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Peel-Kommission, Abu Ghosh 1936. Foto: Wikicommons

Geschichtsstunde

Erinnerungen einer Lehrerin an einer jüdisch-israelischen Schule

Adva Selzer ist Historikerin, Mitglied des Vorstands von „Breaking the Silence“ und hat zehn Jahre lang an einer weiterführenden öffentlichen Schule israelische Geschichte unterrichtet. Damals musste sie immerzu eine Brücke schlagen zwischen den staatstragenden und nationalen Lehrinhalten und ihrer universalistischen Weltanschauung. Wenn Schüler*innen zum ersten Mal in ihren Unterricht kamen, hatten sie bereits zehn Jahre des israelischen Bildungssystems hinter sich und etliche nationale Narrative internalisiert, nicht zuletzt über ihre Teilnahme an unzähligen Zeremonien, Festen, Gedenktagen und Wanderungen. Dabei wussten die meisten von ihnen nicht, wie sich die Geschichte auch anders betrachten und erzählen ließe. Versuchte sie Dinge richtigzustellen, so stieß sie oftmals nicht nur auf den Widerstand ihrer Schüler*innen, sondern auch auf den ihrer Kolleg*innen.

Mit ihrem Buch „Geschichtsstunde“ (Arbeitstitel), das 2026 erscheinen wird, gewährt sie uns einen Einblick in ihre damalige Lehrtätigkeit und die Auseinandersetzungen im Unterricht. Damit fordert sie auch uns auf, kritisch zu überprüfen, was wir von der Geschichte des Zionismus sowie der Gründung des Staates Israel und seinem bis heute andauernden Treiben innerhalb und außerhalb der Grünen Linie zu wissen vermeinen.

Der folgende Text ist ein Auszug aus dem dritten Kapitel des Buches „Geschichtsstunde“.  Es befasst sich mit dem letzten Jahrzehnt des britischen Mandats für Palästina (1937–1947). 

                                  * * * 

1936 brach der „Arabische Aufstand“ gegen die britische Kolonialverwaltung in Palästina aus. Hintergrund war die Befürchtung, dass die Briten es den Zionisten ermöglichen würden, das Land seinen angestammten und rechtmäßigen Besitzern, den Palästinenser*innen, zu rauben. Der Boden, den jüdische Migrant*innen aus Europa zugesprochen bekamen, ist unzweifelhaft arabisch gewesen. Die Zahl der Migrant*innen war im stetigen Anstieg begriffen, insbesondere nach Hitlers Machtaufstieg in Deutschland, zu welcher Zeit Juden nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung Palästinas ausmachten. Einen Monat nach dem Beginn des Arabischen Aufstands entschied die britische Regierung, eine königliche Untersuchungskommission (die sogenannte Peel-Kommission) einzusetzen, die den Gründen für den Ausbruch des Aufstands nachgehen und Vorschläge für die Lösung des Konflikts unterbreiten sollte. Im Juli 1937 legte die Kommission ihre Ergebnisse und Empfehlungen vor. Letztere enthielten zwei zentrale Überlegungen: die Teilung des Landes und einen Bevölkerungstransfer. Letzten Endes übernahm die britische Regierung diese Überlegungen nicht, sondern optierte für die Förderung eines binationalen Staates. Sie prägten sich jedoch tief in das zionistische Denken ein und sind bis heute Schlüsselbegriffe im politischen Diskurs Israels geblieben.

In meiner Klasse sind die Themen der Landesteilung und des Bevölkerungstransfers Gegenstand spannender Diskussionen geworden, in deren Verlauf nicht immer leicht zu verdauende Statements zu hören waren. Ich musste einige Anstrengungen aufbringen, um den leidenschaftlichen Fürsprachen eines Bevölkerungstransfers zuhören zu können, ohne selbst in Aufregung zu geraten und in übermäßiger Schärfe zu antworten. Es kam vor, insbesondere dann, wenn die Gewalt im Land zunahm und meine Stimmung entsprechend gedrückt war, dass ich dieser Prüfung nicht standhielt, was ich im Nachhinein stets bereute. 

Im Lehrplan ist für die Behandlung der Peel-Kommission und ihre Schlussfolgerungen, wenn überhaupt, nur wenig Raum vorgesehen, geschweige denn, dass der von ihr angedachte Bevölkerungstransfer Erwähnung fände. Dafür beschäftigt man sich ausgiebig mit dem von den Vereinten Nationen am 29. November 1947 angenommenen Teilungsplan. Bis heute dient dieser Teilungsplan als Rechtfertigung für das, was hinterher, während des Krieges von 1948, geschah.

Auch in den vier Wänden meiner Schulklassen fand der öffentliche Diskurs, an den wir uns bereits gewöhnt haben, seinen Widerhall: Die Palästinenser hätten dem Teilungsplan nicht zugestimmt und deshalb seien sie selbst schuld daran, dass sie mit dem Krieg alles verloren haben. Es berührte mich, als nach mehreren geteilten Unterrichtsstunden auch Stimmen zu hören waren, die diesen Konsens herausforderten, und zwar mit einer ganz einfachen Frage: Und ihr, hättet ihr denn an deren Stelle dem Plan zugestimmt? Es ist nicht weiter erstaunlich, dass diese Frage unbeantwortet blieb. Wie ließe sich auf sie antworten? Hätten die Schüler*innen mit „Ja, klar hätten wir ihm zugestimmt“ geantwortet, so wäre das wenig glaubwürdig erschienen, wussten sie doch bereits, wie die Palästinenser sich angesichts der Erklärung der Zionisten, dass dieses Land ihnen gehöre, gefühlt haben. Wer würde schon freiwillig einen Teil seines Zuhauses an Fremde abgeben, die unter dem Schutz einer fremden Großmacht agieren und behaupten, dass dieses Zuhause eigentlich ihnen gehöre? Hätten sie stattdessen mit „Nein, wie sollte man dem zustimmen können?“ geantwortet, so hätten sie ihre eigene Argumentation untergraben. Eben weil diese Frage nicht so leicht zu beantworten ist, muss sie gestellt werden.

Ich bestand im Unterricht darauf, noch eine weitere Frage, die uns ebenfalls selten bewusst wird, aufzuwerfen: Haben die Zionisten dem Teilungsplan wirklich zugestimmt und vorgehabt, ihn einzuhalten, oder war es nur ein politischer und diplomatischer Schachzug? Vielleicht trifft es zu, dass das Ganze nur ein Schachzug war, ersonnen von erfahrenen und scharfsinnigen Strategen, die genau wissen, dass man „Ja“ sagen und doch das Gegenteil davon tun kann. Dass die Zionisten dem Teilungsplan zugestimmt hätten, ist gleich einer nicht hinterfragbaren Tatsache in unser kollektives Bewusstsein eingeschrieben. Doch gerade deshalb ist es für zum kritischen Denken fähige Menschen wie uns eine Pflicht, dem erneut auf den Grund zu gehen.

Die Peel-Kommission: Der erste Teilungsplan (1937)

Am 18. Mai 1936 beschloss das britische Parlament die Einberufung einer königlichen Untersuchungskommission. Wie bereits erwähnt, sollte sie die Faktoren ausfindig machen, die zum Ausbruch des Arabischen Aufstands geführt hatten, und Empfehlungen für die Lösung des Konflikts vorlegen. Lord Peel wurde zum Leiter der Kommission ernannt, der darüber hinaus sechs weitere Personen angehörten. Im November 1936 erreichten die Kommissionsmitglieder das Mandatsgebiet und arrangierten Treffen mit führenden Vertretern der jüdischen und der palästinensischen Nationalbewegung sowie mit Beamten der Mandatsverwaltung. Ich fragte die Klasse, welche der zwei Parteien von der Peel-Kommission die Beendigung des Mandats und die Überführung des Gebiets in die Unabhängigkeit verlangt habe. Die Palästinenser*innen oder die Juden*Jüdinnen? Die meisten antworteten, dass beide Parteien die Unabhängigkeit gefordert haben.

Es ist richtig, dass beide Seiten die Unabhängigkeit wollten. Doch war der Zeitpunkt ein genauso wichtiger Streitpunkt wie die Forderung nach Aufhebung des britischen Mandats an sich. Die palästinensische Führung plädierte für eine möglichst schnelle Beendigung des Mandats. In den Augen der Palästinenser unterstützte Großbritannien die jüdisch-zionistische Vorherrschaft und trug mit dazu bei, dass sie von ihrem Land vertrieben wurden. In ihren Treffen mit der Kommission haben die Vertreter der palästinensischen Nationalbewegung immer wieder die folgenden Forderungen vorgebracht: Die Idee der jüdischen nationalen Heimstätte muss abgeschafft, die jüdische Einwanderung sowie der Verkauf von Boden an Juden gestoppt, das Mandat beendet und ein unabhängiger palästinensischer Staat errichtet werden. Sie fühlten sich bereit und reif für die Unabhängigkeit. Dabei sahen sie voraus, dass mit dem Fortdauern des britischen Mandats die jüdische Siedlung im Land geografisch, demografisch und ökonomisch erstarken wird, während die Vorbereitungen für einen palästinensischen Staat auf dem gesamten Territorium Palästinas zugrunde gehen werden.

Aus eben genau den Gründen, die die Palästinenser*innen dazu brachten, die umgehende Gründung ihres Staates zu verlangen, bevorzugte die zionistische Führung die Fortdauer des britischen Mandats. Für die Zionisten und den Jischuw, der damals nur etwa 400.000 Menschen zählte und zum eigenständigen Regieren noch nicht in der Lage war, ist die Präsenz Großbritanniens entscheidend gewesen. Die Zionisten fürchteten, dass die Beendigung des Mandats zu diesem Zeitpunkt zur Unabhängigkeit der Palästinenser, aber nicht zu einem eigenständigen jüdischen Staat führen würde. Chaim Weizmann, einer der herausragenden zionistischen Führungspersönlichkeiten, hat mehrere Male vor der Kommission ausgesagt. Einmal tat er es öffentlich, die anderen vier Male hinter verschlossenen Türen und ohne, dass seine Worte nach draußen drangen. In dem Versuch, die Kommission davon zu überzeugen, dass die Palästinenser noch nicht zur nationalen Unabhängigkeit bereit seien, verunglimpfte Weizmann sie in einer seiner geheimen Zeugenaussagen:

Der arabische Nationalismus ist nur eine äußerst grobe Nachahmung der materiellen Seite des europäischen Nationalismus – äußerst grob, sage ich. Sie übernehmen die äußerlichen Formen; sie übernehmen, wenn ich das so sagen darf, die Maschinengewehre, aber nicht den ethischen Gehalt, nicht die „Renaissance“, die normalerweise mit dem Nationalismus verbunden ist […] Im Land Israel ist nicht ein Bild, Gemälde oder Buch zu finden, das von einem arabischen Nationalisten gemalt oder geschrieben worden wäre. Ihre Liebe zu ihrem Land kommt weder in literarischen Werken noch in irgendeiner anderen ethischen Errungenschaft zum Ausdruck, sondern nur in Maschinengewehren und dem sehr erfolgreichen Gebrauch von auf illegalem Wege erworbenen Dynamit […] Es ist ein Volk, das wegen seines Mangels an Kultur, seines Mangels an Stabilität und seines Mangels einer größeren Vision jede Sache in Negativität und Hast angeht. Es ist eine nervöse Rasse, sie sind sehr niedergeschlagen und deshalb werden sie leicht übermütig.[1]

Wenn man ein solches Zitat auf eine Klassentafel projiziert, dann erregt das unter den Schüler*innen natürlich Unruhe. Der Rassismus ist zu krass, ja sogar überraschend. In der Öffentlichkeit hätte Weizman solche rassistischen Äußerungen mit Sicherheit unterlassen, verstand er aufgrund seines ausgeprägten politischen Gespürs doch nur zu gut, dass derartige Gedanken dazu angetan sind, dem Zionismus zu schaden und seine Legitimität innerhalb der internationalen Gemeinschaft zu schwächen. Das ungute Gefühl, das man beim Lesen des Zitats von Weizmanns hat, wird noch stärker, sobald man es vor dem Hintergrund dessen betrachtet, was in jenen Jahren in Nazideutschland geschah. Der Antisemitismus sieht in den Juden unter anderem eine Rasse, der es an Ethik, seelischer Stabilität und Kultur mangeln würde.

Im Juli 1937 veröffentlichte die Peel-Kommission ihren Abschlussbericht, in dem sie ihre Empfehlungen auseinanderlegte. Diese basierten auf der Grundannahme, dass das britische Mandat zu keiner Lösung des Konflikts zwischen den beiden Völkern führen würde und deshalb beendet werden müsse. Angesichts der sich widersprechenden Verpflichtungen, die Großbritannien gegenüber den Palästinensern auf der einen und der zionistischen Bewegung auf der anderen Seite eingegangen war, konnte es nur eine Lösung geben: die Teilung des Landes in zwei getrennte Staaten. Die Teilung sollte nach den folgenden Prinzipien erfolgen:

  1. Auf nur etwa 20 Prozent der Fläche von Palästina-Eretz Israel sollte ein unabhängiger jüdischer Staat gegründet werden.
  2. Ein unabhängiger arabischer Staat war auf beiden Seiten des Jordans zu gründen; dieser sollte die restlichen 80 Prozent der Fläche von Palästina-Eretz Israel umfassen.
  3. Das britische Mandat musste beendet werden; an dessen Stelle war ein neues Mandat für Jerusalem und Bethlehem sowie für einen Korridor, der Jerusalem und Jaffa verbinden und somit den zukünftigen jüdischen Staat in zwei Teile teilen wird, zu errichten.
  4. Wichtige christliche Zentren im Norden des Landes – etwa Nazareth, Haifa und die Region von Tiberias – sollten teilweise unter britischer Kontrolle bleiben.
  5. Zwischen den beiden neuen Staaten musste die Übertragung von Bodenrechten geregelt werden. Dabei handelte es sich um Flächen im Umfang von etwa drei Millionen Dunam (etwa 3.000 km2), die sich im Privatbesitz von Palästinenser*innen befanden, von diesen aufzugeben und dem jüdischen Staat zuzuteilen waren. Diese Übertragung von Bodenrechten würde notwendig zu einem „Bevölkerungsaustausch“ von etwa 225.000 Palästinenser*innen und etwa 1.250 Juden*Jüdinnen, die innerhalb der zukünftigen Grenzen des jeweils anderen Staates lebten, führen.

Ich hatte die Frage, was mit dem Begriff „Bevölkerungsaustausch“ gemeint war, noch gar nicht zu Ende gestellt, da rief einer der Schüler bereits: „Transfer“. Genau, ein Massentransfer von etwa 25 Prozent der palästinensischen Bevölkerung. Das war nicht das erste Mal, dass die Briten in den Kolonien ihres Imperiums eine Teilung als Problemlösung vorschlugen. Der Peel-Kommission war im Jahr 1921 die Teilung Irlands vorangegangen. Damals wurde der freie und unabhängige Staat Irland gegründet, allerdings ohne den Norden Irlands, der Teil des Vereinten Königreichs blieb. Diese Teilung wurde zum Modell für alle weiteren Teilungspläne innerhalb des britischen Imperiums und somit auch für die Peel-Kommission. Doch in der Teilung Irlands lässt sich wohl kaum ein bahnbrechender Erfolg erblicken, hatte sie doch einen blutigen Bürgerkrieg (1922–1923) zur Folge. Ende der 1960er-Jahre begann ein gewaltvoller Konflikt in Nordirland, der 30 Jahre andauerte und den Tod von mehr als 3.000 Menschen forderte.[2] Es ist somit leicht nachvollziehbar, warum Éamon de Valera, der damalige Regierungschef des Irischen Freistaats, bei einer Zusammenkunft des Völkerbundes 1937 in Genf den Teilungsplan der Peel-Kommission kritisierte. Für ihn war die Teilung von Territorium das gefährlichste und schlimmste Unrecht, das man einem Volk antun könne[3]. Mit einer Teilung, so prophezeite er, würde sich das jüdisch-palästinensische Problem nur immer weiter verschärfen. De Valera griff in seiner Rede auch Großbritannien an, dessen Regierung er die Schuld für den Konflikt gab.[4]

Auch die Idee eines Bevölkerungstransfers, die die Peel-Kommission in ihrem Bericht aufbrachte, war nicht neu. Die Kommission selbst rechtfertigte sie mit Verweis auf einen Präzedenzfall kurz nach dem Ersten Weltkrieg. 1923 wurden nicht weniger als 1,3 Millionen Griechen gewaltsam von ihren Grundstücken und aus ihren Häusern in der Türkei vertrieben und nach Griechenland gebracht; auf dieselbe Weise wurden etwa 400.000 Türken von Griechenland nach der Türkei geschafft. Dieser Massentransfer nahm ungefähr eineinhalb Jahre in Anspruch. Die Peel-Kommission sah darin eine gelungene Probe, die ihren Plan bekräftige. Griechen und Türken erfuhren diesen sogenannten Erfolg ganz anders. Eine aus einer Kleinstadt im Norden Griechenlands stammende Frau, die während des Bevölkerungstransfers 14 Jahre alt war, teilt uns das Folgende mit:

Ich erinnere mich noch an die Zeit, bevor die Muslime [die Türken] unsere Kleinstadt 1924 verlassen haben. Sie sprachen Griechisch und lebten von den gleichen Arbeiten wie wir; sie waren Kleinhändler und Ladenbesitzer oder züchteten Schafe und Ziegen. Ich erinnere den Tag, an dem sie fortgingen. Einige küssten den Boden, andere nahmen mit Erde befüllte Gefäße mit sich. Es waren anständige Leute, die Männer nahmen für gewöhnlich an unseren Beerdigungen teil und an den verschiedenen Festtagen beschenkten wir uns gegenseitig mit Speisen. Oft richteten sie sich freundlich an uns und sagten, dass sie jede Speise, die wir ihnen brächten, annehmen würden, solange es kein Schweinefleisch sei. Es waren ganz normale Menschen und sie weinten, als sie uns verließen.[5]

Wie haben die beiden Parteien auf den Plan der Peel-Kommission reagiert? Ich wandte mich mit dieser Frage erneut an die Klasse und versuchte, die historische Imagination der Schüler*innen anzuregen. Oft einigten sich diese am Ende längerer Diskussion darauf, dass die Palästinenser vor allem wegen des Bevölkerungstransfers gegen den Plan gewesen seien, während die Zionisten aufgrund der vorgesehenen Aufteilung des Territoriums gegen ihn opponiert hätten. Die Palästinenser haben sich in der Tat entschieden gegen sämtliche Empfehlungen der Kommission gewandt. Für die Initiatoren des Arabischen Aufstands entbehrte der Plan, einen jüdischen Staat in Palästina zu errichten, und sei es auch nur auf 20 Prozent des Territoriums, jeder Logik und jeder Rechtfertigung. Der angedachte Transfer von etwa einem Viertel der palästinensischen Bevölkerung, die seit unzähligen Generationen in diesem Land lebte, wurde als schreckliches Unrecht verstanden. Nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der Peel-Kommission ging der Arabische Aufstand weiter, in welcher Phase sich der palästinensische Kampf gegen die Mandatsregierung noch verstärkte und auch die Angriffe auf den Jischuw zunahmen, bis sie 1939 sehr gewaltvoll von den Sicherheitskräften der Mandatsregierung unterbunden wurden.

In der zionistischen Führung lösten die Empfehlungen der Peel-Kommission etliche stürmische Debatten aus. Linke und Rechte waren sich einig darin, dass das ganze Land, die Gebiete östlich des Jordans inbegriffen, aus historischen Gründen dem jüdischen Volk zustehen würde. 1921 hatten die Briten das Ostjordanland dem jordanischen König Abdallah übertragen. Die revisionistische Bewegung lehnte die Abtrennung des Ostjordanlandes vom zukünftigen Territorium des jüdischen Nationalheims kategorisch ab. „Beide Ufer des Jordans – so wie dieses, so gehört uns auch jenes“[6], sagten Jabotinsky und seine Anhänger, und meinten damit, dass sie ihnen auf ewig gehören würden. Der Plan einer zusätzlichen Teilung des Landes, in deren Folge nicht mehr als 20 Prozent für den jüdischen Staat übrigbleiben würden, musste demnach Wut und entschiedenen Widerstand unter ihnen hervorrufen. Religiöse Zionisten traten aus religiösen sowie nationalen Motiven ebenfalls in Opposition zum Teilungsplan. Rabbiner, die sich mit dem religiösen Zionismus identifizierten, trafen halachische Entscheidungen, in denen es hieß, dass die Unterstützung einer Teilung religiösem Recht widerspreche.[7] Die Mitglieder der sozialistischen Bewegung HaKibbutz HaMe’uchad („Das geeinte Kibbutz“) wiederum sprachen sich gegen die sofortige Gründung eines jüdischen Staates aus. Man sollte stattdessen die jüdische Besiedlung intensivieren und sie auf das ganze Land ausweiten. Die Bewegung HaSchomer HaTza’ir („Der junge Wächter“), die sich für einen binationalen Staat Palästina-Eretz Israel einsetzte, war aus ganz eigenen Gründen gegen die Idee, das Land zu teilen und die es bewohnenden Völker voneinander zu trennen.

Chaim Weizmann und David Ben-Gurion, in jenen Jahren die wichtigsten Führungspersönlichkeiten der zionistischen Bewegung, gehörten allerdings zu denjenigen, die generell davon überzeugt waren, dass die Teilung des Landes die Voraussetzung für die Lösung des Konfliktes sei. Doch war für sie diese Lösung lediglich eine provisorische. Für Ben-Gurion war dies nur die erste Stufe auf dem Weg hin zur Umsetzung der zionistischen Idee: zuerst ein kleiner jüdischer Staat, der sich mit der Zeit erweitern und letztendlich das ganze Land, ja vielleicht sogar Gebiete jenseits des Jordans umfassen würde. Im Oktober 1937 erklärte Ben-Gurion seinem Sohn Amos in einem Brief, warum er den Teilungsplan als ersten Schritt unterstützte:

Meine Annahme ist – und deshalb bin ich ein vehementer Verfechter des Staates, auch wenn er zunächst geteilt werden muss –, dass ein jüdischer Teilstaat nicht das Ende bedeutet, sondern lediglich einen Anfang darstellt […] Wir werden so viele Juden in den Staat bringen wie nur möglich […] Wir werden eine weitverzweigte jüdische Wirtschaft aufbauen […] Wir werden hochentwickelte Verteidigungskräfte aufstellen, eine ausgezeichnete Armee […] Ich bin mir sicher, dass es uns dann möglich sein wird, die restlichen Teile des Landes zu besiedeln, ob im gegenseitigen Einvernehmen mit unseren arabischen Nachbarn oder auf anderem Wege […] Deshalb bin ich innerlich in keiner Weise zerrissen. Mein Verstand und mein Gefühl sagen mir: Wir müssen sofort einen jüdischen Staat errichten, auch wenn dies nicht gleich im ganzen Land möglich sein sollte, der Rest kommt mit der Zeit, ja, er muss kommen.[8]

Hier haben wir den erste Riss in einer Grundannahme, die die meisten von uns hegen: nämlich, dass wir Zionisten jederzeit einem Kompromiss zustimmen würden. Ben-Gurion versicherte seinem Sohn explizit, dass die Zustimmung zum Teilungsplan das Erreichen des finalen Ziels bloß aufschiebe. Diese Zustimmung ist also ein Ablenkungsmanöver. Mit ihr beteiligt man sich am diplomatischen Spiel, um sich vor der internationalen Gemeinschaft zu legitimieren und den Eindruck zu erwecken, dass der Zionismus eine moderate und kompromissbereite Nationalbewegung ist, die niemandem Böses will. Wie aus jenem Brief deutlich wird – denn was er ankündigte, entsprach der Realität –, bereitete sich der Jischuw hinter den Kulissen weiterhin tatkräftig auf die endgültige Eroberung des ganzen Landes vor, auch wenn dies die Vertreibung der Palästinenser aus ihrem Heimatland erfordern sollte.

Wie andere Dokumente, die unsere Grundannahmen und Überzeugungen erschüttern, so führte auch dieser Brief viele Male zu einer automatischen Abwehrreaktion seitens der Schüler*innen. Nicht nur einmal waren in der Klasse Rufe zu hören wie: Aber so läuft es nun einmal in der Welt! Alle verhalten sich so! Mit ihnen versuchen sie, das zerplatzte kollektive Selbstbild notdürftig zu kitten. Aber wenn es stimmt, dass es überall so in der Welt läuft, weshalb hielt Ben-Gurion es dann für ratsam, jene in einem Brief an seinen Sohn geäußerten Gedanken zu verheimlichen und sie aus seiner Sammlung von Familienbriefen, die er 1968 herausgab, zu entfernen? Diese Frage warf ich in den offenen Raum und vergrößerte so den bestehenden Riss.

Im August 1937 fand in Zürich der 20. Zionistenkongress statt. Im Verlauf der stürmischen Diskussionen rund um die Empfehlungen der Peel-Kommission hielt Ben-Gurion eine Rede, in der er sich nicht nur auf den Teilungsplan bezog, sondern auch auf die Idee eines Bevölkerungstransfers, wie ihn die Briten vorgeschlagen hatten:

Wir müssen unbedingt überprüfen, ob ein Transfer möglich ist, ob er notwendig und ethisch vertretbar ist und ob er einen Nutzen birgt. Bisher fand ein Bevölkerungstransfer in der Jesreelebene, in der Scharonebene und an anderen Orten statt. Die diesbezüglichen Aktivitäten des Jüdischen Nationalfonds sind euch bekannt. Jetzt muss der Transfer einen ganz anderen Umfang annehmen. In vielen Teilen des Landes ist eine neue jüdische Besiedlung nur dann möglich, wenn die arabischen Fellachen weggebracht werden. Die Kommission [die Peel-Kommission] hat sich ernsthaft mit dieser Frage beschäftigt, und es ist wichtig, dass der Plan von der Kommission vorgebracht wird, und nicht von uns. Uns würde man nicht glauben […] Ein Bevölkerungstransfer ist die Voraussetzung für einen umfassenden Besiedlungsplan. Zu unserm Glück verfügt das arabische Volk über riesige unbewirtschaftete Ländereien. Die stetig zunehmende jüdische Macht im Land vergrößert unsere Chancen, einen umfangreichen Bevölkerungstransfer in die Tat umsetzen zu können.[9]

Dieses Zitat wurde mit Absicht aus den offiziellen Protokollen des 20. Zionistenkongresses entfernt. In den stenografischen Originalen der Reden ist es jedoch erhalten geblieben und so in die Hände von Forscher*innen gelangt. Es eignet sich ausgezeichnet, um den Schüler*innen die Überlegungen vor Augen zu führen, die sich hinter der öffentlichen zionistischen und israelischen Diplomatie verbergen.[10] Was sagt Ben-Gurion hier im Endeffekt? Wie fasst er die Tätigkeit des Jüdischen Nationalfonds seit dessen Gründung auf? Welche Aufgabe sieht er für die jüdischen Streitkräfte vor? Bestätigen seine Worte die Behauptung der Palästinenser, dass der Zionismus ihre Enteignung und Vertreibung beabsichtige?

Aus diesen historischen Fragen werden in der Klasse solche, die sich in den Bereichen der Ethik und der Politik bewegen – Ist die Idee des Transfers eurer Meinung nach ethisch rechtfertigbar? Ist ein Bevölkerungstransfer überhaupt möglich, und wenn ja, wie wäre er durchzuführen? Ist es das, was wir wollen? Die Diskussionen über diese Fragen waren weniger kontrovers als ich erwartet hatte. Die politisch rechtsgesinnten Schüler*innen sagten, dass sie gar nicht verstehen würden, was eigentlich das Problem sei, und priesen diese Herangehensweise sogar noch. Die kleine Zahl der Schüler*innen, die sich nicht mit dem Zionismus identifizieren, wurden angesichts jener Rede Ben-Gurions in ihren Auffassungen bestärkt, während diejenigen, die sich mit der zionistischen Linken identifizieren, sich schwertaten, die Rede zu verdauen, und kaum an der Debatte teilnahmen.

Im Gegensatz zu meiner Klasse verliefen die Auseinandersetzungen zwischen den Gegnern und den Befürwortern des Teilungsplans auf dem erwähnten Zionistenkongress überaus stürmisch. Der letzten Endes verabschiedete Beschluss verwarf den von der Peel-Kommission vorgeschlagenen Teilungsplan vorerst. Er erteilte der Möglichkeit einer territorialen Teilung und der Gründung eines jüdischen Staates in einem Teil von Eretz Israel jedoch keine komplette Absage. Auch in anderen Kontexten befasste sich die zionistische Führung mit der Idee des Bevölkerungstransfers. Dies geschah zum Beispiel in der Jewish Agency, in deren Geschäftsleitung in etwa die folgenden Aussagen zu hören gewesen sein werden: „Ich glaube nicht an einen Transfer von Einzelnen. Woran ich glaube, ist ein Transfer von ganzen Dörfern.“  (Arthur Ruppin) „Wenn man mich fragt, ob es ethisch vertretbar sei, 60.000 Familien von ihren Wohnorten wegzuschaffen und sie zu einem anderen Ort zu bringen, wobei man ihnen die Mittel gibt, um sich dort niederzulassen, so sage ich – ja, das ist ethisch vertretbar.“ (Menachem Ussischkin) „In dem Plan der Peel-Kommission sah ich zwei gute Dinge: die Idee des Staates und das Konzept eines mit Zwang durchzusetzenden Transfers […] Ich bin für einen mit Zwang durchzusetzenden Transfer. Ich sehe darin nichts Unethisches.“ (Ben-Gurion)[11]

Als die britische Regierung 1939 vom Teilungsplan, und damit auch von einem Bevölkerungstransfer, Abstand nahm, war für Ben-Gurion klar, dass diese Diskussionen nicht nur nicht an die Öffentlichkeit geraten durften, sondern auch, dass man sie selbst hinter den Kulissen vermeiden musste. Er befürchtete, dass die zionistische Bewegung andernfalls Schaden nehmen und ihre Forderungen an Legitimität verlieren würden. Trotz allem Verdecken und Verleugnen hat die Idee des Transfers jedoch niemals ihre Anziehungskraft verloren und beschäftigt die zionistische und israelische Führung sowie politische Entscheidungsträger*innen bis heute.[12]

Aus dem Hebräischen übersetzt von Christoph Hopp

Anmerkungen

[1] Zitiert in Heller, Joseph: Weizmann, Jabotinsky und die arabische Frage. Der Fall der Peel-Kommission“ [Hebräisch], in: Zmanim 11 (1983), S. 81.

[2] Beiner, Guy: Die Teilung Irlands zeigt: Man kann Menschen nicht zum Vergessen zwingen [Hebräisch], in: Haaretz-Blog: Werkstatt für Sozialgeschichte (18.9.2017), https://www.haaretz.co.il/blogs/sadna/2017-09-18/ty-article/0000017f-f8d0-d887-a7ff-f8f4e9220000 

[3] Eliash, Shulamit: De Valera und der Teilungsplan für Eretz-Israel [Hebräisch], in: Cathedra 97, 2000, S. 122.

[4] Ebd., S. 128.

[5] Clark, Bruce: Twice a Stranger: The mass expulsions that forged modern Greece and Turkey, Cambridge 2006, S. 228. 

[6] Dieser Vers stammt aus Jabotinskys Gedicht „Die linke Seite des Jordans“ [Hebräisch].

[7] Omer, Irad: Die Teilung Eretz Israels: Die kleine und die große Kontroverse [Hebräisch], Masterarbeit, Universität Haifa, 2017, S. 7.

[8] Aus einem Brief von Ben-Gurion an seinen Sohn Amos, London, 5.10.1937. Zitiert in Ein-Gil, Ehud: Diese Aspekte des Teilungsplans gelten noch immer [Hebräisch], in: Haaretz, 25.11.2015, https://www.haaretz.co.il/magazine/2015-11-25/ty-article/.premium/0000017f-e2d9-d75c-a7ff-feddfae80000?fromLogin=success 

[9] Morris, Benny: Anmerkungen zur zionistischen Geschichtsschreibung und der Idee des Bevölkerungstransfers in den Jahren 1937-1944 , in: Weitz, Yechiam (Hg.): Zwischen Vision und Revision: Hundert Jahre zionistische Geschichtsschreibung [Hebräisch], Jerusalem 1997, S. 199.

[10] Ebd.

[11] Vgl. Segev, Tom: Die Tage der roten Barette: Das Land Israel zur Zeit des Mandats [Hebräisch], Jerusalem 1999, S. 329.

[12] Hasson, Nir: Die Rede von der Besiedlung Gazas ist nur ein Deckmantel, im Zentrum des Massenkongresses steht der Transfer [Hebräisch], in: Haaretz, 29.1.2024, https://www.haaretz.co.il/news/politics/2024-01-29/ty-article-magazine/.premium/0000018d-516a-d12b-afcd-d1fe12910000 

Autor:in

Adva Selzer ist Historikerin und ehemalige Lehrerin im Fach israelische Geschichte. Zudem ist sie Mitglied des Vorstandes von Breaking the Silence („Das Schweigen brechen“). Gemeinsam mit der NGO Zochrot („Erinnern“) gab sie 2016 den Band „Schuruch – Risse in der Geschichte“ heraus. Dieser Band ist eine Toolbox, die ergänzende Informationen für den Geschichtsunterricht in der 11. Klasse enthält. Ihr Buch „Geschichtsstunde“ (Arbeitstitel) wird 2026 erscheinen.

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