Alternative text missing

Dokumentiert: Zwei Staaten, eine Heimat

Angesichts des eingefahrenen israelisch-palästinensischen Friedensprozesses schlägt eine neue Friedensinitiative ein konföderatives Modell vor

Die Initiative, „Zwei Staaten – eine Heimat“ ist eine ungewöhnliche Allianz aus israelischen Friedensaktivist*innen, einigen palästinensischen Querdenker*innen, aber auch manchen jüdischen Siedler*innen und ultraorthodoxen Juden. Dabei sollen die zwei Völker ihr Selbstbestimmungsrecht durch die Gründung eines palästinensischen Staats in allen besetzten Gebieten realisieren. Beide Staaten sollen zwar unabhängig sein, sie werden aber offene Grenzen für die jeweils andere Bevölkerung haben. Jüdische Siedler*innen können in einem Staat Palästina leben, palästinensische Flüchtlinge bekommen Wohnrecht in Israel. Beide Gruppen bleiben jeweils Bürger*innen ihres eigenen Staates, dessen Regierung sie auch wählen. Die Initiative wird zwar von wenigen Menschen unterstützt, sorgt aber für rege Diskussionen. Widerspruch kommt von links, ebenso wie von rechts. Bilden Sie sich selbst Ihre Meinung - Im Folgenden dokumentieren wir ihr Gründungsdokument.

Wir, eine Gruppe von Israelis und Palästinenser*innen, schlagen hier einen neuen Weg vor, um beide Völker miteinander zu versöhnen, einen Weg, der die Herausbildung von zwei souveränen Staaten in einem offenen Land zur Voraussetzung hat. Eretz Israel[1]/Palästina ist die gemeinsame Heimat von zwei verschiedenen Völkern – den Juden und den Palästinensern –, die beide tiefgreifende historische, religiöse und kulturelle Bindungen an dieses Land haben. Alle, die in diesem geteilten Heimatland leben, haben das gleiche Recht auf ein Leben in Freiheit und in Würde. Jede zukünftige Vereinbarung zur Beilegung des Konflikts muss garantieren, dass diese Rechte für die gesamte Bevölkerung gelten.

Die bisherigen Initiativen zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts – die Teilung des Lands in zwei Staaten oder ein Staat für beide Völker – sind in eine Sackgasse geraten. Mehr als zwanzig Jahre sind seit den Osloer Abkommen vergangen, die den Weg hin zu einer friedlichen Trennung beider Völker ermöglichen sollten. Seitdem haben wir uns eher von einer Lösung entfernt. Anstatt uns anzunähern und endlich ein Übereinkommen zu finden, greifen beide Seiten immer wieder auf das Mittel der Gewalt zurück. Immer wieder kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen und die Menschen verlieren ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Anstatt uns auf die Schuldfrage zu fokussieren, haben wir, eine Gruppe von Palästinenser*innen und Israelis, beschlossen, nach einem neuen Weg zu suchen, wie wir in Zukunft besser zusammenleben können. Der weit verbreiteten Verzweiflung stellen wir eine Vision entgegen, die auf den Prinzipien gegenseitigen Respekts, Gleichheit und Teilhabe basiert.

Wir sind davon überzeugt, dass jedes der beiden hier lebenden Völker – Israelis und Palästinenser*innen – das Recht auf Selbstbestimmung innerhalb eines eigenen souveränen und freien Staats haben sollte, in dem es selbst über sein Schicksal bestimmen kann. Gleichzeitig respektieren wir die tiefe Bindung beider Völker an alle Teile von Eretz Israel/Palästina und vertreten die Position, dass jede Lösung diese Bindung berücksichtigen muss.

Von daher müssen die Grenzen zwischen beiden Staaten durchlässig sein, um die Bewegungsfreiheit aller israelischen und palästinensischen Bürger*innen zu garantieren, unter der Bedingung, dass diese die Rechte der Gesamtheit der Bürger*innen respektieren.

Auf diesen Überlegungen und Überzeugungen aufbauend haben wir, Palästinenser*innen und Israelis, ein gemeinsames Grundsatzprogramm erarbeitet, in dem wir unsere Vorstellungen erläutern, zum Umgang mit der Flüchtlingsfrage, zum zukünftigen Status von Jerusalem sowie zum Verhältnis und der Zusammenarbeit beider Staaten etwa in Form gemeinsamer Einrichtungen. Wir betrachten dieses Dokument als den Ausgangspunkt für eine möglichst breite Diskussion, an der sich alle gesellschaftlichen Spektren beider Bevölkerungsgruppen beteiligen sollen. Wir verfolgen mit unserem Lösungsvorschlag das Ziel der Versöhnung und Wiedergutmachung, ohne dass es dabei erneut zu Unrecht etwa durch die gewaltsame Entwurzelung von Gemeinschaften und Menschen kommt. Unsere programmatischen Vorstellungen sind die Folgenden:

Zwei Staaten, eine Heimat

Eretz Israel/Palästina stellt eine historisch gewachsene und geografische Einheit vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer dar, die in Zukunft aus zwei getrennten souveränen Staaten, dem Staat Israel und dem Staat Palästina, bestehen soll. In diesen beiden Staaten können beide Bevölkerungen ihr Recht auf nationale Selbstbestimmung ausüben. Die Aufteilung der beiden Staaten wird sich an den Grenzen vom 4. Juni 1967 orientieren. Die nach 1967 von israelischer Seite besetzten Gebiete sind vollständig zurückzugeben.

Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit

Beide Staaten sind demokratisch verfasst. Beide sind dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet, erkennen die im Völkerrecht verankerte Allgemeingültigkeit der Menschenrechte an und orientieren sich an den Werten Gleichheit, Freiheit sowie Unverletzlichkeit und Würde allen menschlichen Lebens.

Einwanderung und Einbürgerung

Beide Staaten sollen das Recht haben, für ihr Territorium eigene Gesetze zur Regelung von Einwanderung und des Erwerbs der Staatsbürgerschaft zu erlassen. Dem Staat Palästina steht es frei, nach eigenem Ermessen palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen und einzubürgern, der Staat Israel kann allein über die Einbürgerung von Juden aus der Diaspora entscheiden.

Die Vision von einem offenen Land

    Beide Staaten müssen das Prinzip akzeptieren, dass es sich bei Eretz Israel/Palästina um ein offenes Land handelt, was bedeutet: Die Staatsbürger*innen Palästinas und Israels haben grundsätzlich das Recht, sich frei im ganzen Land zu bewegen und sich überall niederzulassen.

    Dieses Recht wird auf all diejenigen ausgeweitet werden, die im Rahmen neuer Gesetze zu Bürger*innen einer der beiden Staaten werden: Flüchtling in Palästina und Juden in Israel.

    Um diese Vereinbarung vollständig umzusetzen, bedarf es einer engen Zusammenarbeit beider Staaten. Die Umsetzung soll stufenweise erfolgen und jeder Schritt benötigt die Zustimmung beider Seiten.

    Von Beginn an werden beide Seiten das Recht der Bürger*innen des jeweils anderen Staates auf völlige Reise- und Bewegungsfreiheit, das Recht auf freie Wahl des Arbeitsortes und auf freien Handel in allen Teilen des Landes anerkennen.

    Zugleich werden beide Staaten zusammen festlegen, wie groß der proportionale Anteil der Bürger*innen des jeweils anderen Staates sein soll, die in dem eigenen Territorium wohnen dürfen und dort einen Anspruch auf einen dauerhaften Aufenthaltsstatus haben. Solch eine Abmachung würde es israelischen Staatsbürger*innen erlauben, einschließlich derjenigen, die gegenwärtig auf palästinensischem Gebiet leben, den Status von ständigen Bewohner*innen des Staates Palästina zu erlangen, unter der Voraussetzung, dass sie sich bereit erklären, friedlich zusammen mit ihren palästinensischen Nachbarn unter einer souveränen palästinensischen Regierung zu leben. Dieser Vereinbarung würde zugleich Palästinenser*innen, einschließlich derjenigen, die in Zukunft die palästinensische Staatsbürgerschaft erhalten könnten, ein dauerhaftes Niederlassungsrecht in Israel zugestehen, unter der Bedingung, dass sie sich bereit erklären, friedlich zusammen mit ihren Nachbarn in einem souveränen israelischen Staat zu leben.

    Der Teil der Bevölkerung, der in dem Teil des Landes leben würde, über deren Staatsbürgerschaft er nicht verfügt, wäre dazu verpflichtet, alle Gesetze dieses Landes anzuerkennen, friedlich mit seinen Nachbarn zusammenzuleben und sich von allen Handlungen fernzuhalten, die eine Bedrohung für den Staat und die Bewohner*innen des Landes, in dem er sich aufhält, darstellen könnten.

    Die dauerhaft im palästinensischen Staat wohnenden Israelis werden ihr Wahlrecht in Israel und nicht in Palästina wahrnehmen können. Und umgekehrt: Alle dauerhaft im israelischen Staat lebenden Palästinenser*innen sind in Palästina und nicht in Israel wahlberechtigt.

Jerusalem

    Jerusalem soll zur Hauptstadt beider Staaten werden. Die dort wohnenden Palästinenser*innen werden zu Staatsbürger*innen Palästinas und die dort wohnenden Israelis bleiben Staatsbürger*innen Israels.

    Jerusalem erhält den Status einer Stadt, die von allen geteilt wird und die den Bürger*innen beider Staaten offensteht. Eine neu zu schaffende Lokalregierung für die gemeinsame Hauptstadt soll sich aus Vertretern beider Bevölkerungsgruppen zusammensetzen. An der Verwaltung von Jerusalem sind Repräsentanten aller monotheistischen Religionsgemeinschaften und der internationalen Gemeinschaft zu beteiligen.

    Die heiligen Stätten würden gemeinsam von Vertretern der verschiedenen Religionsgruppen und der internationalen Gemeinschaft verwaltet, die Angehörigen aller Glaubensrichtungen hätten ein zugesichertes Anrecht auf freie Religionsausübung.

Sicherheitsfragen

    Beide Staaten müssen sich dazu verpflichten, alle Konflikte zwischen ihnen mit friedlichen Mitteln auszutragen und gegen jede Erscheinungsform von illegaler Gewalt und gegen terroristische Gruppierungen vorzugehen.

    Beide Staaten sind souverän in Bezug auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf ihrem Staatsgebiet und die Gewährleistung der Sicherheit ihrer jeweiligen Bevölkerung. Bewaffnete Milizen und unautorisierte Organisationen sind aufzulösen.

    Auf dem Territorium beider Staaten sind entmilitarisierte Zonen einzurichten, ergänzt durch den Abschluss eines Verteidigungspakts gegen äußere Bedrohungen. Keine ausländische Armee darf das Gebiet des gemeinsamen Landes betreten, es sei denn, es liegt die Zustimmung beider Regierungen vor.

    Einem obersten gemeinsamen Sicherheitsrat kommt die Aufgabe zu, Beschlüsse in Bezug auf Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse zu treffen und deren Umsetzung zu überwachen. Diesem Sicherheitsrat wird eine gemeinsame Streitkraft unterstellt, die unter anderem die Außengrenzen des Landes zu schützen hat.

Gemeinsame Einrichtungen

    Darüber hinaus ist eine Reihe von gemeinsamen Institutionen vorgesehen. Zentral ist die Einrichtung eines gemeinsamen Menschenrechtsgerichtshofs, der als höchste Justizbehörde des Landes für die folgenden Fälle zuständig sein soll:

– Beschwerden von in Israel lebenden Palästinenser*innen gegenüber dem Staat Israel wegen Verstößen gegen ihre Grundrechte sowie Beschwerden von in Palästina lebenden Israelis gegenüber dem Staat Palästina wegen Grundrechtsverletzungen.

– Konflikte zwischen den beiden Staaten hinsichtlich der Rechte ihrer im anderen Staat lebenden Bürger*innen oder Konflikte, die in anderer Hinsicht mit der Vision von einem gemeinsamen Heimatland und entsprechenden Vereinbarungen zu tun haben.

    Es ist zudem eine gemeinsame Institution einzurichten, deren Aufgabe darin besteht, eine minimale soziale Grundsicherung für alle Bewohner des Landes, ob nun Palästinenser*innen oder Israelis, zu gewährleisten.

    Ferner soll eine Behörde geschaffen werden, die damit beauftragt wird, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu steuern und voranzutreiben. Sie wird aus verschiedenen Abteilungen mit den folgenden Zuständigkeiten bestehen: ökonomische Zusammenarbeit, Koordinierung der Zollaktivitäten, Sicherstellung der Freizügigkeit von Arbeitnehmer*innen und des Warenverkehrs, Regulierung der Einwanderung von Arbeitskräften, Infrastrukturentwicklung sowie lokale und internationale Investitionen. Ein Ziel all dieser Aktivitäten ist, die bestehenden Ungleichheiten zwischen den Regionen und zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen auszugleichen.

    Benötigt werden darüber hinaus Einrichtungen, die verantwortlich sind für die Kooperation zwischen beiden Staaten in Bezug auf die Wasserversorgung, den Umweltschutz und den Abbau von Mineralien, wobei das Grundprinzip sein muss, die Ressourcen des Landes gerecht aufzuteilen und das Land und seine Wirtschaft so weiter zu entwickeln, dass die gesamte Bevölkerung gleichermaßen davon profitieren kann.

    Vorgesehen sind weitere Einrichtungen, die dafür benötigt werden, die Vision von "einem Land, zwei Staaten" umzusetzen.

    Die Bevölkerung beider Staaten sind angemessen in all diesen gemeinsamen Einrichtungen und Behörden zu repräsentieren.

Palästinenser*innen mit israelischer Staatsbürgerschaft

Die arabischen Staatsbürger*innen Israels werden im zukünftigen Staat Israel die Rechte einer nationalen Minderheit genießen, das heißt eine bürgerrechtliche Gleichstellung, das Recht auf eine angemessene Vertretung in den Regierungsorganen, eine faire Verteilung staatlicher Ressourcen und eine gebührende Berücksichtigung in den israelisch-palästinensischen Einrichtungen und Behörden. Sollte sich im Staat Palästina eine vergleichbare jüdische Minderheitenbevölkerung herausbilden, sind dieser die gleichen Rechte zuzugestehen.

Entschädigung

Beide Staaten sollen sich auf einen Mechanismus einigen, mit dessen Hilfe privates Eigentum, das im Laufe des israelisch-palästinensischen Konflikts konfisziert worden ist, zurückgegeben wird, und dafür sorgen, dass in den Fällen, in denen dies nicht möglich ist, eine Kompensation erfolgt. Der Grundsatz Rückgabe oder Kompensation sollte möglichst einvernehmlich umgesetzt werden und sich an dem Ziel orientieren, für die vom Konflikt in Mitleidenschaft Gezogenen die bestmöglichste Entschädigung anzubieten. In der Vergangenheit begangenes Unrecht wird nicht dadurch beseitigt, indem man neue Ungerechtigkeiten begeht.

Der Staat Israel und der Staat Palästina sollen außerdem auf die anderen Staaten im Mittleren Osten dahingehend einwirken, dass diese Juden für ihr verlorengegangenes Eigentum in diesen Ländern entschädigen bzw. allen, die das wollen, ermöglichen, in ihre alten Häuser zurückzukehren, sofern dem nicht größere Hindernisse entgegenstehen.

Versöhnung

Es sind Mechanismen zu entwickeln und Maßnahmen zu ergreifen, um eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinenser*innen voranzutreiben. Dazu gehört die Einrichtung gemeinsamer Versöhnungskommittees, deren Aufgabe darin besteht, intensive und umfassende Auseinandersetzungen mit von beiden Seiten begangenem Unrecht in Gang zu setzen und zu moderieren. Die beiden Staaten sollen sich auf ein gemeinsames Programm einigen, mit dem auf verschiedenen Ebene Versöhnungsanstrengungen befördert werden: in den Nachbarschaften, im Bildungswesen und in kulturellen Einrichtungen.

Die internationale Dimension

    Für den Zweck der praktischen Versöhnung ist zudem ein internationales Gremium zu gründen, dem Absprachen beider Staaten entsprechend Vertreter der Arabischen Liga, der Europäischen Union, der Vereinten Nationen und anderer Organisationen angehören sollen. Dieses ist am Umsetzungsprozess der Zwei-Staaten-eine-Heimat-Vision zu beteiligen, ihm kommt dabei vor allem die Aufgabe der diplomatischen, juristischen und wirtschaftlichen Unterstützung und Begleitung zu.

    Die Vision von “zwei Staaten, einem Heimatland” soll über die Integration der beiden unabhängigen Staaten in einem Land hinaus perspektivisch als Grundlage und Rahmen für den Abschluss von Friedensverträgen mit anderen Ländern im Mittleren Osten dienen.

(Übersetzung: Britta Grell, TEXT-ARBEIT)

Empfehlungen zum Weiterlesen

Anmerkungen

[1] Eretz Israel, wörtlich übersetzt Land Israel(s), ist eine traditionelle hebräische Bezeichnung für das historische Heimatland der Juden, in der Bibel meist Land Kanaan genannt, in dem die Israeliten nach biblischer Darstellung sesshaft wurden.