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Sicherer fliegen ohne Waffen

Seit 2010 stationiert die deutsche Bundeswehr fünf israelische HERON 1 in Afghanistan, seit 2016 weitere drei in Mali. Die Drohnen stammen von Israel Aerospace Industries (IAI) und gehören zur sogenannten MALE-Klasse („Medium Altitude Long Endurance“). Gemeint sind Langstreckendrohnen mit einem Abfluggewicht über 600 Kilogramm, die mehr als 20 Stunden in der Luft bleiben und in einer Einsatzhöhe zwischen 5.000 und 14.000 Metern operieren können.

Die HERON 1 sind unbewaffnet, zur „Abbildenden Aufklärung in der Tiefe des Einsatzgebietes“ fliegen sie für die Bundeswehr vor allem über ihren Militärbasen oder begleiten Patrouillen. Hierfür sind die unbemannten Luftfahrzeuge mit optischen und infrarotbasierten Kameras sowie einem Radar zur tageslichtunabhängigen Beobachtung ausgestattet. Oft kreisen die HERON 1 stundenlang in der Luft, der Bundeswehr zufolge können sie ein Gebiet über mehrere Hundert Kilometer weit überwachen. Zur Ausrüstung gehört außerdem ein Lasermarkierer, mit dem Bodentruppen über mögliche Gefahren oder Ziele für Angriffe am Boden informiert werden können.

Warten auf die EURODROHNE

Bei der Bundeswehr war die HERON 1 ursprünglich als „Zwischenlösung“ geplant, bis europäische Rüstungskonzerne die seit 2012 unter Federführung von Airbus entwickelte EURODROHNE in Serie produzieren können. Das europäische System sollte den Plänen zufolge bereits ab 2020 einsatzbereit sein, verzögert sich aber um inzwischen acht Jahre. Die Bundeswehr verlängert den Betreibervertrag für die HERON 1 deshalb jährlich. Hauptauftragnehmer war zunächst die deutsche Firma Rheinmetall, die das Geschäft mit der HERON 1 aber an den deutschen Zweig des Airbus-Konzerns abgegeben hat.

Die deutschen Besatzungen der HERON 1 werden indes von den israelischen Luftstreitkräften am Stützpunkt Ein Shemer ausgebildet. Inzwischen haben in Ein Shemer weit über einhundert Piloten und mindestens eine Pilotin eine Fluglizenz erhalten. Zu einer Drohnencrew gehören außerdem Nutzlastbediener*innen, die für die mitgeführten Sensoren zuständig sind. Die Luftwaffenbasis in Ein Shemer liegt nur wenige Kilometer von den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten entfernt, es ist unklar ob diese bei der Ausbildung durch das deutsche Personal überflogen werden. Dies würde eine indirekte Anerkennung der israelischen Hoheit über die Gebiete bedeuten.

Airbus fliegt für Frontex

Die jährlichen Kosten für die Stationierung der HERON 1 in Afghanistan und Mali betragen rund 40 Millionen Euro pro Einsatzgebiet. Dort ist Airbus für die Logistik, Wartung und Reparatur der Drohne zuständig und führt anschließend die notwendigen technischen Prüfflüge durch. Auch im militärischen Einsatz werden die Drohnen durch Airbus-Personal gestartet und gelandet, die Luftwaffe übernimmt die Steuerung erst ab einer Höhe von 100 Metern.

Die langjährige Erfahrung mit den von der Bundeswehr eingesetzten HERON 1 zahlt sich aus. Erst kürzlich hat Airbus einen weiteren Betreibervertrag mit der EU-Grenzagentur Frontex abgeschlossen. Nach einem Pilotprojekt soll der Rüstungskonzern zwei Jahre lang das zentrale Mittelmeer mit einer HERON 1 überwachen. Frontex will damit unter anderem Geflüchtete in der libyschen Seenotrettungszone aufspüren, damit diese von der dortigen Küstenwache aufgegriffen und nach Libyen zurückgeholt werden. Airbus erhält hierfür 50 Millionen Euro, der Vertrag könnte um weitere zwei Jahre verlängert werden.

Pläne für israelische „Kamikazedrohne“

Bis 2011 hatte die Bundeswehr zusammen mit Rheinmetall an einem bewaffneten Drohnensystem geforscht, das im Verbund mit einer HAROP von IAI eingesetzt werden sollte. Die als „Kamikazedrohne“ bezeichnete Drohne kann mehrere Stunden über feindlichem Gebiet kreisen und gilt deshalb im Militärjargon als „herumlungernde Munition“ („Loitering Munition“). Ursprünglich wollte das Verteidigungsministerium 42 HAROP beschaffen, die Einsatzbereitschaft war ab 2013 vorgesehen. Am Ende entschied sich die Bundesregierung jedoch gegen das israelische System.

Anfang 2013 hat die Bundesregierung die Fortführung ihrer Kampfdrohnenpläne öffentlich gemacht und angekündigt, bewaffnete Drohnen der MALE-Klasse anschaffen zu wollen. Zum damaligen Zeitpunkt waren IAI mit der HERON TP und der US-amerikanische Rüstungskonzern General Atomics mit der PREDATOR („Raubtier“) weltweit die einzigen Hersteller großer „kampferprobter“ Drohnen. Die HERON TP wurde in ihrer bewaffneten Version noch nie exportiert, die REAPER hingegen seinerzeit schon von der britischen Luftwaffe geflogen.

Deutsche Luftwaffe für US-Modell

Anfangs hatten Generäle der deutschen Luftwaffe zunächst die PREDATOR favorisiert, die seit 20 Jahren bei der US-Armee im Einsatz ist und auch vom Geheimdienst CIA genutzt wird. In ihrer Weiterentwicklung firmiert sie inzwischen als REAPER („Sensenmann“). Die US-Regierung signalisierte damals ihre Zustimmung für den Verkauf an die Bundeswehr. Trotzdem hat sich die Bundesregierung am Ende für die HERON TP entschieden. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu lobte den Entschluss als „Stärkung der bilateralen Sicherheitsbeziehungen”, der die heimische Verteidigungsindustrie ankurbeln würde. Beobachter*innen vermuteten politische Gründe für die Bevorzugung des israelischen Herstellers, das deutsche Verteidigungsministerium nannte die zögerliche Herausgabe von Unterlagen durch die US-Regierung als Hindernis, da eine luftfahrtrechtliche Zulassung der Drohnen in Deutschland auf diese Weise nicht geprüft werden könne.

Allerdings ist eine Nutzung der HERON TP in Deutschland gar nicht beabsichtigt. Ihre Stationierung erfolgt auf dem Luftwaffenstützpunkt Tel Nof nahe Tel Aviv, wo die Bundeswehr vor zwei Jahren ein Areal bezogen hat. Im Falle eines Einsatzes werden die Drohnen demontiert und per Flugzeug in das deutsche Mandatsgebiet verlegt. Die israelische Luftwaffe hat dieser Kooperation den Namen „Roter Baron“ gegeben. Geehrt wird damit der deutsche Kampfflieger Manfred von Richthofen, der im 1. Weltkrieg die höchste Zahl von Luftsiegen errungen hat.

Airbus sammelt Erfahrung

Ein weiterer Grund für die Bevorzugung der HERON TP liegt vermutlich in der Kompetenz, die Airbus nun erstmals mit bewaffneten Drohnen sammeln könnte. Wie bei der HERON 1 wurde auch der Betreibervertrag für die HERON TP mit dem europäischen Rüstungskonzern abgeschlossen. Tatsächlich lobte das Verteidigungsministerium die Vergabe an Airbus als Aufbau eines „realen industriellen Know-hows bei europäischen Unternehmen“. Auch der damalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages schrieb, die Entscheidung wirke sich günstig auf die Entwicklung der geplanten EURODROHNE aus.

Die Vergabe des Auftrags an IAI erfolgte ohne öffentliche Ausschreibung, dagegen hatte der unterlegene US-Konkurrent zunächst eine Überprüfung bei der Vergabekammer des Bundes und schließlich vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf eine juristische Klärung verlangt. Dort hat das Verteidigungsministerium ein neues Argument für die Entscheidung vorgetragen, die dem Gericht schließlich als Begründung zur Abweisung der Klage von General Atomics diente. Demnach verfüge die HERON TP über eine einzigartige Bewaffnungsfähigkeit, die von der REAPER nicht erfüllt werden könne.

Munition aus israelischer Produktion?

Die deutsche Luftwaffe verlangt die Ausrüstung ihrer Drohnen mit „skalierbarer und abstandsfähiger Präzisionsmunition“. Die Raketen sollen mit einem sogenannten Suchkopf ausgestattet sein, über den die Flugbahn und das Ziel in Echtzeit beobachtet werden können. Die Waffenbediener*innen sollen jederzeit die Möglichkeit haben, den Auftreffzeitpunkt zu verändern oder den Angriff abzubrechen. Außerdem soll es die Munition ermöglichen, noch während des Fluges die Wucht der Detonation einzustellen. Für eine solche Waffe existiert laut dem deutschen Verteidigungsministerium „weltweit nur ein Produkt“. Den Hersteller und das Modell dieser Wunderwaffe hat die Bundesregierung in den Gerichtsunterlagen nicht öffentlich gemacht, ihre Integration sei aber ausschließlich in die deutschen HERON TP möglich. Es liegt also nahe, dass es sich bei den begehrten Raketen um eine israelische Produktion handelt.

Ursprünglich hatte es geheißen, dass die Bundeswehr die in Israel für die HERON TP übliche Munition nutzen soll. IAI produziert beispielsweise Luft-Boden-Raketen für Kampfflugzeuge, die in einer leichteren Version („Mikhol“ und „Mikholit“) auch für den Einsatz an den Kampfdrohnen geeignet sind. 2017 berichtete das Magazin Spiegel, dass die Bundeswehr ohne einen Bundestagsbeschluss zur Bewaffnung der HERON TP 60 für 25 Millionen Euro israelische Lenkraketen einkaufen und damit den langwierigen Zertifizierungsprozess der Waffe beginnen wollte.

Die Bundesregierung hat den Bericht umgehend dementiert. Die in dem Artikel vom Spiegel vorgenommene Beschreibung der Raketen passt auf die Lenkwaffe „Whip Shot“, die vom staatlichen Rüstungskonzern Israel Military Industries (IMI) entwickelt wurde. Der Hersteller zeigte die Rakete 2012 auf einer Waffenmesse in Singapur, angeblich beträgt der Stückpreis 40.000 Dollar.

Milliardenschwerer Vertrag

Die von der Bundeswehr als zweite „Zwischenlösung“ beschafften HERON TP kosten weit über eine Milliarde Euro. Airbus erhält für den Betreibervertrag im Grundbetrieb 717 Millionen Euro. Für die Regierungsvereinbarung mit Israel, die etwa die Stationierung in Tel Nof und die Ausbildung durch die dortige Luftwaffe regelt, fallen 176 Millionen Euro an. Die Verlegung in ein oder zwei Einsatzgebiete soll jeweils 100 Millionen Euro kosten. Die dortigen jährlichen Kosten beziffert das Verteidigungsministerium auf jeweils rund 30 Millionen Euro. Weil die HERON TP bewaffnungsfähig bestellt wurden, wurden außerdem weitere 50 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt für die nötigen Aufhängepunkte von lasergesteuerten Bomben und Raketen fällig.

Ob die Option zur Bewaffnung der HERON TP allerdings wahrgenommen wird, ist in Deutschland seit vielen Jahren strittig. Entsprechende Pläne hegt die Koalition aus Sozial- und Christdemokratie seit zwei Legislaturperioden. In beiden Koalitionsverträgen hatten die schwarz-roten Parteien jedoch angekündigt, die Entscheidung erst nach „ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung“ bzw. nach sorgfältiger Prüfung aller damit im Zusammenhang stehenden „völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen“ entscheiden zu wollen. Die Bundesregierung hat damit anerkannt, dass die Frage der Bewaffnung von Drohnen eine Tür zu neuen Waffensystem aufstößt und deshalb von großer Bedeutung ist.

Der Elefant im Raum

Zwar hat der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages im Sommer 2014 eine Anhörung zu „rechtlichen und ethischen Aspekte bewaffneter Drohnen“ veranstaltet, anschließend verschwand das Thema jedoch für einige Jahre von der Agenda. Im vergangenen Sommer hat das Verteidigungsministerium diese „Drohnendebatte“ wiederbelebt, denn nach derzeitigem Stand soll die Bewaffnung der HERON TP noch vor der Bundestagswahl 2021 entschieden werden. Die Bundeswehr führte deshalb mehrere Livechats und Anhörungen durch, zu denen vorrangig deutsche Militärangehörige und Abgeordnete eingeladen waren. Es fehlten zivile Opfer von Drohnenangriffen anderer Staaten und auch ehemalige Drohnenpilot*innen etwa aus den USA, die als Whistleblower vor dem Drohnenkrieg warnen.

Neue Argumente für die Anschaffung von Kampfdrohnen förderte die kurze „Drohnendebatte“ kaum zutage. So handele es sich dabei nicht um Kampfroboter, stets behalte der Mensch die Entscheidung über den Waffeneinsatz. Völkerrechtlich und verfassungsrechtlich unterschieden sich ferngesteuerte Waffen nicht von Kampfflugzeugen. Schließlich würden nur legitime militärische Ziele angegriffen, „außerrechtliche Tötungen“ lägen jenseits der Tradition der Bundeswehr. Der Elefant im Raum ist hier die USA, die ihre REAPER auch auf dem Hoheitsgebiet anderer Staaten töten lässt und deren Steuerung mit Billigung der Bundesregierung über eine die Relaisstation im deutschen Ramstein durchführt.

Fortschreitende Automatisierung

Das Verteidigungsministerium pocht auf den Schutz seiner Soldat*innen als Argument für die Notwendigkeit von Kampfdrohnen. Diese sind aber keine defensiven, sondern offensive Waffensysteme, sie setzen die Schwelle zum Waffeneinsatz deutlich herab. Die Bundeswehr will dies mit einem Versprechen ihrer Drohnenpilot*innen entkräften, die sich der Bedeutung ihres Handelns „sehr wohl bewusst“ seien. Nur wenige Absätze später beschreibt der Bericht zur „Drohnendebatte“ aber die Wut der Luftwaffe, die in Afghanistan mangels Bewaffnung „zum Zusehen verdammt“ sei. Deshalb sollen bewaffnete HERON TP mit ständigen Flügen im Einsatzgebiet abschrecken und bei Bedarf jederzeit zuschlagen können.

Die deutsche „Drohnendebatte“ wird ohne Kenntnis der späteren Bewaffnung und ihrer tödlichen Wirkung geführt. Auch die Bundeswehr benutzt für den zukünftigen Drohnenkrieg mit israelischen Raketen die Formulierung „chirurgische“ Angriffe, die so präzise seien, dass sie sogar in urbanem Gebiet eingesetzt werden könnten. Die hochgelobten technischen Eigenschaften der hierzu eingesetzten Munition können aber wegen des Geheimhaltungsversprechens gegenüber der israelischen Regierung nicht überprüft werden. Es ist davon auszugehen, dass auch die deutschen Soldat*innen dem Glauben an die „Wunderwaffe“ erliegen, dies dürfte das Ausmaß ihrer tödlichen unbemannten Einsätze noch steigern. Das vielleicht wichtigste Argument gegen die Beschaffung von Kampfdrohnen ist aber die fortschreitende Automatisierung. Immer schnellere Reaktionszeiten unbemannter Waffensysteme zwingen die Soldat*innen, möglichst schneller als ihre Gegner*innen zu antworten. Dies ist nur mit technischen Mitteln erreichbar.

Gespaltene Sozialdemokratie

Nach der „Drohnendebatte“ hatte die SPD auf eine zusätzliche Anhörung im Verteidigungsausschuss des Bundestages gedrungen. Anschließend signalisierten mehrere führende SPD-Politiker*innen grünes Licht zur Beschaffung der Kampfdrohnen, auch die Wehrbeauftragte des Bundestages, ebenfalls Mitglied der SPD, nannte das Thema „entscheidungsreif“. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion forderte die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) anschließend auf, mit der israelischen Regierung über den Kauf der Waffen zu verhandeln und anschließend eine Vorlage für einen Bundestagsbeschluss zu erarbeiten. Noch in diesem Jahr sollen der Verteidigungs- und der Haushaltsausschuss darüber abstimmen.

Allerdings haben die hochrangigen Sozialdemokrat*innen ihre Drohnenrechnung ohne die Partei gemacht. Denn in der SPD ist die Zustimmung zum deutschen Drohnenkrieg keinesfalls Konsens, auch in der Bundestagsfraktion gibt es entschiedene Gegner*innen. Seit Oktober sammelte die linke Strömung DL21 in der Partei Unterschriften gegen die Bewaffnung der israelischen Drohnen, andere Abgeordnete und Parteimitglieder haben einen Offenen Brief gegen die bewaffneten HERON TP verfasst . Mit Erfolg: Mitte Dezember verkündete die SPD-Bundestagsfraktion, dass weiterer öffentlicher Beratungsbedarf über die Anschaffung von Kampfdrohnen bestehe. Dass nun vor der Bundestagswahl im September 2021 eine Entscheidung fällt, ist sehr unwahrscheinlich, was die Bestrebungen, die Bundeswehr wie die USA, Israel, China und die Türkei zur weltweiten Drohnenmacht zu machen, weiter verlangsamt.

Im Herbst 2018 nahm der Autor als Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten an einem Truppenbesuch zweier Parlamentarier der Linksfraktion in Israel teil. Die Bundeswehr gilt als sogenannte Parlamentsarmee, die von Abgeordneten auch im Ausland kontrolliert werden soll. Die Inspektion des deutschen Standorts am Luftwaffenstützpunkt Tel Nof wurde von der israelischen Regierung aus Geheimhaltungsgründen kurzfristig abgesagt, da die Basis für Luftangriffe in Gaza genutzt werden sollte. Besuche erfolgten aber bei der Ausbildung deutscher Soldat*innen in Ein Shemer und bei IAI in Tel Aviv, wo der Konzern die HERON TP produziert.