaufen wollte, aber vom deren Aufnahmekomitee im Jahr 1995 abgelehnt wurde. Mit Hilfe der Association for Civil Rights–Israel (ACRI) klagte sie sich erfolgreich durch alle Instanzen. Die Siedlung Katzir war von der Jewish Agency errichtet worden, nachdem diese das Land vom Staat für die Besiedlung zugewiesen bekommen hatte. Der Antrag der Familie Ka'adan, ein Haus in Katzir zu kaufen, war mit der Begründung abgelehnt worden, dass die Ortschaft nur für jüdische Menschen bestimmt sei. Selbst nach dem langen Weg durch alle Instanzen, an dessen Ende der Oberste Gerichtshof schließlich entschied, das Aufnahmekomitee dürfe die Tatsache, dass es sich bei den Bewerbern um eine arabische Familie handelt, weder direkt noch indirekt als Kriterium verwenden, musste die Familie wiederum um Rechtsbeistand ersuchen, um das Urteil zu vollstrecken. Das Aufnahmekomitee der Ortschaft Katzir weigerte sich weiterhin, sie aufzunehmen, diesmal mit der Begründung fehlender sozialer Übereinstimmung. ACRI reichte wieder Klage beim Obersten Gerichtshof ein, und im Jahr 2004 teilte die Land Administration mit, dass die Anzahl der Haushalte in dem Ort so sehr zugenommen habe, dass Katzir keine Gemeinschaftssiedlung mehr sei und mithin kein Aufnahmekomitee mehr habe. Deswegen könne der Familie Ka'adan ein Baugrundstück zugewiesen werden. Im August 2007, mehr als zehn Jahre nach Beginn ihres Kampfs, erhielt das Ehepaar Ka'adan eine Baugenehmigung für ihr Haus in Katzir.

Die beiden beschriebenen Fälle gingen im Sinne der Familien gut aus, aber es handelt sich hierbei um individuelle Siege, die das System insgesamt nicht zu verändern vermochten. Aus der Sicht der Gerichte betrafen die Verfahren Einzelfälle von Diskriminierung. Weder hoben sie den strukturellen Aspekt des auf Diskriminierung abzielenden Systems hervor, noch forderten sie eine diesbezügliche Veränderung. Das Gericht prüfte die Fälle unter dem Gesichtspunkt individueller und nicht kollektiver Rechte bzw. einer Diskriminierung der palästinensischen Staatsbürger*innen Israels als Gruppe. Die Urteile gingen in keiner Weise auf den Kontext und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein, unter denen die Kläger*innen Aufnahme in bestimmte Ortschaften beantragen müssen. Das Gericht nahm keinen Anstoß daran, dass die Jewish Agency „grundsätzlich darauf abzielt, Juden im ganzen Land anzusiedeln, insbesondere im Grenzland und in Gebieten mit geringer jüdischer Präsenz“. Der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs, Aharon Barak, machte sich sogar die Mühe, ausdrücklich zu erklären, dass es sich bei den Urteilen um Einzelfallentscheidungen handelte, die die generelle Politik der jüdischen Besiedlung des Lands nicht infrage stellen.

Auch die Anwälte der Kläger bestreiten nicht die wichtige Rolle, die die Jewish Agency in der Geschichte des Staats Israel gespielt hat. Sie üben auch keine Kritik an der über Jahre hinweg verfolgten Politik zur Förderung der Errichtung jüdischer Ortschaften im ganzen Land. Und so schreiben sie in ihrer Klage: Diese Klage ist hauptsächlich auf die Zukunft gerichtet. Die Kläger beabsichtigen nicht, an der langjährigen Politik Kritik zu üben, gemäß der (mithilfe der Institutionen für die Besiedlung) Ortschaften im ganzen Land errichtet wurden – Kibbuzim, Moschawim und Mitzpim, in denen in der Vergangenheit und auch heute noch fast ausschließlich immer nur Juden wohn(t)en. Die von den Klägern vorgebrachte Argumentation ist nicht auf die Legitimität der Politik gerichtet, die in dieser Angelegenheit vor der Staatsgründung und in den Jahren nach dieser vorherrschte. Sie stellen auch nicht die entscheidende Rolle infrage, die die Jewish Agency über dieses Jahrhundert hinweg bei der Ansiedlung von Juden im ganzen Land gespielt hat. [11]

Die genannten Beispiele zeigen, wie Bürokratie zur Aufrechterhaltung einer Vormachtstellung eingesetzt wird und zugleich, wie Diskriminierung hinter der Maske des Liberalismus und die Euphemismen der Gleichheitsgarantien versteckt. Eine faszinierende Illustration des Versuchs, den Anschein von Gleichheit zu bewahren, findet sich in einem Bericht des Forschungszentrums des Jüdischen Nationalfonds,[12] einer Körperschaft, die einen offiziellen Status in der Israel Land Administration hat. Der Bericht erschien nach dem oben erwähnten Urteil des Obersten Gerichtshofs in Sachen Ka'adan und wurde von Professor Shimon Shetreet, Jura-Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem und ehemaliger Minister, verfasst. Shetreet beginnt den Bericht mit der Erklärung: Das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Sachen Ka'adan versus die Israel Land Administration hinsichtlich des Rechts einer arabischen Familie, in der Gemeinschaftssiedlung Katzir zu wohnen… ignorierte völlig die legitimen Interessen, die eine räumliche Segregation rechtfertigen können: erstens, Angst vor Spannungen und Gewalt; zweitens, die Befürchtung, dass Lebensqualität und der Wert der Immobilien beeinträchtigt werden; drittens, der begründete Wunsch, in einer Wohngegend mit Menschen derselben nationalen, kulturellen und sprachlichen Zugehörigkeit zu leben, der nichts mit Rassismus zu tun hat.“

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Rassistische Demonstration in Afula gegen den Erwerb von Wohneigentum von Palästinenser*innen in der Gegend. Auf dem Schild steht: "Wir haben kein anderes Afula/Land", Afula 2016. Foto: Activestills

Fazit

Seit seiner Gründung hat der Staat Israel große Anstrengungen unternommen, um zu vertuschen, dass er zu zahlreichen Maßnahmen greift, die die Vormachtstellung der jüdischen Bevölkerung sicherstellen sollen. Ein offener Umgang damit, so die Annahme, hätte seinem Image als „einziger Demokratie im Nahen Osten“, einer Demokratie, die die Gleichheit aller seiner Staatsbürger*innen fördert und garantiert, geschadet. 2018 jedoch wurde das Nationalstaatsgesetz in Israel verabschiedet. Dieses Gesetz schreibt zum ersten Mal fest, dass der israelische Staat daran interessiert, ja, sogar dazu verpflichtet ist, die Vormachtstellung seiner jüdischen gegenüber seinen palästinensischen Staatsbürger*innen zu wahren. Das gilt besonders für die künftige Raumplanung: „Der Staat misst der Entwicklung der jüdischen Besiedlung nationalen Wert bei und unternimmt alles, um diese zu unterstützen und zu fördern.“ Obwohl das Gesetz sowohl in Israel als auch auf internationaler Ebene viel Aufmerksamkeit erhielt, kommen in ihm nur die grundlegenden Auffassungen und Konzepte zum Ausdruck, die allen oben beschriebenen Praktiken und Mechanismen bereits seit der Staatsgründung zugrunde liegen.

Israels Staatsapparat setzt also bis heute auf verschiedene Mechanismen und Instrumente, um seine palästinensischen Staatsbürger*innen geografisch sowie auch politisch und sozial auszugrenzen und zu segregieren. Dieser anhaltende Prozess begann bereits mit dem Krieg von 1948 und setzte sich fort mit der juristischen Enteignung des Eigentums von Geflüchteten, Vertriebenen und sogar von Binnenvertriebenen, die israelische Staatsbürger*innen sind. Die weitreichenden Auswirkungen der Landnahme veranschaulichen, warum die Frage des Lands und des Eigentums ein zentrales Element einer jeden politischen Alternative sein muss, die sowohl gleiche Rechte für alle Staatsbürger*innen des Landes garantiert als auch die Gruppenrechte der palästinensischen und der jüdischen Staatsbürger*innen des Landes anerkennt.

Übersetzt von Ursula Wokoeck Wollin

Fadi Shbita ist palästinensischer Staatsbürger Israels und politischer Aktivist. Er war Direktor von Sadaka-Reut, einer jüdisch-palästinensischen Organisation, die sich um die Förderung einer egalitären, binationalen und multikulturellen Gesellschaft bemüht, und Ko-Direktor der Abteilung für Gleichstellungspolitik in Sikkuy, einer Organisation von jüdischen und arabischen Bürger*innen, die sich für eine Gleichberechtigung von arabisch-palästinensischen und jüdischen Staatsbürger*innen Israels auf allen Ebenen einsetzt.

Weiterführende Links

Anmerkungen

[1] Arlosoroff, Meirav: Der Staat drückt den arabischen Ortschaften die Luft ab – und beklagt sich über illegales Bauen, in: The Marker, 29.11.2017 (auf Hebräisch), unter: www.themarker.com/realestate/1.4645933.

[2] Yiftachel, Oren: Land, Planung und Ungleichheit: Die Raumverteilung zwischen Juden und Arabern in Israel. Adva Center, November 2000 (auf Hebräisch), unter: https://adva.org/wp-content/uploads/2014/09/karkaot-tihnun-e-shivion.pdf.

[3] Absentees’ Property Law, 1950, unter: www.adalah.org/en/law/view/538.

[4] Diese Kleinstädte sind Rahat, Lakiya, Hura, Shaqib al-Salam und Tel Scheva. Diese wurden allerdings explizit mit dem Ziel errichtet, die arabisch-beduinische Bevölkerung dort auf einen bestimmten Raum zu konzentrieren und es somit dem Staat zu ermöglichen, das Land, auf dem sich die Beduinen-Dörfer befanden, in Besitz zu nehmen. Mehr hierzu im Dossier zu Beduinen der Rosa-Luxemburg-Stiftung unter: www.rosalux.org.il/schwerpunkt-beduininnen/.

[5] Regionalverbände sind neben den Gemeindeverwaltungen (die Verwaltungseinheit für kleinere urbane Siedlungen und größere landwirtschaftlich geprägte Ortschaften) und den Stadtverwaltungen die dritte Form der Kommunalverwaltung in Israel. Jeder Regionalverband ist für bis zu etwa 50 ländliche Gemeinden zuständig, die für gewöhnlich über eine relativ große Fläche verteilt sind, aber in geografischer Nähe zueinander liegen. In der Regel hat ein Ort im Regionalverband nicht mehr als 2.000 Einwohner*innen.

[6] Siehe zum Beispiel Yiftachel, Oren: From Sharon to Sharon: Spatial planning and separation regime in Israel/Palestine, in: HAGAR Studies in Culture, Polity and Identities, 10(1) 2010, S. 73–106, unter: https://pdfs.semanticscholar.org/f112/be58a7e805d3172810e4dcb600791590c6c6.pdf. Für eine hebräische Version siehe: www.geog.bgu.ac.il/members/yiftachel/new_papers_2014-2018/Article/Hebrew/Sharon%20to%20Sharon%202017.pdf.

[7] Ashkenazi, Eli: Die Hölle, durch die Amir auf dem Weg zu einer Wohnung in Afula geht, in: Walla! News, 27.6.2019 (auf Hebräisch), unter: https://news.walla.co.il/item/3244250.

[8] „Wir oder Sie“: Vorwürfe der Aufhetzung gegen Araber bei den Kommunalwahlen, in: Y-Net News, 4.10.2018 (auf Hebräisch), unter: www.ynet.co.il/articles/0,7340,L-5363613,00.html.

[9] In Israel gehört jede Ortschaft, die als Kooperative organisiert ist, einer Dachorganisation an, etwa der Kibbuz-Bewegung oder der Bewegung der Moschawim (ländliche Genossenschaften).

[10] Vgl. www.adalah.org/en/content/view/6572.

[11] Auszug aus dem Gerichtsurteil des Falls der Familie Kaadan

HCJ 95/6698, page 23 (Hebräisch).

[12] Siehe die Rubrik “About” auf der Webseite der Organisation unter: www.kkl-jnf.org/about-kkl-jnf/.

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