Alternative text missing

Wo Entwicklung zur Bedrohung wird

Während des Ramadans von Mitte April bis Mitte Mai kam es in Ost-Jerusalem zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Palästinenser*innen und israelischen Sicherheitskräften . Diesen führten in der zweiten Mai-Hälfte zu einer allgemeinen Spirale von Gewalttätigkeiten zwischen jüdischen und palästinensischen Staatsbürger*innen in binationalen, von Israelis als „gemischten“ Städten bezeichneten Orten im ganzen Land. Lod war die erste Stadt, in der sich im Zuge des Gaza-Kriegs sowohl palästinensische wie jüdische Lynchmobs zusammenschlossen. Danach breitete sich die Gewalt auch auf andere binationale Städte aus. In Akko richtete sich die Wut vor allem gegen touristische Einrichtungen wie Hotels, einen Gebäudekomplex, der dem Erhalt von Antiquitäten dient, sowie Restaurants von jüdischen und palästinensischen Besitzer*innen. Natürlich wird der Kreislauf der Gewalt von Randgruppen auf beiden Seiten angeheizt. Neben dem Schaden an Gesundheit, Leben und Eigentum wurde das gegenseitige Vertrauen zwischen jüdischen und palästinensischen Staatsbürger*innen schwer beschädigt.

Alternative text missing
Siedler aus der Westbank demonstrieren in Lod, Israel, Mai 2021.Foto: Activestills

Um den Hintergrund dieser gewaltsamen Auseinandersetzungen in diesen „gemischten Städten zu verstehen, müssen einige grundlegende historische Sachverhalte erläutert werden. In Israel werden Städte, in denen eine jüdische Mehrheit und eine arabische Minderheit leben, als „gemischte“ Städte bezeichnet. Daneben gibt es „jüdische“ Städte und „arabische“ Städte, in denen fast keine Menschen der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe leben. Die „gemischten“ Städte, wie Akko, Lod, Jaffa und andere, waren vor der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 Städte mit primär palästinensischen Einwohner*innen. Dies sind bereits in der Antike gegründete Städte von historischer Bedeutung, deren palästinensische Einwohner*innen Teil einer Siedlungstradition bilden, die Hunderte und sogar Tausende von Jahren alt ist. Lod und Akko waren bereits zur Zeit des Römischen Reichs wichtige Städte; Lod wurde damals Diospolis genannt, und Akko Ptolemais. Auf den Ruinen und Überbleibseln dieser Städte wurden die Städte gebaut, wie wir sie heute kennen.

Umsiedelung und Vertreibung nach 1948

Während des Kriegs 1948 und gleich nach dessen Ende vertrieb oder siedelte Israel die palästinensischen Einwohner*innen von Lod und Akko um (ebenso wie die palästinensischen Einwohner*innen vieler anderer Städte, wie zum Beispiel Jaffa, Aschkelon, Haifa und Tiberias). Anstelle der palästinensischen Einwohner*innen von Akko zogen Palästinenser*innen ein, die aus ihren Dörfern im Norden Israels vertrieben worden waren; und anstelle der palästinensischen Einwohner*innen von Lod kamen Palästinenser*innen, die aus der im Süden gelegenen Stadt Aschkelon und den umliegenden Dörfern vertrieben worden waren. Es gelang nur sehr, sehr wenigen Familien, die vor dem Krieg 1948 in den palästinensischen Städten lebten, auch danach in diesen zu bleiben.[1] Während in Akko die neuen palästinensischen Einwohner*innen in den Häusern lebten, die von ihren ursprünglichen Bewohner*innen verlassen wurden, entschied Israel Mitte der 1950er Jahre, die gesamte Altstadt bis auf sehr wenige historisch bedeutsame Gebäude abzureißen.

In beiden Städten siedelte die israelische Regierung neueingewanderte, vor allem aus arabischen Ländern kommende, jüdische Menschen an. Aufgrund der gezielten Politik der israelischen Regierung, die sowohl die palästinensische Bevölkerung in Israel als auch die aus arabischen Ländern eingewanderte jüdische Bevölkerung vernachlässigte, waren die binationalen Städte wie Lod, Akko, Ramla und andere jahrzehntelang auch die ärmsten Städte in Israel. Es gab nur sehr geringe Investitionen in die Infrastruktur und die Entwicklung der lokalen Bevölkerung. Andererseits übersah die israelische Regierung das Potential dieser alten historisch bedeutenden Städte für den Tourismus nicht und begann Anfang der 2000er Jahre Entwicklungspläne für Akko voranzutreiben. In den letzten Jahren wurden erhebliche Investitionen in den Tourismus und den Erhalt historischer Gebäude getätigt; auch in Lod, aber in geringerem Maße. In jeder dieser Städte gibt es jahrtausendealte historische Überreste, und daher sind Investitionspläne der Kommunen und der Regierung primär darauf gerichtet, den Tourismus als wirtschaftliche Ressource zu entwickeln. Eine Untersuchung lässt erkennen, dass die Entwicklungsmaßnahmen der lokalen palästinensischen Bevölkerung zumeist nicht zugutekommt und von dieser oft als bedrohlich empfunden wird.

Alternative text missing

Lod – nachhaltige Verdrängung

Lod liegt auf der Strecke zwischen Tel Aviv (beziehungsweise Jaffa) nach Jerusalem. Bereits in der Antike lief der Hauptverkehrsweg durch die Stadt. Wissenschaftler*innen konnten feststellen, dass dieser Ort bereit vor 4,000 Jahren besiedelt war. Sowohl im Römischen Reich (1.-4.Jahrhundert), im Byzantinischen (4.-7. Jahrhundert), während des Mamluken-Sultanats (13.-15.Jahrhundert) und im Osmanischen Reich (16.-20.Jahrhundert) erlebte die Stadt Blütezeiten. Gemäß des Teilungsplans der Vereinten Nationen von 1947 sollte sich Lod auf dem Territorium des palästinensischen Staates befinden. Sowohl Jordanien als auch Israel betrachteten die Stadt als strategisch wichtigen Ort, insbesondere aufgrund des Flughafens, der während des britischen Mandats dort errichtet wurde. Israel hat dann die Stadt während des Kriegs 1948 erobert. Während des Krieges wurden die meisten Einwohner*innen der Stadt im Rahmen einer blutigen Militäroperation deportiert. In den 1950er Jahren riss Israel den größten Teil der Altstadt ab, mit Ausnahme von ein paar historisch bedeutsamen Gebäuden.

Während der Ausschreitungen diesen Mai war der Bau des Mosaikmuseums der Stadt in vollem Gange. Das Museum wurde unmittelbar auf der Stelle errichtet, an der sich das spektakulärste Mosaik der Antike und der spätrömischen Zeit (3.-4.Jahrhundert) im Land befindet. Das Mosaik wurde im Jahr 1996 bei Ausgrabungen entdeckt und erst nach vielen Jahren konnten genügend Spenden und Haushaltsmittel gefunden werden, um den Bau des Museums für ungefähr 30 Millionen Schekel [ca. 7,5 Millionen Euro] zu finanzieren. Im Rahmen der Tourismusförderung ist das kein besonders hoher Betrag. Trotzdem hat es 20 Jahre gedauert, bis genügend Finanzmittel zur Verfügung standen, von denen ein erheblicher Teil durch Spenden aufgebracht wurde. Das Mosaik befindet sich in der Nähe der Altstadt, imheutigen Ramat-Eschkol-Viertel. Es ist eines der ärmsten Viertel der Stadt und war eines der Brennpunkte während der gewalttätigen Ereignisse im Mai.

Das Ramat-Eschkol-Viertel befindet sich unmittelbar neben der Altstadt von Lod. In beiden leben sowohl jüdische als auch palästinensische Einwohner*innen, wobei letzteren die Mehrheit bilden. Im Gegensatz dazu sind die meisten Einwohner*innen der Stadt jüdisch und nur eine Minderheit palästinensisch. Nachdem der größte Teil der Altstadt in den 1950er Jahren abgerissen worden war, erhielten die meisten Straßen im Ramat-Eschkol-Viertel explizit zionistische Namen, wie zum Beispiel Rehov HaGdud HaIvri (Straße der Jüdischen Legion), Rehov HeChaluts (Straße des jüdischen Pioniers) oder Rehov Alija (Straße der jüdischen Einwanderung nach Israel/Palästina). Die Straßennamen springen besonders ins Auge angesichts der dort lebenden Menschen, die mehrheitlich palästinensisch sind, und der sehr offensichtlichen Vernachlässigung des Viertels.

Alternative text missing
Straße der Jüdischen Legion in Lod, 2021. Foto: Emek Shaveh 

Das vergessene Erbe der Mamluken

Auf den ersten Blick scheint kein Zusammenhang zwischen dem Bau des Museums und der Gewalt, die wirtschaftliche, politische und nationalistische Hintergründe hat und zum Teil durch das Gefühl der Diskriminierung der palästinensischen Einwohner*innen verursacht wurde, zu bestehen. Die wenigen archäologischen Funde, wie das römische Mosaik, die Gebäude der Mamluken-Zeit und die zentrale Verkehrslage, zeugen von dem eigentlichen Reichtum und dem Tourismuspotential der Stadt, die unter Armut, Vernachlässigung und politischen Spannungen vergraben sind. Im Gegensatz zu vielen anderen touristischen Sehenswürdigkeiten ist das Mosaikmuseum nicht einmal Teil der jüdischen Geschichte, sondern Teil der antiken römischen Polis, als die Stadt Diospolis hieß. Zudem gibt es ein großes Entwicklungsprojekt der Stadtverwaltung nur wenige hundert Meter vom Museum entfernt: Khan al-Hilu, ein Gebäude aus der Mamluken-Zeit (13.-16.Jahrhundert), das bis ins 20.Jahrhundert genutzt wurde und bis 1948 ein zentrale Marktkomplex für die gesamte Umgebung war. Das Entwicklungsprojekt schließt den Bau eines großen Parkplatzes mit ein und sieht Cafés und Einrichtungen für die Anwohner*innen im Khan vor. Auch bei dem Entwicklungsprojekt des Khan ließe sich auf ersten Blick argumentieren, dass dies zum Nutzen der gesamten Bevölkerung und sogar zum Erhalt eines Gebäudes des arabischen historischen Erbes unternommen wird.

Aber die Entwicklung des Tourismus und die Entscheidungen, was und vor allem wie bewahrt werden soll, sind integralen Bestandteile eines Prozesses, der von den palästinensischen Einwohner*innen von Lod als Repression erfahren beziehungsweise gesehen wird. Die Entwicklung des Tourismus in Lod erfolgt ohne Anbindung an die Menschen, die in diesen Vierteln leben, und eignet sich praktisch das historische Erbe und die Gebäude der Altstadt an, um eine moderne Entwicklung voranzutreiben, und zieht nicht unbedingt dabei ihrer historischen Bedeutung in Betracht. So sollen zum Beispiel Khan al-Hilu, der in der Vergangenheit der zentrale Markt von Lod und ein Handelszentrum für Ware aus dem Negev sowie aus den Gebieten um Ramallah, Nablus und anderen Ortschaften war, und das in der Nähe gelegene Gewölbegebäude, das im 19. und 20. Jahrhundert die zentrale Mühle für Öl und andere Produkte war, nun Zentren für kulturelle und künstlerische Zwecke werden. Dabei wird nicht nur die Geschichte des arabischen Kulturerbes ignoriert, sondern diese neuen Kulturzenten werden hauptsächlich wohlhabenden jüdischen Einwohner*innen der Stadt zugutekommen. Die zig Millionen Schekel, die die Stadtverwaltung und der israelische Staat jedes Jahr in die Entwicklung des Tourismus stecken, löschen praktisch das Wenige, das von der reichen Geschichte der Stadt und ihrer zentralen Stellung unter muslimischer Herrschaft vom 13. bis 20. Jahrhundert noch übriggeblieben ist, aus.

Stärkung des jüdischen Kerns

In den 1990er Jahren errichtete eine Gruppe religiöser Juden und Jüdinnen einen Tora-Kern (wörtliche Bedeutung des hebräischen Begriffs Gar´in Torani: Torah Nukleus) gleich neben dem Khan al-Hilu, mitten in der Altstadt. Nach dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen 2005 wurden viele der dortigen jüdischen Siedler*innen nach Lod umgesiedelt, um dort weitere solche Tora-Kerne zu bilden, mit der Absicht, die Siedlungsideologie in Lod zu stärken. Der Tora-Kern fungiert als exklusive Gruppe von Menschen mit gemeinsamer Ideologie und emotioneller Bindung an das, was sie als jüdische Werte definieren, die darauf abzielt, die jüdische Präsenz an dem Ort zu stärken. In vielerlei Hinsicht fungieren solch ein Tora-Kern in „gemischten“ Städten in Israel wie die Siedlerorganisationen in Ost-Jerusalem. Im Gegensatz zu den Palästinenser*innen in Ost-Jerusalem sind die Palästinenser*innen in den /bi-nationalen Städten zwar israelische Staatsbürger*innen, und manchmal erklärt ein Tora-Kern, dass er mit allen Bevölkerungsgruppen zusammenarbeiten wolle, aber in der Praxis handelt es sich dabei um exklusive Gruppen, deren Bildungsarbeit meist auf die jüdische Bevölkerung ausgerichtet ist, und die sich durch ihre religiöse und gemeinschaftliche Lebensweise von ihrem sozialem Umfeld abgrenzen.

Der Garin Torani in Lod arbeitet eng mit der Stadtverwaltung zusammen. So rekrutierte die Stadtverwaltung zum Beispiel Freiwillige (junge Frauen, die nationalen Dienst leisten), die im Gemeindezentrum neben dem Khan al-Hilu arbeiten, um Führungen zum Kennenlernen der jüdischen Geschichte der Stadt zu fördern. Führungen, Vorträgen und historische Narrative, die die jüdische Verbindung zu den verschiedenen Orten stärken, werden nicht nur vom Garin Torani oder der Stadtverwaltung von Lod verwendet. Bereits in den 1990er Jahren vermarktete die Siedlerorganisation Elad, die in Ost-Jerusalem und dort insbesondere in Silwan aktiv ist, Führungen durch die in der Umgebung gelegenen archäologischen Stätten der Davidstadt, als Teil ihres Bestrebens, den jüdischen Anspruch auf und das Zugehörigkeitsgefühl zu diesen Stadtvierteln zu stärken. Im Laufe der Zeit verwendete die Siedlerorganisation Elad auch Tourismus und historische Narrative für ihre Zwecke, so dass heute ein Besuch in der Davidstadt sowie in anderen Orten des historischen Beckens östlich der Jerusalemer Altstadt unter der Führung ihrer Expert*innen stattfindet, die die historische Verbundenheit und das nationale Anrecht des jüdischen Volkes auf diese Orte betonen.

Alternative text missing
Khan al-Hilu während der Renovierungsarbeiten, Lod, Oktober 2013. Foto: wikicommons

Akko – Boutique-Hotel im osmanischen Markt

Die Entwicklung in Akko kann vielleicht als Warnsignal für die Zukunft der Einwohner*innen von Lod dienen. Es gibt viele Parallelen in der Entwicklung der beiden Städte. Auch in Akko leben die palästinensischen Einwohner*innen hauptsächlich in der Altstadt. Akko hat eine besondere Stellung in der Geschichte des Landes. Obwohl in der Stadt Überreste von vor etwa 4.000 Jahren gefunden wurden und sie in der Bibel als eine der 20 Städte, die König Salomon dem König von Tyros übergab (1. Könige 9: 10-13), erwähnt wird, stammen die meisten historischen Überreste aus der Kreuzfahrerzeit, als Akko der wichtigste Hafen und die letzte eroberte Kreuzfahrerstadt bis 1291 war, sowie aus der Zeit der Herrschaft von Dhaher al-Omar in Galiläa im 18. Jahrhundert, der Akko wieder aufgebaut und in eine wichtige Hafenstadt gemacht hat. Danach blieb es eine wichtige Hafenstadt und sein Hafen wird bis heute genutzt. Gemäß dem Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947 sollte Akko Teil des palästinensischen Staats werden. Israel eroberte jedoch die Stadt während des Kriegs 1948 und die meisten palästinensischen Einwohner*innen sind geflüchtet oder wurden vertrieben. In ihren Häusern wurden israelische Soldat*innen nach Ende ihrer Dienstzeit und jüdische Neueinwander*innen angesiedelt.

Ihre Lage und ihr Wiederaufbau und Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert machen Akko zu einer der schönsten historischen Städte Israels. Die 2001 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannte Stadt ist jedoch längst in die Hände der Stadtverwaltung und von Geschäftsleuten übergegangen, die seit 20 Jahren schwer daran arbeiten, sie zu einer Touristenstadt zu machen. Das Hauptnarrativ, das den Besucher*innen präsentiert wird, ist das von Akko aus der Zeit der Kreuzfahrer. So wird beispielsweise ein Wanderweg zum Tunnel des Templer-Ordens, der Kreuzfahrerfestung und ähnlichem angeboten. Zugunsten der Stadtverwaltung ist anzumerken, dass einige der touristischen Routen auch Gebäude aus der osmanischen Zeit, wie zum Beispiel die Saraja (Regierungsgebäude), miteinschließen. Auf jeden Fall ist eine unmittelbare Folge dieses Touristenbooms, dass den Einwohner*innen der Altstadt, allesamt palästinensische Staatsbürger*innen Israels, seit fast 10 Jahren die Zwangsräumung aus ihren Häusern droht.

Im Rahmen der Entwicklung des Tourismus laufen in der Stadt zwei Prozesse parallel ab: zum einen der Bau von Märkten und Hotels in der Altstadt, zum andern das Bestreben, die armen palästinensischen Bewohner*innen aus ihren Wohnungen zu vertreiben, um Wohnraum für wohlhabende (manche würden sagen, jüdische) Schichten zu schaffen. Ein Beispiel für eine Tourismus-orientierte Entwicklung, die die Geschichte der Altstadt praktisch ignoriert und sogar auslöscht, ist die Entscheidung Khan al-Umdan in ein Hotel umzubauen. Khan al-Umdan (auch Säulen-Khan genannt) befindet sich in der Nähe des Hafens und gilt als der größte und am besten erhaltene Khan (Karawanserei) in Israel. Der Khan wurde 1784, unter der Herrschaft des osmanischen Gouverneurs Ahmad al-Dschazzar, gebaut und diente lange als ein wichtiger Markt der Stadt und ihrer Umgebung. Während der 20. Jahrhundert wurde der Khan weniger wichtig. Derzeit gibt es in Khan al-Umdan keine permanenten Aktivitäten. Er ist der Öffentlichkeit zugänglich, befindet sich jedoch in einem sehr vernachlässigten Zustand. Die Errichtung eines Hotels auf dem Gelände durch private Geschäftsleute führt dazu, dass es für die Öffentlichkeit geschlossen und zu einem profitablen Gelände wird, das nur wohlhabende Menschen genießen können.

Alternative text missing
Khan al-Umdan in Akko, Januar 2008. Foto: wikicommons

Es ist kein Zufall, dass einer der Orte, die von den Unruhen in Akko in den letzten Wochen betroffen waren, das von der israelischen Altertümer-Behörde mit europäischem Geld betriebene Internationale Zentrum für den Erhalt des alten Akko, das sich mitten in der Altstadt befindet, ist. Das Zentrum, das mit der an sich guten Absicht eingeweiht wurde, den Tourismus in Akko und den Erhalt des historischen Kulturerbes der Stadt zu fördern, wird von den palästinensischen Einwohner*innen als ein externes Projekt wahrgenommen, dessen Arbeit für den Erhalt ein Teil der Bemühungen ist, die Stadt in ein urbanes Museum und eine Wohnanlage für Reiche zu machen. Die Erhaltung der Altstadt kommt ihnen nicht zugute, und zudem müssen sie sich nun auch davor fürchten, dass sie ihre Wohnungen durch Zwangsräumung verlieren werden.

Denn die Einwohner*innen der Altstadt, von denen die meisten palästinensischen Staatsbürger*innen Israels sind, wohnen in Häusern, die nach israelischem Recht als Staatseigentum gelten. Die Bewohner*innen leben in Sozialwohnungen, die ihnen in den 1950er und 1960er Jahren zur Verfügung gestellt wurden. Im Rahmen der Förderung des Tourismus in Akko arbeiten die Stadtverwaltung und die staatliche Gesellschaft für öffentliche Wohnungen (Amidar) zusammen, um die Bewohner*innen der alten Viertel der Stadt mit aller Macht aus ihren Wohnungen zu räumen. Für diese Menschen bedeutet Entwicklung Bedrohung.

Der Tora-Kern in Akko

Zusammen mit der Entwicklung des Tourismus in Akko kam in den 1990er Jahren auch der Garin Torani/Tora-Kern, der sich „Akkos Mut“ nennt, in die Stadt, mit dem erklärten Ziel „die Flagge zu hissen, um den jüdischen Charakter des westlichen Teils der Stadt Akko zu stärken zu stärken“, das heißt die alten Viertel mit mehrheitlich palästinensischen Einwohner*innen. Wie in Lod arbeitet der Garin Torani in Akko eng mit der Stadtverwaltung zusammen und fördert den Tourismus, wobei der Fokus auf der Zurschaustellung des jüdischen Narrativs liegt. Während der Garin Torani in Lod erklärt, dass er zum Wohl der gesamten Bevölkerung arbeite, verbirgt der Garin Torani in Akko seine Ziele nicht, die jüdische Identität und Präsenz in der Stadt zu stärken.

Stadt für Investoren, nicht für MenschenAkko ist ein lehrreiches Beispiel für eine Stadt, die Glück hat, während zugleich ihre Einwohner*innen ein sehr unglückliches Schicksal erleiden. Die Altstadt, die zum Weltkulturerbe gehört und als eine der wichtigsten Touristenstädte Israels gilt, ist auch eine sehr arme Stadt, deren Einwohner*innen seit Jahrzehnten unter Diskriminierung und Verfolgung leiden. Die Stadtentwicklung und die internationale Anerkennung haben nicht nur die Situation vieler Einwohner*innen nicht verbessert, sondern dazu geführt, dass sie im Rahmen dieser angeblich willkommenen Entwicklung Bemühungen, sie aus ihren Wohnungen zu vertreiben, ausgesetzt sind.

In Lod wurde die arabische Stadt bereits Anfang der 1950er Jahre weitgehend abgerissen. Nun werden Maßnahmen ergriffen, um den Tourismus zu entwickeln und die verbliebenen historischen arabischen Gebäude in öffentliche Einrichtungen und eine Ressource für Tourismus umzuwandeln. So löscht die Stadtverwaltung wieder das prachtvolle historische Erbe der Stadt aus und sieht zugleich ihre palästinensischen Einwohner*innen als eine Quelle der Störung an einem Ort, der für Investitionen attraktiv sein soll.

Es gibt viele Gründe für die Gewalt, die in jüngster Zeit in den binationalen Städten ausgebrochen ist. Unseres Erachtens ist die Auslöschung der glorreichen Geschichte dieser Städte nicht nur eine historische Ungerechtigkeit, sondern vor allem eine gegenwärtige Ungerechtigkeit gegenüber ihren palästinensischen Einwohner*innen sowie der Gesellschaft insgesamt. So wie Gewalt keine Lösung ist, so sind das Auslöschen der historischen Identität und die Umwandlung von Khan-Gebäuden in Zentren für Künstler*innen kein Mittel, um zwei Völker, die sich weigern, das historische Erbe des jeweils andern als Teil dieses Landes anzuerkennen, einander näher zu bringen.

Übersetzt von Ursula Wokoeck Wollin

Yonatan Mizrahi ist Archäologe und Direktor der Organisation Emek Shaveh, die sich für die Verteidigung kultureller Erbes einsetzt und gegen ihren Missbrauch als politisches Werkzeug im palästinensisch-israelischen Konflikt.

Eine kürzere hebräische Version des Artikels wurde am 16. Mai 2021 auf der Webseite von Sicha Mekomit veröffentlicht.

Anmerkungen

[1] Diese Familien konnten in der Regel ihr Eigentum behalten. Anderen wurden von den israelischen Behörden als „Abwesende“ oder „anwesende Abwesende“ klassifiziert und so enteignet. (Anm. d. Übers.)