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Demonstrant*innen bei den wöchentlich stattfindenden Anti-Regierungsprotesten in Tel Aviv, 11. März 2023. Foto: ActiveStills

Proteste für ein besseres Israel

Gregor Gysi über die Pläne der rechten Regierung in Israel

Israel befindet sich in einer tiefen Krise. Seit der vergangenen Knesset-Wahl regiert eine Koalition konservativer und rechtsextremer Parteien mit knapper Mehrheit. Sie greifen Demokratie und Rechtsstaat an. Zunächst mit einem Gesetz, wonach ein Ministerpräsident nicht zurücktreten muss, wenn er rechtskräftig verurteilt worden ist. Allerdings kann dieses Gesetz vom Obersten Gericht noch aufgehoben werden. Außerdem soll eine Justizreform der Regierung ermöglichen, die Mehrheit der Richter*innen zu bestimmen. Gleichzeitig soll eine Mehrheit des Parlaments berechtigt sein, Entscheidungen des Obersten Gerichts aufzuheben. Das wäre das Ende der Gewaltenteilung.

Die Auseinandersetzungen zu diesen Fragen haben sich enorm verschärft. Hunderttausende Menschen demonstrieren gegen diesen markanten Abbau der Demokratie. Inzwischen gibt es aber auch Demonstrationen von Rechten. Staatspräsident Jitzchak Herzog sprach zuvor sogar von der Möglichkeit eines Bürgerkrieges.

Herzog hat die Regierung immer wieder aufgefordert, die Justizreform zurückzustellen und einen Kompromiss mit der Opposition zu suchen. Als der Verteidigungsminister sich auf diesen Vorschlag einließ, wurde er von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu entlassen. Das hat die Stärke der Demonstrationen für Demokratie anschwellen lassen. Inzwischen musste Netanjahu diese Entscheidung zurücknehmen.

Gegen die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit antretenden Demonstrant*innen wird der Vorwurf erhoben, dass sie national bis nationalistisch mit vielen israelischen Fahnen auftreten. Ich verstehe das anders. Sie wollen damit sagen, dass sie das bessere Israel darstellen.

Allerdings spielt die Frage der Palästinenser*innen bei der Auseinandersetzung so gut wie keine Rolle. Letztlich sind aber Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit Besatzung niemals wirksam durchzusetzen.

Seit Jahrzehnten gibt es keine politische Lösung. Das ist unhaltbar. Es gab eine Verständigung zwischen Israel und Palästina in Ägypten zur Deeskalation. Aber die rechtsextremen Minister weigerten sich, die Verabredung umzusetzen. Es ist nicht so, dass Netanjahu sich mit all seinen Wünschen durchsetzt, sondern die anderen setzen sich auch gegen ihn durch, benutzen ihn.

Für die Verschiebung der Justizreform musste Netanjahu einen weiteren Kompromiss eingehen. Rechtsextreme Minister drohten mit ihrem Rücktritt für den Fall der Verschiebung. Deshalb bot er dem rechtsextremen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir eine 900 Mann starke »Nationalgarde« an. Dieser kann sie wohl allein befehligen. Eine vom Staat bezahlte Privatarmee? Hier werden Grenzen überschritten.

Netanjahu setzt offensichtlich auf eine Art Gewöhnungseffekt und hofft, dass die Proteste irgendwann an Kraft verlieren. Eine solche Entwicklung ist aber nicht absehbar. Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit Israels wegen »verschlechterter Regierungsführung« durch die Ratingagentur Moody’s erhöht den Druck, die Krise zu lösen.

Mir macht die Entwicklung in vielen Ländern Sorgen, in denen Rechtsextremisten ihre Axt an die Wurzel von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit legen. Wenn die demokratischen Kräfte in Israel und in vielen anderen Ländern sich nicht zusammentun, eine neue Art von Internationalismus entwickeln, werden sie möglicherweise verlieren. Das allerdings wäre eine Katastrophe für die Menschheit. Denn die Menschheitsprobleme der sich vertiefenden sozialen Spaltung, des immer schneller fortschreitenden Klimawandels und der zunehmenden Unfähigkeit, internationale Konflikte zivil zu lösen, lassen sich auf der Basis eines nationalen Egoismus nicht bewältigen. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass es international um Werte geht. In Wirklichkeit geht es um Interessen.

Der Artikel wurde ursprünglich am 17.04.2023 in der Tageszeitung nd-Journalismus von links veröffentlicht. 

Autor:in

Gregor Gysi ist außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.