
US-Präsident Donald Trump mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu während einer Sondersitzung zu Ehren von Präsident Trump in der Knesset, dem israelischen Parlament in Jerusalem, am 13. Oktober 2025. Foto: Yonatan Sindel/Flash90
Zwischen Hybris und Zynismus
Die Inszenierung von Trump und Netanjahu offenbart vor allem Herablassung gegenüber Palästinenser*innen.
Die Bilder aus Washington vom Wochenanfang, die Inszenierung zweier Staatsmänner, die sich gegenseitig Bestätigung und historische Größe zuschreiben, spiegeln Narzissmus und Hybris der Protagonisten. Donald Trump, der sich als Friedensstifter in den Geschichtsbüchern sehen möchte und alle zwei Minuten über seine vorgeblichen friedenspolitischen Erfolge sinniert; Benjamin Netanjahu, der vor allem aus eigenem politischen Überlebenswillen, aber auch aus seiner de-humanisierenden Verachtung palästinensischen Lebens bereit ist, den Völkermord an den Palästinenser*innen in Gaza so weit wie möglich zu verlängern und dafür die Rückendeckung aus Washington benötigt. Dahinter liegt noch Netanjahus Besessenheit, seine Vision einer Neuordnung der Region Westasien durchzusetzen, für die er ebenfalls die militärische Unterstützung Trumps benötigt – wie kürzlich im Krieg gegen Iran. Das Resultat dieser machtpolitischen Konstellation ist also ein Plan, der zwar in wolkiger Sprache als «Friedensplan» deklariert ist, jedoch die Zerstörung palästinensischer Existenz allenfalls verlangsamt und keine Perspektive auf palästinensische Selbstbestimmung eröffnet.
Gil Shohat ist Historiker und leitet seit März 2023 das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Israel.
Inhaltlich enthält der Plan auf den ersten Blick einige Punkte, die durchaus begrüßenswert erscheinen: ein erster Schritt zum Stopp des Völkermords in Gaza, die Freilassung aller israelischer Geiseln – lebendig oder tot – im Austausch gegen Tausende palästinensische Gefangene, das Ende der systematischen Zerstörung von Infrastruktur im Küstenstreifen, ein schrittweiser Rückzug der israelischen Armee, der Einsatz einer internationalen Truppe außerhalb direkter israelischer Kontrolle, sowie die Zusicherung ungehinderter humanitärer Hilfe. All dies könnte – wenn tatsächlich umgesetzt – das unmittelbare Sterben stoppen, die größten Grausamkeiten beenden und zumindest ein kurzes Aufatmen ermöglichen.
Wesentlich ist jedoch was fehlt, wenn es um die Zukunft des Gazastreifens und für Palästina insgesamt geht: die Einbeziehung der Palästinenser*innen selbst. Ihre Stimme bleibt wie so oft ausgeschlossen – als ginge es nicht um ihre unmittelbare Zukunft, sondern lediglich um ein geopolitisches und profitgetriebenes Investitionsprojekt zwischen Israel und den USA mit Hilfe umliegender regionaler Staaten. Statt eines multilateralen Prozesses unter Einbeziehung der Palästinenser*innen, wie die Friedensforschung ihn empfiehlt, erleben wir erneut einen Akt kolonialer Überformung im Gewande eines Friedensplans.
Zugleich offenbart der Plan, was Netanjahu nicht geschafft hat: die vollständige und uneingeschränkte amerikanische Rückendeckung für die messianisch-genozidalen Fantasien seiner radikal rechten Koalition aufrechtzuerhalten. Trump zwang ihn zu Konzessionen, die für rechtsradikale israelische Minister und Siedlervertreter wie Smotrich oder Ben-Gvir zunächst wie ein Tabubruch wirkten: keine Fortsetzung der ethnischen Säuberung im Gazastreifen, kein offenes Festhalten an der Idee einer dauerhaften Vertreibung der Bevölkerung, kein ungehinderter Zugriff Israels auf alle sicherheitspolitischen Hebel infolge des Plans. Zwar versucht Netanjahu bereits, die Vertreter der Siedler*innen-Bewegung, die sich selbst kurz vor der Wiederbesiedlung des Gazastreifens wähnt, zu beschwichtigen, aber der Bruch mit ihren maximalistischen Forderungen ist unbestreitbar.
Doch gerade im «Verkaufen» dieser für die israelische Rechte doch schmerzhaften Kompromisse an seine politische Basis zeigt sich Netanjahus altbekannte Taktik. Wie in den vergangenen Momenten, in denen er sich von Trump Kompromisse abringen ließ, hat er sich im letzten Moment Hintertüren eingebaut, die eine spätere Sabotage dieser strittigen Punkte erleichtern. Dazu zählen vage Vorgaben für den Rückzug der israelischen Armee bis zu einer Pufferzone, unbestimmte Kriterien für die Reform der palästinensischen Autonomiebehörde als Grundlage einer (von Israel stets ausgeschlossenen) Rückkehr in den Gazastreifen, die Zusicherung, in Gaza den «Job zu Ende zu bringen», wenn Hamas nicht alle Punkte des Plans akzeptiert – all dies sind Schlupflöcher, die es erlauben, das Abkommen bei der erstbesten Gelegenheit zu torpedieren. Schon im März 2025 hatte Netanjahu ähnliche Mechanismen genutzt, um die letzte Waffenruhe zu unterlaufen.
Für den Beginn eines gerechten Friedensprozesses braucht es bekanntlich mehr als den Narzissmus zweier Staatsmänner. Es braucht vor allem die Einbeziehung derer, die den höchsten Preis für jahrzehntelange Untätigkeit der westlichen Welt gezahlt haben: die Palästinenser*innen.
Sein größter PR-Erfolg gegenüber der Anhängerschaft in Israel liegt jedoch darin, dass Trump sich – zumindest vorläufig – von der Anerkennung eines palästinensischen Staates distanziert hat. Dabei wächst weltweit gerade die Zahl der Länder, die genau diesen – vor allem symbolischen – Schritt vollziehen, weil sie erkannt haben, dass das jahrzehntelange Abwarten auf ein freiwilliges Ende von Besatzung und Vertreibung seitens Israels ein schwerer strategischer Fehler zu Lasten der Palästinenser*innen, aber schließlich auch der Israelis selbst war. Doch angesichts der totalen Zerstörung Gazas sowie der fortdauernden Vertreibungen und Besiedlung durch Israel im Westjordanland könnte es für eine tragfähige Zwei-Staaten-Lösung nun zu spät sein.
Fast zwei Jahre nach den Anschlägen vom 7. Oktober, nach einer bis heute anhaltenden Zerstörung, die mittlerweile von zahlreichen Expert*innen als Völkermord klassifiziert wird, stehen die Menschen in Gaza und im Westjordanland vor einer grausamen Alternative: entweder fortgesetzte Vernichtung ihrer Heimat oder ein Teilrückzug der israelischen Armee bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Sicherheitskontrolle und ohne jede Aussicht auf Selbstbestimmung.
So bliebe, sollte die Hamas diesen Vorschlag akzeptieren, vom vielbeschworenen Durchbruch letztlich wenig mehr als ein fragiler Waffenstillstand. Und doch stellt sich die legitime Frage, ob dies in der aktuellen apokalyptischen Situation nicht das bessere von zwei Übeln ist, um die Menschen in Gaza vorerst zu retten. Die Inszenierung im Weißen Haus war vor allem ein Spektakel zweier Männer, die sich in ihrer Selbstbezogenheit spiegeln und gegenseitig als historische Gestalten inszenieren. Doch für den Beginn eines gerechten Friedensprozesses braucht es bekanntlich mehr als den Narzissmus zweier Staatsmänner. Es braucht vor allem die Einbeziehung derer, die den höchsten Preis für jahrzehntelange Untätigkeit der westlichen Welt gezahlt haben: die Palästinenser*innen. So bleibt es dabei, dass der Gazastreifen nicht als Grundlage für palästinensisches Leben gesehen wird, sondern als Objekt eines geopolitischen Geschäftsmodells.
Autor:in
Gil Shohat leitet seit März 2023 das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv.

