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Palästinenser*innen in Ost-Jerusalem – Daten und Fakten

Der politische Diskurs zu Jerusalem wird von Mythen, Klischees und Slogans beherrscht und ist oft gänzlich von den realen Verhältnissen abgekoppelt. Im folgenden Beitrag finden Sie einen Überblick über verschiedene Aspekte des Lebens von Palästinenser*innen in Ost-Jerusalem.

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Die palästinensischen Einwohner*innen von Ost-Jerusalem – das heißt, dem palästinensischen Gebiet, das bis zum Krieg 1967 unter jordanischer Herrschaft war und nach dem Krieg von Israel annektiert wurde – leben nach israelischem Recht in Israel, aber nach internationalem Recht und aus der Sicht der internationalen Gemeinschaft unter israelischer Besatzung.

Mehr als 90% von ihnen sind keine israelischen Staatbürger*innen und genießen keine volle rechtliche und politische Gleichberechtigung.

In nahezu jeder Hinsicht leiden die Einwohner*innen von Ost-Jerusalem unter Entbehrungen, Vernachlässigung, Diskriminierung, Marginalisierung sowie Verletzungen ihrer individuellen und kollektiven Rechte. Das verhält sich noch immer so, trotz der einschneidenden sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre, wie zum Beispiel die zunehmende Integration von Palästinenser*innen in den israelischen Arbeitsmarkt der Stadt sowie die Bereitstellung von Budgets für Ost-Jerusalem durch die israelische Regierung, die höher ausfallen als in der Vergangenheit.

Der politische Diskurs Jerusalem betreffend wird von Mythen, Klischees und Slogans beherrscht und ist oft gänzlich von den realen Verhältnissen abgekoppelt. Im Folgenden wird daher ein Überblick über verschiedene Aspekte des Lebens von Palästinenser*innen in Ost-Jerusalem gegeben, der auf unterschiedlichen Quellen basiert.

Demografische Daten und Fragen des Aufenthaltsstatus

Zirka 324.000 palästinensische Einwohner*innen leben in Jerusalem, das heißt ungefähr 37% der gesamten Jerusalemer Bevölkerung (865.600 Menschen).

Die meisten in Jerusalem lebenden Palästinenser*innen haben permanente Aufenthaltsgenehmigungen des israelischen Staates, jordanische oder israelische Reisedokumente, und seit Inkrafttreten der Oslo-Abkommen sind sie berechtigt, an den Wahlen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) teilzunehmen. Allerdings hat die PA keine Befugnisse bezüglich des Lebens der Palästinenser*innen in (Ost-)Jerusalem und kann somit auch keinen Einfluss darauf nehmen.

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Grafik 1 – Quelle: Jerusalem Institute For Research Policy. (Für eine größere Ansicht auf das Bild klicken)

Als Menschen mit permanenter Aufenthaltsgenehmigung in Israel haben die allermeisten Palästinenser*innen in Jerusalem kein aktives oder passives Wahlrecht für die Parlamentswahlen in Israel. Sie können sich an den Kommunalwahlen beteiligen und auch für den Stadtrat kandidieren (jedoch nicht für das Amt des Bürgermeisters). Allerdings haben sie wiederholt die Kommunalwahlen boykottiert, da sie der Annexion Ost-Jerusalems keine Legitimität verleihen wollen. Eine permanente Aufenthaltsgenehmigung gibt den Palästinenser*innen das Recht, in Israel zu leben und zu arbeiten, sowie das Recht auf Krankenversicherung und Sozialleistungen nach dem Sozialversicherungsgesetz.

Im Gegensatz zu dem, was der Begriff vermuten lässt, ist eine „permanente Aufenthaltsgenehmigung“ nicht notwendigerweise permanent. Der israelische Innenminister kann sie relativ leicht aufheben.

Im Jahr 2016 hob das israelische Innenministerium die permanenten Aufenthaltsgenehmigungen von 95 Palästinenser*innen in Jerusalem auf.

Seit 1967 hat Israel 14.595 Palästinenser*innen in Jerusalem die permanente Aufenthaltsgenehmigung entzogen.

In den meisten Fällen wird der Entzug der permanenten Aufenthaltsgenehmigung damit begründet, dass sich das Lebenszentrum der betroffenen Menschen nicht mehr in Jerusalem befinde. Gemäß einer Entscheidung des Obersten Gerichts von 1988 bleibt Jerusalem das Lebenszentrum eines/einer Palästinenser*in solange diese/r in Israel lebt. Palästinenser*innen, die einige Jahre im Ausland leben (zum Beispiel, um zu studieren oder zu arbeiten), verlieren ihre permanenten Aufenthaltsgenehmigungen und dürfen anschließend nicht mehr in ihrer Heimatsstadt Jerusalem leben. Aber auch Palästinenser*innen, die in ein anderes Viertel oder selbst eine andere Straße umziehen, die außerhalb des annektierten Gebiets liegen, werden von israelischen Behörden als Menschen betrachtet, deren Lebenszentrum sich nicht mehr in Jerusalem befindet (da sie aus israelischer Sicht nun nicht mehr in Jerusalem, sondern beispielsweise in der Westbank wohnen). Diese Menschen laufen deshalb Gefahr, dass ihnen die permanente Aufenthaltsgenehmigung entzogen wird. Aus diesem Grund ziehen es Palästinenser*innen oft vor, trotz der schwierigen Lebensbedingungen weiterhin in sehr dichtbesiedelten Stadtvierteln zu wohnen.

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Abriss eines Hauses einer palästinensischen Familie, Ost-Jerusalem, 2014. Foto:Activestills

Darüber hinaus hat das israelische Innenministerium in den letzten Jahren begonnen, die permanenten Aufenthaltsgenehmigungen von Palästinenser*innen in Ost-Jerusalem, die Terrorangriffe begangen haben, oder dessen beschuldigt werden sowie von deren Verwandten, aufzuheben, oder eine solche Aufhebung anzudrohen.

In Jerusalem lebende Palästinenser*innen können die israelische Staatsbürgerschaft beantragen. Aber die allermeisten tun das nicht, weil sie sich im Laufe des Verfahrens einer Prüfung ihrer hebräischen Sprachkenntnisse unterziehen und eine Erklärung ihrer Loyalität gegenüber dem israelischen Staat unterschreiben müssen. Das Verfahren ist meist sehr langwierig (mindestens 2 Jahre) und mit enormen bürokratischen und anderen Hindernisse für die Antragsteller*innen verbunden. Im Jahr 2017 haben 943 in Jerusalem lebende Palästinenser*innen die israelische Staatsbürgerschaft beantragt. Von allen seit 2010 gestellten Anträgen, erhielten bisher 153 positive Bescheide, darunter 20 der im Jahr 2017 gestellten (alle anderen wurden vorher gestellt). Im Allgemeinen lässt sich beobachten, dass die Anzahl der Anträge seit dem Bau der Sperranlage stetig steigt, während die Anzahl der positiven Bescheide seit etwa fünf Jahren zurückgeht.

Kommunale Dienstleistungen und Infrastruktur

Trotz wachsender Investitionen von Regierungsseite in den letzten Jahren leiden die Bewohner*innen der palästinensischen Viertel von Ost-Jerusalem unter der dauerhaften und systematischen Vernachlässigung durch die israelischen Behörden. Dies führt zu mangelhaften und eingeschränkten städtischen Dienstleistungen und infrastrukturellen Angeboten, wie beispielsweise im öffentlichen Personennahverkehr und in der Wasserver- und Entsorgung. Der Anteil der palästinensischen Bevölkerung Jerusalems beträgt zwar ca. 37%, dahingegen gibt die Stadtverwaltung bestenfalls lediglich 14% ihres Gesamtbudgets für die palästinensischen Wohngebiete aus. Als Folge der Enteignung palästinensischer Grundbesitze und fehlender Stadtplanung für palästinensische Wohngebiete, sind diese extrem überbevölkert, und es mangelt in Ostjerusalem an verfügbaren Flächen für öffentliche und schulische Einrichtungen, Handel oder Industrie. Die unterschiedlichen Gegebenheiten fallen noch bemerkenswerter aus, wenn man sie mit den jüdisch-israelischen Wohngebieten der Stadt vergleicht.

Verfügbare Informationen zur Infrastruktur verweisen oft auf den geographischen Bereich Ost-Jerusalems als umfassende Einheit, ohne zwischen den palästinensischen und jüdischen Wohngebieten zu unterscheiden.

Es ist aber beispielsweise bekannt, dass nur zirka 52% der Bewohner*innen der palästinensischen Wohngebiete Ost-Jerusalems gesetzlich geregelten Zugriff auf die öffentliche Wasserversorgung haben.

Ost-Jerusalem mangelt es an Bürgersteigen, Straßenbeleuchtung, öffentlichen Parkplätzen, genügend Mülleimern und vielem mehr. Die Straßen sind noch immer voller Schlaglöcher und Unebenheiten, und das vorhandene Straßennetz ist nicht ausreichend für das derzeitige Verkehrsaufkommen. Die Zahl der Spielplätze pro Kopf beträgt 1% des sonstigen nationalen israelischen Standards und ist dreißigmal geringer als in den Wohngebieten West-Jerusalems. In den aneinandergrenzenden palästinensischen Vierteln Beit Hanina und Schu‘afat gab es für die dortige, etwa 60.000-köpfige Bevölkerung bis 2015 nur zwei Spielplätze. 2015 wurde ein weiterer Spielplatz in Schu‘afat auf einem durch einen Anwohner gestiftetem Areal eingerichtet. Zum Vergleich: Im jüdischen Wohnviertel Ramot in Ost-Jerusalem gibt es für etwa 48.000 Einwohner*innen 35 Spielplätze und im jüdischen Wohnviertel Ramat Shlomo in Ost-Jerusalem für etwa 17.000 Einwohner*innen 28 Spielplätze.

In einigen Fällen sind die israelischen Behörden nur aufgrund von Entscheidungen des Obersten Gerichts ihren Aufgaben nachgegangen, wie beispielsweise bei der Versorgung mit ausreichenden Postdiensten. In den palästinensischen Wohngebieten Jerusalems stehen neun Postfilialen und fünf Postbeamte zur Verfügung, während in den jüdisch-israelischen Vierteln 34 Postfilialen und 88 Postbeamte ihre Dienste anbieten. Aufgrund einer Klage, die von der Vereinigung für Bürgerrechte in Israel eingereicht wurde, ist die Eröffnung weiterer Postfilialen fällig.

Im Zuge dieses Antrags wurde die Stadtverwaltung aufgefordert, Straßen mit Namen zu versehen, wobei es sich hierbei um eine politisch aufgeladene Aktion handelt. Nachdem die Bevölkerung gebeten worden war passende Straßennamen vorzuschlagen, lehnte die Stadtverwaltung Straßennamen mit jeglichem politischem Bezug ab. Schließlich wählte die Stadtverwaltung Straßennamen wie „Bergstraße“, „Prachtstraße“, „Straße der Gerechtigkeit“, „Straße der Helden“ etc. und bildete sich viel darauf ein, ein paar Straßen nach arabischen oder muslimischen Personen zu benennen, wie der ägyptischen Sängerin Umm Kulthum oder Fatima az-Zahra, der Tochter des Propheten Mohammed.

Die Stadtverwaltung zeigte sich enttäuscht darüber, dass die Einwohner*innen dem Straßennamen-Projekt nicht immer mit offenen Armen begegneten. Eine verbreitete ironische Reaktion war es, dass die Stadtverwaltung Straßennamen vergibt, um Abrissverfügungen an die Bewohner*innen leichter stellen zu können. Ein Bewohner des Viertels Kufr Aqab schrieb auf der Facebook-Seite des Bürgermeisters: „Ich wünsche mir, dass Sie vor einer Vergabe von Straßennamen zuerst die Straßen und die Abwasserleitungen sanieren. Ich wünsche mir, dass wir vom Gestank der Müllcontainer verschont werden. Wir haben so viele Beschwerden eingereicht, wie Sie und wir Haare auf dem Kopf haben und Sie verkünden, dass Sie Straßenschilder aufstellen?“

Behörden

Die Ost-Jerusalemer Büros der Bevölkerungs- und Einwanderungsbehörde (Innenministerium) und des Arbeitsamts befinden sich im selben Gebäude. Jeden Tag suchen hunderte der in Ost-Jerusalem lebenden Menschen diese Büros auf, wobei sie nur durch einen einzigen Eingang in das Gebäude gelangen können. In Ost-Jerusalem lebende Palästinenser*innen dürfen nur diese Büros nutzen, und nicht die besser ausgestatteten in West-Jerusalem. Seit Jahren warten diese Menschen unter unzumutbaren Bedingungen auf die von ihnen benötigten Dienste: sie stehen viele Stunden in langen Warteschlangen, ohne Schutz vor Sonne, Regen oder Kälte, ohne öffentliche Toiletten, ohne Trinkbrunnen und ohne Bänke, auf denen sich ältere oder müde Menschen ausruhen könnten, und obendrein noch der langwierigen und demütigenden Sicherheitskontrolle ausgesetzt sind.

Aufgrund ihres besonderen Status haben Einwohner*innen von Ost-Jerusalem, die keine Staatsbürger*innen sind, häufiger mit den Behörden zu tun, da jeder Aspekt ihres Lebens mit Formalitäten verbunden ist. Auch gehen die Einwohner*innen Ost-Jerusalems häufig zum Arbeitsamt, da die Arbeitslosigkeits- und Armutsraten sehr hoch sind, während relativ wenige palästinensische Familien Sozialhilfe erhalten. Die Unzugänglichkeit des Büros verschlimmert die Situation und verhindert, dass Palästinenser*innen ihre sozialen Rechte geltend machen.

Trotz einer Reihe von Klagen beim Obersten Gericht in Israel und trotz mehrerer Gerichtsurteile in dieser Sache haben die israelischen Behörden immer noch keine vernünftige Abhilfe für die unerträglichen Bedingungen geschaffen. Nach mehr als 10 Jahren gab die Bevölkerungsbehörde im November 2016 bekannt, dass „Vorbereitungen getroffen werden, Trinkbrunnen für den Komfort des Publikums zu installieren“. Im Februar 2017 gab es noch immer keine Trinkbrunnen.

[Quelle: Hamoked – Center for the Protection of the Individual, 12. Februar 2017]

Arbeit

In der palästinensischen Bevölkerung in Ost-Jerusalem lag die Beschäftigungsquote 2016 von Männern bei 52% und von Frauen bei 22%.

[Quelle: Jerusalem Institute for Policy Research, Participation in the Labor Force, Yearbook, 2018 – http://www.jerusaleminstitute.org.il/.upload/yearbook/2018/graph_02_G0118.png]

Ungefähr 35.000 Palästinenser*innen, das heißt, etwa die Hälfte der in Ost-Jerusalem lebenden palästinensischen Beschäftigten, arbeiten in West-Jerusalem, in Israel oder in israelischen Siedlungen in der Westbank. Die andere Hälfte arbeitet in palästinensischen Unternehmen in Ost-Jerusalem oder in der Westbank.

Die meisten Palästinenser*innen sind indirekt beschäftigt und arbeiten als Ungelernte zu Mindestlöhnen.

Armut

In den letzten drei Jahren ist die Armutsrate unter den Palästinenser*innen in Jerusalem langsam zurückgegangen, aber sie ist immer noch sehr viel höher als unter der jüdischen Bevölkerung der Stadt und als generell in Israel.

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Grafik 2 – Alle Zahlen stammen aus dem Report des Jeruslaem Institut for Policy Research. (Für eine größere Ansicht auf das Bild klicken)

Sozialdienste

Für die palästinensische Bevölkerung in Ost-Jerusalem gibt es vier Sozialstationen, die sich um 36.029 Menschen kümmern.

Für die jüdische Bevölkerung in Ost-Jerusalem gibt es 19 Sozialstationen, die sich um 57.472 Menschen kümmern.

Jede/r Sozialarbeiter*in in Ost-Jerusalem betreut im Durchschnitt um 339 Fälle, während der Durchschnitt im Rest der Stadt bei 194 Fällen liegt.

Schulen

Gemäß dem israelischen Innenministerium gibt es 127.198 palästinensische Kinder und Jugendliche (im Alter von 3-18 Jahren) in Ost-Jerusalem.

Im Ganzen gehen offiziell 110.496 palästinensische Kinder und Jugendliche in Schulen oder Kindergärten.

Das heißt, dass 16.702 Kinder und Jugendliche (13%) nicht in Kindergärten oder Schulen gehen und mithin auch nicht vom Schulsystem beaufsichtigt werden.

33% der Schüler*innen an formellen, anerkannten Schulen beenden ihre zwölfjährige Schulausbildung nicht (meist brechen sie nach der neunten bis elften Klasse die Schule ab).

Um ein solches Abbrechen der Schulausbildung in Ost-Jerusalem zu verhindern, stellte die Stadtverwaltung von Jerusalem 2017 ein Budget von 4,1 Millionen Schekel (zirka 1 Million Euro) zur Verfügung. Nach früheren Berechnungen des Schulverwaltungsamts in Jerusalem würden 15 Millionen Schekel (fast 4 Millionen Euro) benötigt, um die Rate der Schulabbrüche schnell und merklich zu senken.

Der Mangel an Klassenräumen: Es fehlen 2.557 Klassenräume. Nach Schätzung des Schulverwaltungsamts kommen jährlich 2.000 weitere Schüler*innen in das Schulsystem, so dass 70 zusätzliche Klassenräume pro Jahr benötigt werden, während im Durchschnitt nur 37 neue Klassenräume jährlich gebaut werden.

Das durch die Mängel des Schulsystems in Ost-Jerusalem entstandene Vakuum wurde zumindest zum Teil von zivilgesellschaftlichen Organisationen gefüllt, die anerkannte Schulen betreiben (sie erhalten Teilfinanzierungen und unterliegen teilweise der staatlichen und kommunalen Aufsicht). Diese Schulen sind qualitativ auf einem niedrigen Niveau und arbeiten mit einem minimalen Lehrplan. Sie werden oft nicht ausreichend kontrolliert, befinden sich in Gebäuden, die keinerlei gängigen Standards entsprechen, ohne Klimaanlage oder Heizung, ohne Laboratorien oder Bibliotheken, mit überfüllten Klassenräumen. Die Anzahl der Schüler*innen in diesen Schulen steigt ständig. Im Jahr 2017 besuchten bereits 42% aller palästinensischen Schüler*innen solche Schulen.

Lehrplan

Die meisten palästinensischen Schüler*innen lernen nach dem palästinensischen Lehrplan. Die Lehrbücher werden von der Jerusalemer Stadtverwaltung zensiert und ohne die Teile, die auf die palästinensische Nationalität Bezug nehmen, ohne palästinensische Flaggen oder andere Elemente, die von den israelischen Behörden als aufwieglerisch angesehen werden, neu gedruckt. Seit 2016 drängt das israelische Bildungsministerium palästinensische Schulleiter*innen dazu, den israelischen Lehrplan an ihren Schulen einzuführen, indem es ihnen finanzielle Vorteile und den Aufbau von Infrastruktur anbietet. Im Mai 2018 genehmigte die israelische Regierung, dass über einen Zeitraum von 5 Jahren fast 200 Millionen Schekel (ungefähr 50 Millionen Euro) zur Verfügung gestellt werden, um palästinensische Schulen dazu zu ermutigen, den israelischen Lehrplan einzuführen. In der palästinensischen Gesellschaft in Ost-Jerusalem ist dies ein sehr umstrittenes Thema. Einerseits denken viele, dass es die Zukunftschancen ihrer Kinder verbessern würde, wenn sie nach dem israelischen Lehrplan lernen, andererseits sehen viele darin auch einen direkten Angriff auf die nationale Identität der palästinensischen Schüler*innen.

Palästinensische Stadtviertel außerhalb der Sperranlage

In Jerusalem verläuft die von Israel errichtete Sperranlage nicht auf der Grenze des Stadtgebiets, wie es durch die Annexion nach dem Krieg von 1967 festgelegt wurde. Stattdessen hat die Sperranlage einige palästinensische Viertel, wie zum Beispiel das Flüchtlingslager Schu’afat und Kafr Aqab im Norden und al-Waladsche im Süden, die nach israelischen Gesetz zu Jerusalem gehören, von der Stadt abgetrennt. Als die Sperranlage gebaut wurde, die in diesen Teilen aus einem sehr hohen mit Stacheldraht besetzten Zaun oder aus einer hohen Betonmauer besteht, hatte sich die israelische Regierung verpflichtet, den ausgeschlossenen Stadtvierteln weiterhin alle öffentlichen Dienste zur Verfügung zu stellen. Aber schon nach kurzer Zeit sind alle von israelischen Behörden an diesen Orten erbrachten Dienstleistungen eingestellt worden, mit verheerenden Folgen für die dort lebenden Menschen. Nach Angaben der Stadtverwaltung und der anderen Behörden können dort keine Dienstleitungen erbracht werden, weil die Sicherheit ihres Personals dort nicht sichergestellt werden könne.

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Ras Shehada, Ost-Jerusalem, 2014. Foto: Activestills

Zum Beispiel funktioniert die Müllabfuhr in diesen Vierteln nur sehr spärlich, und auf den Straßen und unbebauten Grundstücken türmen sich große Müllberge, die von Zeit zu Zeit von den Bewohner*innen verbrannt werden. Viele Straßen in diesen Vierteln sind kaputt und es gibt keine Bürgersteige. In diesen Vierteln gibt es gar keine Spielplätze oder öffentliche Anlagen. Es gibt dort ernste Probleme mit dem Trinkwassernetz und bis vor zwei Jahren litten die Bewohner*innen dieser Viertel jeden Sommer darunter, dass es langanhaltende Ausfälle in der Wasserversorgung gab. In einigen dieser Viertel fließt das Abwasser auf die Straßen. Die israelische Polizei unternimmt fast nichts gegen Straftaten in diesen Vierteln, und die palästinensische Polizei unternimmt dort auch nichts, da die Oslo Abkommen es ihr verbieten, in Jerusalem zu operieren. Infolgedessen werden die Viertel praktisch von kriminellen Banden beherrscht. Das Ausmaß an Gewalt und Kriminalität in den Vierteln ist sehr hoch. Es gibt viele Waffen und einige Orte sind Zentren des Drogenhandels nach Israel und in die besetzten Gebiete.

Unter anderem hat die Stadtverwaltung die Bauaufsicht in diesen Vierteln eingestellt, woraufhin es zu erhöhter illegaler Bautätigkeit kam. Bisher wurden Zehntausende von Wohnungen ohne angemessene Infrastruktur und ohne bautechnische Überwachung gebaut. Trotz dieser Umstände und trotz der schwierigen Lebensbedingungen in diesen Vierteln sind zehntausende Palästinenser*innen auf Grund der großen Wohnungsnot in Ost-Jerusalem in diese Viertel umgezogen. Niemand weiß genau, wie viele Einwohner*innen in diesen Vierteln leben, aber nach Schätzungen handelt es sich um zirka 100 bis 150.000 Menschen. Die meisten von ihnen leben im Flüchtlingslager Schu’afat und in den umliegenden Vierteln sowie in Kafr Aqab. Die meisten Bewohner*innen der Stadtviertel außerhalb der Sperranlage sind Jerusalemer Palästinenser*innen, die eine permanente Aufenthaltsgenehmigung und dadurch einen israelischen Ausweis haben. Der Rest sind Palästinenser*innen, die aus der Westbank dort hingezogen sind, oder Ehepartner*innen von Jerusalemer Palästinenser*innen, die auf Grund des israelischen Gesetzes, das die Familienzusammenführung von Palästinenser*innen stark einschränkt, keine permanente Aufenthaltsgenehmigung in Israel erhalten können.

Die Bewohner*innen dieser Stadtviertel müssen jeden Tag die Checkpoints passieren, die Israel an der Sperranlage errichtet hat. Das bedeutet stets lange Wartezeiten und mitunter erniedrigende Behandlung von Seiten der israelischen Sicherheitskräfte. Außerdem kommt es, wenn die Spannungen zwischen Israelis und Palästinenser*innen in Jerusalem zunehmen, oft zu Ausbrüchen von Gewalt an den Checkpoints.

Vor ungefähr einem halben Jahr schlug der Minister für Jerusalem-Angelegenheiten und Mitglied des Sicherheitskabinetts, Ze‘ev Elkin (Likud), der jetzt auch bei den bevorstehenden Kommunalwahlen für das Bürgermeisteramt in Jerusalem kandidiert, vor, diese Stadtviertel von Jerusalem abzutrennen. Nach seinem Vorschlag sollen die Stadtviertel außerhalb der Sperranlage einer neu zu errichtenden israelischen Kommune unterstellt werden. Auch der gegenwärtige Bürgermeister von Jerusalem, Nir Barkat, hat in der Vergangenheit vorgeschlagen, diese Stadtviertel von Jerusalem abzutrennen, und es ist wahrscheinlich, dass ähnliche Vorschläge auch in Zukunft gemacht werden. Solche Pläne würden die Rechte der Bewohner*innen dieser Viertel außerhalb der Sperranlage noch weiter verletzen, da sie dadurch von Bildungseinrichtungen, Arbeitsplätzen und ihren Familien in Jerusalem abgeschnitten wären. Elkin erklärte, dass sein Plan unter anderem darauf abziele, die jüdische Mehrheit in Jerusalem zu stärken, und es scheint, dass dies die Hauptmotivation der leitenden israelischen Stellen in ihrem Umgang mit diesen Stadtvierteln ist. In der Zwischenzeit wurde der Plan nicht weiter vorangetrieben, was zum Teil dem Druck aus den Reihen der israelischen Rechten geschuldet ist, die befürchten, dass dies der erste Schritt sein könnte, um die Stadt zu teilen und Teile davon der PA zu überlassen.

Die Behandlung der Palästinenser*innen durch israelische Gesetzeshüter*innen in Ost-Jerusalem

In Jerusalem lebende Palästinenser*innen erleben fast täglich Zusammenstöße mit Polizeibeamt*innen und Inspektor*innen. Von Zeit zu Zeit müssen sie einen Ausweis vorzeigen oder sich einer Leibesvisitation unterziehen. Es ist wahrscheinlich, dass die Person selbst, ein Bruder oder enger Freund oder alle drei, während der ersten Intifada verhaftet oder eingesperrt wurde. Es ist anzunehmen, dass eines ihrer Kinder oder Freunde ihrer Kinder während des letzten Jahres mindestens eine Nacht in Polizeigewahrsam verbracht haben, weil ihnen vorgeworfen wurde, Steine geworfern oder sich an Zusammenstößen mit der Polizei beteiligt zu haben. Die kontrollierte Person und ihre Familie kennen den Geruch von Tränengas und alle Arten von Gummigeschossen und Schockgranaten, die von der israelischen Polizei gegen palästinensische Demonstrationen eingesetzt werden, nur zu gut.

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Polizei-Patrouille in der Jerusalemer Altstadt. 2016. Foto: Activestills

Die Polizei geht harsch gegen palästinensische Demonstrationen in Ost-Jerusalem vor. Im Zeitraum von 2014 bis 2018 wurde ein Minderjähriger getötet und ungefähr 40 Menschen, meist minderjährige, wurden durch von der Polizei verwendete Gummigeschosse schwer verletzt, ungefähr ein Drittel von ihnen erlitten Augenverletzungen. Die vielen Verletzungen wurden mutmaßlich durch Nichteinhaltung der Regeln des Schusswaffengebrauchs (Zielen auf Kinder, Zielen auf den oberen Teil des Körpers, Schießen aus zu geringer Entfernung) verursacht, aber bis heute wurde kein einzige/r Polizist*in für diese Verletzungen vor Gericht gestellt.

Die Staatsanwälte fordern systematisch, dass jede/r Palästinenser*in, einschließlich Minderjähriger, der/die verdächtigt wird, Steine geworfen zu haben, bis zum Ende des Strafverfolgungsverfahrens in Untersuchungshaft kommt.

Ein Vergleich von Gerichtsurteilen zeigt, dass Palästinenser*innen zu härteren Strafen verurteilt werden als jüdische Angeklagte in ähnlichen Fällen. Zum Beispiel wurde ein jüdischer junger Mann wegen eines schweren körperlichen Angriffs auf einen Palästinenser angeklagt. Er wurde für schuldig befunden und zu 400 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Im Gegensatz dazu kann ein junger Palästinenser zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt werden, weil er einen Stein geworfen hat, der keinen Schaden angerichtet hat.

Mitunter reagieren die Jerusalemer Polizei und Stadtverwaltung auf Terrorangriffe mit Maßnahmen, die als Kollektivstrafen angesehen werden. So schloss die Polizei nach einem Terrorangriff in der Nähe der Altstadt beispielsweise hunderte von palästinensischen Geschäften in dieser Gegend für viele Stunden. In Gebieten, in denen Terrorangriffe stattfinden, verfolgt die Stadtverwaltung eine Politik, bei der nach vielerlei Gründen gesucht wird, um palästinensischen Geschäften Bußgelder aufzuerlegen.

(Übersetzt von Ursula Wokoeck Wollin)

Nir Hasson ist in Jerusalem geboren und aufgewachsen und lebt dort auch gegenwärtig mit seiner Familie. Er arbeitet seit langem als Journalist bei der israelischen Tageszeitung Ha’aretz und ist seit 2009 Korrespondent für Jerusalem und Archäologie. Hasson ist der Autor des auf Hebräisch 2017 erschienenen Buchs: Urschalim: Israelis und Palästinenser*innen in Jerusalem, 1967–2017.

Tamar Almog ist Programmmanagerin im Israel-Büro der Rosa Luxemburg Stiftung

Die Hauptquellen

The Association for Civil Rights in Israel (https://www.acri.org.il/en/):

Jerusalem Institute for Policy Research (http://en.jerusaleminstitute.org.il/):

Ir Amim – Für ein gleichberechtigtes und stabiles Jerusalem (http://www.ir-amim.org.il/en):

Weiterführende Links:

Stadtplanung und Stadtentwicklung in Ost-Jerusalem

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