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Militarisierung, Religion und die „demographische Bedrohung“

Israel ist ein Land der Konflikte: Das aus dem Krieg und dem seit Jahrzehnten geltenden Ausnahmezustand geborene Narrativ der Bedrohung der nationalen Sicherheit bildet seit jeher einen grundlegenden Bestandteil jeder sozialen, politischen und wirtschaftlichen Betrachtung des Landes. Seit einiger Zeit jedoch bemüht sich die Frauenbewegung darum, das Thema Sicherheit und die damit einhergehenden Konflikte diskursiv weiter zu fassen, um auch Aspekte von individueller, wirtschaftlicher, gesundheitlicher und emotionaler Sicherheit in den Blick zu bekommen. Bei der Betrachtung dieser unterschiedlichen Ebenen wirft die Spannung zwischen Tradition und Fortschritt in Israel regelmäßig Fragen auf. Denn trotz der recht stabilen Wirtschaft, einer wachsenden Innovationsbranche mit vielen technologischen Entwicklungen sowie einer ziemlich fortschrittlichen Gesetzgebung in vielen Bereichen lässt sich feststellen: Die Kluft zwischen Arm und Reich gehört zu den größten innerhalb der OECD, Sozialleistungen greifen nicht, und die Gleichstellung der Geschlechter steht mitnichten im Zentrum der politischen Agenda.

In diesem Artikel soll aus einer Genderperspektive aufgezeigt werden, wie drei wichtige Phänomene den Frauen große wirtschaftliche Nachteile bescheren: das Militär, die religiös-konservative Kultur sowie das zionistische Narrativ der sogenannten demographischen Bedrohung, die allesamt zu einer kulturellen Überhöhung des Kinderkriegens führen, die zulasten der Gesundheit und finanziellen Situation von Frauen geht.

Militärausbildung – keine Berufsschule

Es ist allgemein bekannt, dass die israelische Gesellschaft stark militarisiert ist, doch wie weitreichend die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser militärisch geprägten Kultur sind, wird gemeinhin nicht aus einer kritischen Genderperspektive analysiert. Nach dem Abschluss der Sekundarschule meldet sich die große Mehrheit der jüdischen Israelis zum Militärdienst, gemäß der geltenden Wehrpflicht, die bis auf wenige, explizite Ausnahmen für alle Frauen und Männer im Alter von 18 Jahren gilt. Zu den wichtigsten von der Wehrpflicht befreiten Gruppen gehören die palästinensische Bevölkerung Israels sowie die Haredim – die ultraorthodoxen Männer und Frauen – ein wichtiger Punkt, auf den wir noch zurückkommen werden. Aufgrund der Wehrpflicht kommt die Mehrzahl der jüdischen Israelis erstmals im Rahmen ihres Militärdiestes mit dem Arbeitsmarkt in Berührung. Hier erfahren sie Hierarchie und Disziplin, lernen, Anweisungen zu befolgen und unter Druck zu arbeiten. Und in manchen Fällen erlernen sie sogar einen Beruf oder erlangen berufliche Fachkenntnisse. Ein Großteil der Literatur, die sich mit dem Wunder der israelischen Start-up-Kultur beschäftigt, schwärmt geradezu von den Grundlagen, die die technologischen Einheiten der israelischen Verteidigungsstreitkräfte legen würden, in denen gut ausgebildete High-Tech-Kräfte und zukünftige Innovator*innen heranwüchsen. Darüber hinaus können Frauen und Männer während ihres Militärdienstes ganz unterschiedliche Berufe erlernen: MechanikerIn, FahrerIn, Koch oder Köchin, Verwaltungskraft, Sanitätspersonal und andere. Eine solche Ausbildung kann sich im Einzelfall als äußerst hilfreich für die Betroffenen erweisen, sobald diese aus dem Militärdienst auf den Arbeitsmarkt entlassen werden, insbesondere für jene Berufe, die keine akademische Ausbildung erfordern. Allerdings trügt der Eindruck, denn letztendlich ist es immer noch das Militär und keine Berufsschule. Der hierarchische Charakter sowie der Sinn und Zweck des Militärs unterscheiden sich von denen eines zivilen Arbeitsmarktes, was sich wiederum darauf auswirkt, in welchen Bereichen Frauen und in welchen Männer anzutreffen sind und wie die Geschlechterrollen in der Wirtschaft gleich zu Beginn des Arbeitslebens festgelegt werden. Für die Bevölkerungsgruppen, die normalerweise vom Militärdienst befreit sind, also palästinensische Bürger*innen, Haredim und andere religiös-jüdische Frauen, ist die zentrale Bedeutung der Streitkräfte daher keineswegs irrelevant, sondern stellt ganz im Gegenteil ein Hindernis für ihre eigenen Berufschancen dar.

Tradition und Diskriminierung

Arabische Frauen und die Frauen der Haredim zählen zu den beiden großen Gruppen, die in dieser Hinsicht Diskriminierung erfahren, jeweils aus unterschiedlichen Gründen. Unter den arabischen Frauen in Israel waren 2014 nur 27,6 Prozent auf dem offiziellen Arbeitsmarkt beschäftigt, im Vergleich zu 64,3 Prozent der arabischen Männer, 59,2 Prozent der jüdischen Frauen und 69,5 Prozent der jüdischen Männer.[1] Damit ist nicht gesagt, dass der nicht geleistete Militärdienst die Frauen vom Eintritt in den Arbeitsmarkt abhalten würde, schließlich ist der Prozentsatz arbeitender arabischer Männer, wie oben zu erkennen, deutlich höher. Angesichts der knappen Arbeitsmöglichkeiten innerhalb der arabischen Gemeinden spielt er aber sicherlich eine wichtige Rolle. Weitere Faktoren, die sich auf die Beschäftigungszahlen auswirken, sind die systematische Diskriminierung bei der Mittelvergabe zur Entwicklung von Industrie und Infrastruktur in den arabischen Bevölkerungszentren sowie der fehlende Zugang zum öffentlichen Nahverkehr aus den arabischen Bezirken in die Stadtzentren und Industriegebiete. Aber auch die unmittelbare Diskriminierung am Arbeitsmarkt sowie kulturelle Gründe, wie etwa der starke Druck, der auf den Frauen lastet, die Hausarbeit zu übernehmen. Anzumerken ist, dass sowohl in der jüdischen als auch in der arabischen Gesellschaft Frauen besser ausgebildet sind als Männer und die prozentualen Beschäftigungszahlen unter arabischen Frauen mit universitärer Ausbildung höher sind. Dennoch bleiben arabische Frauen die Bevölkerungsgruppe mit der geringsten Beschäftigungsrate in Israel.

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Palästinensische Arbeiterinnen in der Gemüsefabrik „Vita Pri HaGalil“ (Foto: ActiveStills)

Im Gegensatz hierzu ist die Beschäftigungszahl unter den Frauen der Haredim in den vergangenen zehn Jahren drastisch gestiegen und erreicht nun beinahe 70 Prozent in der Altersgruppe zwischen 25 und 64 Jahren. Traditionell verbringen die meisten Haredim-Männer ihre Tage in der „Jeschiwa“, der jüdischen Hochschule, an der sie sich ein Leben lang dem Studium religiöser Texte widmen. Sie beziehen geringfügige Stipendien, sind aber ansonsten erwerbslos. Angesichts der bestehenden Erwartung der orthodoxen Gemeinde, die traditionellen Geschlechterrollen aufrechtzuerhalten, erscheint 70 Prozent ein überraschend hoher Anteil. Doch aufgrund dieser großen Zahl übersieht man leicht zwei interessante Faktoren. Zum einen nämlich die „Verschiebung“ der traditionellen Rollen, die dazu führt, dass die Haredim-Frauen nicht nur für den Broterwerb, sondern auch für die Kindererziehung und den Haushalt zuständig sind (sogar in stärkerem Maße als unter den säkularen Juden, denn die durchschnittliche Anzahl der Kinder pro Haushalt liegt deutlich höher). Zum anderen verbirgt sich hinter dieser hohen Beschäftigungszahl unter den Haredim-Frauen eine weitere Wahrheit: Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, die Einkommen erschreckend niedrig und die meisten von ihnen sind in einem einzigen Sektor beschäftigt – dem Erziehungswesen. Haredim-Frauen verdienen zwischen 15 und 30 Prozent weniger als nicht religiöse Frauen im gleichen Beruf (die wiederum 32 Prozent weniger verdienen als jüdische Männer im Durchschnitt). Sowohl im Fall der arabischen Frauen als auch im Fall der Haredim-Frauen sind es Traditionalität von innen und Diskriminierung von außen, die beide gesellschaftlichen Gruppen und insbesondere ihre Frauen zur Armut verdammen und dazu, dass ihnen Chancen auf wirtschaftliche Mobilität vorenthalten werden.

Das Hauptquartier der Kommandanten a. D.

Wie zu erwarten findet sich beim Militär eine Kultur der Glorifizierung der heroischen Kampftruppen, bei denen der Frauenanteil weniger als drei Prozent beträgt.[2] Dies lässt sich eins zu eins auf den zivilen Arbeitsmarkt übertragen, auf dem Arbeitgeber*innen mögliche Kampferfahrung als Messlatte für Professionalität, Fähigkeiten und natürlich auch als Ausweis der Zugehörigkeit zu einer enorm verschworenen Gemeinschaft ansehen. Kommt ein Bewerber aus demselben Verband oder besser noch aus derselben Einheit, steigen seine Chancen, den Job zu erhalten. In dieser Hinsicht spielt das Militär in Israel eine ganz ähnliche Rolle wie die Ivy-League-Universitäten, also die Elite-Universitäten der USA. Sogar ohne diskriminierende Absichten besteht die „Jungs-Truppe“ auf dem Arbeitsmarkt fort, womit weißen jüdischen Männern, insbesondere den kampferprobten aus den angesehensten Kommandoeinheiten, bessere Möglichkeiten offenstehen. Dasselbe gilt auch für die ehemaligen Mitglieder der namhaften nachrichtendienstlichen Einheiten, wobei in dieser großen Gruppe die Geschlechteraufteilung – verglichen mit den Kampfeinheiten – eher dem zivilen Arbeitsmarkt entspricht, denn die Anzahl von Frauen und Männern ist hier ähnlich hoch, die Frauen stehen jedoch am unteren Ende der Hierarchie, während die Männer die Toppositionen besetzen. Ruhm und Zusammenhalt der Jungs-Truppe geht über den Berufseinstieg hinaus. Die Bedeutung der Kampferfahrung beim Militär, die nur weiße jüdische Männer haben können, ist für den beruflichen Aufstieg mittels Beförderungen ebenso entscheidend wie für den Direktweg an die Spitze mittels Ernennungen und der Bekleidung von Ämtern im politischen System. Es sind Ex-Generäle und andere hochrangige Offiziere, die die „Spitzenpositionen“ in der Privatwirtschaft, bei Unternehmen der öffentlichen Hand sowie in der Politik bekleiden, und selbstverständlich erhält man keine Führungsposition im Militär ohne Kampferfahrung.

Entsprechend ließe sich die glass ceiling, die gläserne Decke in Israel eher als eine Art Militärbarrikade zum Schutz der Hauptquartiere emeritierter Kommandoführer begreifen. Auch wenn der Anteil von Frauen in Spitzenpositionen in Israel nicht sehr viel schlechter ist als im Rest der Welt, tragen hier sowohl Militär, als auch Traditionalität und klassischere Formen der Genderdiskriminierung dazu bei, die Ungleichheit in solchen Positionen aufrechtzuerhalten. Traditionalität – auf Hebräisch Masoret – bezeichnet tradierte jüdische religiöse Werte und Familienbräuche, mit denen sich viele jüdische Israelis identifizieren. Entsprechend viele Frauen in mittleren Positionen sprechen sowohl von einer Notwendigkeit als auch dem Bedürfnis, ihren beruflichen Aufstieg hintenanzustellen, solange die Kinder noch klein sind oder zur Schule gehen, aber auch von einem hohen Druck durch den nahen Verwandten- und Freundeskreis sowie durch breitere gesellschaftliche und kulturelle Kreise, die Verantwortung für die Kindererziehung zu übernehmen. Gleichzeitig beklagen sie die offensichtliche Diskriminierung im Personalwesen und bei Beförderungen sowie die mangelnde Förderung und aktive Unterstützung für Frauen, sich auf Führungspositionen zu bewerben.

Mutterschaft als nationale Mission

Die „demografische Bedrohung“ ist ein Narrativ, das auf die Zeit der Staatsgründung Israels zurückgeht und dem zufolge die jüdische Bevölkerung gegenüber der arabisch-palästinensischen die Mehrheit behaupten muss. Dieses Narrativ spielt in vielen gesellschaftlichen und politischen Feldern eine entscheidende Rolle. Seit Jahrzehnten gilt das Austragen von Kindern in Israel nicht als individuelles Anliegen von Frauen, sondern als nationale Mission. Analysiert man die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen, erkennt man weitere Verwerfungen. Auf der einen Seite müssen Frauen arbeiten, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, denn die hohen Lebenshaltungskosten erlauben es den meisten Familien nicht, mit nur einem Haushaltseinkommen auszukommen. In 13 Prozent aller Familien sind die Erziehungsberechtigten alleinerziehend, und mehr als 90 Prozent von ihnen sind Frauen.[3] Auf kultureller Ebene hat die Frauenbewegung Fortschritte dabei erzielt, die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass Frauen sich durch Arbeit selbst verwirklichen können und sollten. Auf der anderen Seite ist es der israelischen Gesellschaft insgesamt nicht gelungen, sich von den traditionellen Geschlechterrollen zu lösen: Religiöse Wertvorstellungen durchdringen sowohl konservative als auch liberale Familien; die Notwendigkeit, eine jüdische Bevölkerungsmehrheit zu behaupten, erzeugt politischen und kulturellen Druck zur Reproduktion; und am Arbeitsplatz bieten sich den arbeitenden Müttern nicht nur keine guten, sondern gänzlich familienfeindliche Bedingungen. Nur ein Bruchteil der Familien, die Bedarf daran haben, erhält auch staatliche Unterstützung bei der Kinderbetreuung (dies ist der Tatsache geschuldet, dass bei der Berechnung der laufenden Lebenshaltungs- und Betreuungskosten das tatsächliche Einkommen unberücksichtigt bleibt), und es mangelt insgesamt an Tageseinrichtungen. Die Kosten für private Kinderbetreuung können beinahe 50 Prozent des Mindestlohns betragen, Frauen im gebärfähigen Alter werden bei der Einstellung benachteiligt, unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht (in Vorstellungsgesprächen wird trotz Antidiskriminierungsgesetzen häufig nach der Familienplanung gefragt). Tausende Frauen erhalten Jahr für Jahr unrechtmäßige Kündigungen aufgrund einer Schwangerschaft (obwohl der Staat für 14 Wochen Mutterschutz und weitere 12 Wochen unbezahlten Erziehungsurlaub aufkommt, deren Kosten nicht vom Arbeitgeber zu tragen sind); Mutterschutz steht den Beförderungsaussichten von Frauen im Wege; und die Länge der Schulferien übersteigt bei Weitem die Anzahl der gesetzlichen Urlaubstage. Wenn Schwangerschaft gefördert, Mutterschaft aber bestraft wird, führt das zu einer unüberwindbaren Gender-Diskrepanz.

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Streik von Krankenhausarbeiter*innen in Petach Tikva. Auf den Schildern steht „Ich werde ausgebeutet!“ und „das Finanzministerium zerstört das Gesundheitswesen!“ (Foto: ActiveStills)

Ein letztes Beispiel für die Auswirkungen der Traditionalität auf den Arbeitsmarkt ist der Fall von Unternehmerinnen. Nur 14 Prozent aller Unternehmen in Israel gehören ausschließlich Frauen. Nahezu 50 Prozent der Geschäftsinhaberinnen beziehen Einkommen unterhalb des Mindestlohns, im Gegensatz zu 29 Prozent der Männer.[4] Frauen stehen sowohl bei der Gründung als auch beim Ausbau eines Unternehmens zahlreichen Hindernissen gegenüber, die denen ähneln, die auch in anderen Teilen der Welt auftreten. Eines der größten ist die Diskriminierung beim Zugang zu Darlehen und Krediten. Ungeachtet der Tatsache, dass Frauen weniger Geschäftsrisiken eingehen (und somit den Gläubigern als „sicherere Nummer“ erscheinen sollten), ist das soziokulturelle Stereotyp, wonach Frauen und Finanzmanagement nicht zusammengingen, weit verbreitet, was sich auch in den Zahlen niederschlägt. In Israel gibt es eine Stiftung zur Vergabe staatlich garantierter Darlehen. Nur acht Prozent der Darlehen werden an Unternehmen, die Frauen gehören, vergeben. Unternehmerinnen berichten von skeptischen Reaktionen und Absagen der Banken, wenn sie nicht mit einem Mann an ihrer Seite auftreten. Diese Situation stellt sich weitaus schlimmer für Frauen dar, die am stärksten auf ihre unternehmerische Perspektive angewiesen sind: marginalisierte Frauen mit geringen Beschäftigungschancen.

Die Kosten dieser „nationalen Mission“

Ein weiterer Aspekt der massiven staatlichen Förderung der Reproduktion von Jüdinnen und Juden sind die öffentlichen und privaten Kosten für Fruchtbarkeitsbehandlungen. Bei der Subventionierung von Kinderwunschbehandlungen steht Israel weltweit an erster Stelle. Per Gesetz kann jede Frau eine Behandlung für bis zu zwei Kindern pro Partner in Anspruch nehmen. Das bedeutet, sie kann durch künstliche Befruchtung zwei Kinder mit ihrem ersten Ehemann haben, sich von ihm scheiden lassen und dann mit ihrem zweiten Ehemann weitere kostenfreie Fruchtbarkeitsbehandlungen für zwei weitere Kinder erhalten und so weiter. Die drastischen Ausmaße der Subventionspolitik und der Fertilitätsindustrie kosten nicht nur die Steuerzahler*innen riesige Summen, sondern sie ziehen darüber hinaus enorme persönliche Belastungen nach sich, sowohl finanzieller als auch gesundheitlicher Natur. Die Kinderwunschindustrie ist sehr stark entwickelt und unterliegt praktisch keiner Kontrolle. Ärzte und Ärztinnen sowie medizinische Einrichtungen, die ein Vermögen hiermit machen, haben keinerlei Anreiz, Frauen auf die allgemein geringen oder je nach Fall noch schlechteren Erfolgschancen hinzuweisen, und ermutigen sie, es trotz der negativen Folgen für Körper und psychische Gesundheit immer und immer wieder zu versuchen. Interessanterweise spielt auch hier Religion eine Rolle, denn nach jüdischem Recht (Halacha) wird der Menstruationszyklus für alle Frauen einheitlich bestimmt und fordert gläubige Paare dazu auf, den Zeugungsakt an den nach dieser Rechnung bestimmten Tagen zu vollziehen. Für Frauen, deren Zyklus kürzer oder länger ist als der Durchschnitt, ist eine Empfängnis an diesen Tagen unmöglich. Anstatt die religiösen Vorschriften zu ändern und dem modernen Kenntnisstand der Medizin anzupassen, werden Tausende Frauen in Kinderwunschkliniken überwiesen und erhalten Hormonbehandlungen für nicht bestehende medizinische Probleme.

Welchen Einfluss hat das auf die Wirtschaft? Eine Fruchtbarkeitsbehandlung ist durch die gesetzlichen Beschäftigungsbestimmungen für Frauen geregelt und verbietet dem Arbeitgeber, eine Frau zu entlassen, die aufgrund einer Kinderwunschbehandlung dem Arbeitsplatz fernbleibt. Diese Regelungen wurden im Gesetz aufgenommen, weil die Behandlung selbst und ihre Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Frauen zu Arbeitsausfällen führen kann und die Arbeitsfähigkeit in vielen Fällen herabsetzt. Wo auch immer Arbeitsschutzbestimmungen bestehen, stoßen wir in Israel jedoch auf ihre Missachtung, und je marginalisierter die Position der Frau, umso massiver werden ihre Rechte verletzt. Viele Frauen verlieren ihren Job, wenn es ihnen trotz mehrfacher Versuche nicht gelingt, schwanger zu werden und es zu bleiben. Auch wenn der Rechtsschutz nicht auf unbegrenzte Zeit gewährt wird, erweisen sich die Arbeitgeber doch als deutlich ungeduldiger als vom Gesetzgeber vorgesehen. Die betroffenen Frauen sehen sich dann vor die Wahl gestellt, ihren Job und ihre finanzielle Unabhängigkeit der Erfüllung ihrer häuslichen, kulturellen und nationalen Pflicht zu opfern: dem Kinderkriegen.

Ein optimistischer Ausblick

Es gibt noch viele weitere Aspekte, die es in dieser Hinsicht zu untersuchen gilt, wie beispielsweise die wirtschaftlichen Kosten von sexueller Gewalt und die Frage, inwiefern die Verherrlichung militärischen Heldentums zu einer Kultur der Vergebung gegenüber den Tätern beiträgt. Oder aber den Einfluss der jüdischen Religionsgesetze auf Eheschließung und Scheidung, die Auswirkungen auf die finanzielle Situation von Frauen nach der Scheidung haben und dazu führen können, dass Frauen Opfer einer Scheidungserpressung durch ihren Ehemann werden, sowie weitere Probleme im Kontext von Sorgerechts- und Unterhaltskonflikten. Für diesen Beitrag soll abschließend noch einmal der größere Rahmen aufgezeigt werden. Die Konflikte Israels entzünden sich nicht allein an der Sicherheitsfrage, sondern entstehen im Spannungsfeld zwischen konservativen und progressiven Positionen, religiösen und säkularen Kräften, zwischen dem Militär und dem zivilen Leben. Und es sind Frauen, die überdurchschnittlich an diesen Konflikten leiden.

Zuversichtlicher stimmen jedoch die relativ fortschrittlichen Gesetze, die Diskriminierung von Frauen verbieten und gezielte Fördermaßnahmen vorsehen, um Frauen vor Diskriminierung zu schützen. Die feministischen Organisationen müssen auf die Einhaltung dieser Gesetze pochen. Sie müssen sich dafür einsetzen, dass alle Frauen im Land über ihre Rechte informiert sind und die Instrumente zur Verfügung haben, diese einzufordern und für sie zu kämpfen. Doch das allein reicht nicht. Wir müssen einen tiefen kulturellen Wandel herbeiführen, der die Prioritäten im Land komplett auf den Kopf stellt. Nationale Sicherheit darf nicht länger die schlagende Antwort auf jedes soziale und wirtschaftliche Anliegen sein. Frauen dürfen nicht mehr als Werkzeuge in einer demographischen Kriegsführung missbraucht werden, und obwohl Religion weiterhin respektiert werden muss, darf sie nicht länger grundlegende Bürgerrechte regulieren oder in dem Maße Einfluss auf säkulare kulturelle Einrichtungen nehmen wie bisher. Diese Säulen der israelischen Gesellschaft umzustoßen ist kein Zuckerschlecken und erfordert Solidarität, die viele weitere Kreise einschließt als nur die progressiven Frauenorganisationen. Aber es wird uns eine Freude sein, auf dem Weg dorthin die Führung zu übernehmen.

Keren Greenblatt ist Direktorin von “Shutafot” (Partnerinnen), einer Koalition feministischer Organisationen für wirtschaftliche Gleichberechtigung, und Mitbegründerin von “Layla Tov” (Gute Nacht), einem Projekt zur Bekämpfung sexueller Gewalt im Nachtleben. Sie hat Rechtswissenschaften an der Hebrew University in Jerusalem studiert und verfügt über einen Master of Law für Internationales Recht und Menschenrechte von der Georgetown University in Washington. Keren kooperiert außerdem mit dem Gesundheitsministerium zur Förderung von Frauengesundheit und zur Bekämpfung sexueller Belästigung im Gesundheitswesen. Sie hält Vorträge und ist Autorin und Social Entrepreneurin.

Übersetzung: lingua•trans•fair

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Anmerkungen

[1] Die Zahlen beziehen sich auf Beschäftigte im Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Vgl. Van Leer Institute: The Gender Index – Gender Inequality in Israel 2016, Jerusalem 2016.

[2] Knesset Center for Research and Information: Women’s Service in the IDF, 6/2013.

[3] Israel Central Bureau of Statistics, 2016.

[4] Dagan-Buzaglo, Noga: A Business of Her Own, Adva Center Research Study, Dezember 2016.

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