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Hauptfeind Iran: Israel und die neue sunnitische Achse

Der erste Flieger mit israelischen Touristen landete just an dem Tag in Dubai, an dem Joe Biden die letzten Wahlmännerstimmen zusammen hatte, um zum neuen amerikanischen Präsidenten gewählt zu werden. Drei Stunden dauerte der Flug der Boeing 737 des Billigfliegers FlyDubai vom Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv über die arabische Halbinsel bis Dubai. Noch bis Jahresende will die Fluglinie eine regelmäßige Verbindung zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Israel einrichten. Das ist Teil der Vereinbarung, die Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der Außenminister der Emirate, Abdullah bin Zayed, im September unterzeichneten. Dies ist eine kleine Sensation: Bislang wurden all jene ohne Umschweife abgewiesen, die mit israelischem Stempel im Pass versuchten, in arabische Staaten einzureisen – von Ägypten und Jordanien einmal abgesehen, die 1979 und 1994 Friedensverträge mit Israel abschlossen.

Bereits kurz nach Unterzeichnung der sogenannten Abraham Accords auf dem Südrasen des Weißen Hauses im Beisein von Donald Trump Mitte September flog ein israelisches Flugzeug mit Diplomaten und Geschäftsleuten an Bord direkt von Tel Aviv in die Vereinigten Arabischen Emirate. Saudi-Arabien hatte zuvor eingewilligt, dass Maschinen der staatlichen Fluglinie El Al das Territorium des Königreichs überfliegen dürfen. Das spart nicht nur Flugzeit, sondern gilt als stille Zustimmung der Führung um Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) zu den Abraham-Abkommen, die neben dem Vertrag zwischen den VAE und Israel auch eine nicht ganz so weitreichende Vereinbarung mit Bahrein beinhalten. Noch weigert sich der 85 Jahre alte König Salman, der von US-Präsident Donald Trump vorangetriebenen Normalisierung des Verhältnisses der arabischen Staaten mit Israel zuzustimmen. Ideologische Vorbehalte dagegen wie die Generation der von der Niederlage im Sechstagekrieg 1967 geprägten arabischen Politiker hat sein 1985 geborener Sohn, Kronprinz bin Salman, jedoch nicht mehr.

Sollte sich die regionale Hegemonialmacht Saudi-Arabien den VAE und Bahrein in den kommenden Jahren anschließen, bedeutet dies das Ende einer Ära, die vom Konsens der Mehrheit der Staaten der Arabischen Liga (AL) geprägt war, diplomatische Beziehungen mit Israel erst nach Schaffung eines palästinensischen Staates aufzunehmen. Auch König Salman setzt weiter auf die Formel seines Halbbruders und Vorgängers, König Abdullah. Dessen von der Liga 2002 übernommene Arabische Friedensinitiative enthielt das Angebot, wonach die arabischen Staaten zur Anerkennung des Staates Israels nur bereit seien, wenn sich dieser auf die Grenzen von 1967 zurückziehen, einer Rückkehr von Geflüchteten der Kriege 1948 und 1967 zustimmen sowie Ostjerusalem als Hauptstadt eines unabhängigen Palästinenserstaats anerkennen würde.

Doch die Absichtserklärung Sudans Ende September, ebenfalls diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen, zeigt, dass sich künftig weitere AL-Mitglieder von der traditionellen Linie abwenden könnten. Trump hatte der Übergangsregierung in Khartum zuvor zugesichert, das Land von der Liste Terrorismus unterstützender Staaten zu nehmen. Im Oktober sprach er von bis zu zehn arabischen Staaten, mit denen die USA über ein Abkommen mit Israel verhandelten. 22 Mitglieder hat die Arabische Liga, darunter das durch die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) vertretene Palästina.

Im Kern sehen die Mitte September im Weißen Haus von Netanjahu und den Außenministern der Emirate sowie Bahreins, Abdullah bin Zayed und Abdullatif Al Zayani, unterzeichneten Verträge vor, dass die beteiligten Staaten Botschaften eröffnen, Handel, Tourismus und wissenschaftlichen Austausch fördern, direkte Flugverbindungen einrichten und in Sicherheitsbelangen stärker zusammenarbeiten werden. Die VAE und Israel haben hinter den Kulissen bereits seit Jahren wirtschaftliche Kontakte aufrechterhalten, insofern bedeutet die nun erfolgte Normalisierung des Verhältnisses zunächst lediglich die formale Anerkennung dieser Beziehungen.

Da der innenpolitische Widerstand in Bahrein gegen das Abkommen stärker war als in den Emiraten, kommt der Vertrag mit Israel hier keinem vollständigen Friedensschluss gleich, sondern trägt den Titel „gemeinsames Kommuniqué über die Aufnahme diplomatischer, friedlicher und freundschaftlicher Beziehungen“. Weil das Königshaus Hamad bin Isa Al Khalifas außenpolitisch nicht ohne Zustimmung der Führung in Riad agieren kann, liegt die eigentliche Bedeutung des Abkommens mit Israel darin, dass Saudi-Arabien es zugelassen hat. Zu Beginn der arabischen Aufstände 2011 etwa waren saudische Panzer in Manama, der Hauptstadt Bahreins, aufgefahren, um die Proteste der schiitischen Bevölkerungsmehrheit niederzuschlagen.

Strategisch bedeutsamer ist deshalb die formelle Aufnahme diplomatischer, wirtschaftlicher und politischer Beziehungen zwischen Jerusalem und Abu Dhabi, in dem Kritiker zu Recht ein Zusammenrücken in erster Linie auf militärischer Basis sehen: Israelische Überwachungstechnologie, die bereits in der Vergangenheit zur Verfolgung Oppositioneller in dem Zusammenschluss von sieben Emiraten eingesetzt wurde, wird künftig noch leichter in die Hände des autoritären Herrscherhauses gelangen können. Der Verkauf US-amerikanischer Drohnen und F-35-Kampfjets an die Emirate im Wert von mehr als 23 Mrd. US-Dollar im November ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Normalisierungsabkommen zwar für geregelte zwischenstaatliche Verhältnisse zwischen den VAE und Israel sorgen, die Aufrüstung in der Region aber weiter vorantreiben.

Iran: Neuer Hauptfeind der autoritären arabischen Staaten

Zudem zählt Israel nun auch offiziell zu der Achse jener Staaten, die den Einfluss des schiitisch geprägten Irans auf der arabischen Halbinsel zurückdrängen wollen. Saudi-Arabien und die VAE bilden die Speerspitze dieses Bündnisses, das vom Machtwechsel von Demokraten zu Republikanern im Weißen Haus 2016 am meisten profitierte: Die zuvor von Barack Obama initiierten Geheimverhandlungen überein Atomabkommen mit dem Iran sahen sie als Verrat an ihrer Rolle als der neben Israel wichtigsten regionalen Verbündeten der USA in der Region. Die Aufkündigung des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) durch Trump im Mai 2018 wurde in Riad, Abu Dhabi und Jerusalem denn auch gleichermaßen begrüßt.

Iran hat Israel damit abgelöst als Hauptfeind der autoritären arabischen Staaten, die nun eine Front bilden gegen die Islamische Republik. Seit Beginn der arabischen Aufstände 2011 haben sie alles getan, um eine Rückkehr zum Status quo ante vor den Revolutionen zu erreichen: In Ägypten unterstützten die VAE und Saudi-Arabien 2012 das Militär entscheidend beim Sturz des ersten frei gewählten Präsidenten des Landes, des Muslimbruders Mohammed Mursi. In Libyen stehen sie auf Seiten der Truppen um General Khalifa Haftar, der gegen die international anerkannte Regierung in Tripolis kämpft. Und auch nach fünf Jahren Krieg im Jemen halten sie weiter an ihrem Ziel fest, die von Iran unterstützten Houthi-Milizen von der Macht in Sanaa fernzuhalten.

Was die konterrevolutionäre Achse um Saudi-Arabien, die Emirate und Ägypten darüber hinaus eint, ist ihre Ablehnung des von der Türkei, Katar und Iran geförderten politischen Islam – und deren Unterstützung der islamistischen Muslimbruderschaft, deren palästinensischer Ableger Hamas den Gazastreifen regiert. Waren es in den Jahren vor Abschluss der Oslo-Abkommen noch die von der Palästinenserführung um den PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat als gemäßigt gebrandmarkten Staaten Ägypten und Jordanien, die den vermeintlich radikalen Unterstützern der palästinensischen Sache gegenüberstanden, hat sich die Konfrontation spätestens mit den Aufständen der 2010er Jahre verschoben: Iran, Katar und der Türkei könnte es gelingen, ihren Einfluss von der Hamas auch auf die wichtigste PLO-Kraft, die Fatah des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, auszuweiten.

Neue Wege zum Frieden?

Zwar ist offen, inwieweit Trumps designierter Nachfolger Joe Biden dessen Politik der Normalisierung des israelisch-arabischen Verhältnisses weiter vorantreiben wird. Die Abraham Accords begrüßte er im Herbst jedoch als Schritt in die richtige Richtung. Obwohl Biden als Verfechter einer Zweistaatenlösung gilt, könnten ihn die Realitäten im Nahen Osten zehn Jahre nach den arabischen Aufständen dazu zwingen, einen neuen Weg zum Erreichen dieses Ziels einzuschlagen.

Die regionale Verständigung zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn muss dabei kein Hindernis sein, im Gegenteil: Den seit 1948 geltenden Kriegszustand Israels mit seinen arabischen Nachbarn zu beenden, war immer Ziel internationaler Friedenspolitik. Noch 2008 verhandelte ein Team des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert unter Vermittlung der Türkei mit syrischen Gesandten über einen Friedensschluss mit der Diktatur Baschar al-Assads. Bis ins Detail waren bereits Vereinbarungen über eine Rückgabe der 1967 von Israel besetzten Golanhöhen getroffen worden. Erst die Anklage wegen Korruption gegen Olmert bereitete der diplomatischen Annäherung ein Ende, die Hoffnung auf einen syrisch-israelischen Friedensschluss zerbrach – ebenso wie die auf eine Einigung mit dem Libanon, der bis zum Abzug syrischer Truppen 2005 unter Kuratel aus Damaskus stand.

So betrachtet nimmt die Absichtserklärung von VAE und Israel einen Faden wieder auf, der durch das Scheitern des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses aus dem Blick geraten ist: Schließlich bestand die internationale Nahostdiplomatie vor Beginn des Jahres 2011 nicht nur auf der Schaffung eines palästinensischen neben dem israelischen Staat, sondern auch auf regionale Entspannung. Die Friedensinitiative der Arabischen Liga, präsentiert 2002 vom damaligen saudischen Kronprinzen Abdullah in Beirut, hatte ebenfalls die Normalisierung diplomatischer Beziehungen aller arabischen Staaten mit Jerusalem zum Ziel – freilich erst nach Rückzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten.

Eine Zäsur in der Geschichte des von arabisch-israelischer Konfrontation geprägten Nahostkonflikts bilden die Verträge selbst dann, wenn sie für die Schaffung eines souveränen palästinensischen Staats zunächst einen Rückschritt bedeuten mögen.

Denn anders als die Friedensschlüsse Ägyptens und Jordaniens mit Israel 1979 und 1994 enthalten die Abraham-Abkommen, die Trumps Schwiegersohn, der US-Nahostgesandte Jared Kushner, vermittelte, keinen expliziten Verweis auf die Zweistaatenlösung mit einem unabhängigen Staat Palästina neben Israel, wie bislang in allen internationalen Verträgen üblich. Lediglich von „Bemühungen“ ist darin die Rede, „eine gerechte, umfassende und dauerhafte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts“ zu erreichen.

Ein historischer Wendepunkt

Das ist ein Wendepunkt in der internationalen Nahostdiplomatie, der durch Hinweis auf die von Trump im Januar 2020 präsentierte „Vision for Peace“ in den Abkommen weiter zementiert wird: Nicht die Schaffung eines souveränen palästinensischen Staats neben dem israelischen, wie sie noch die Oslo-Verträge der 1990er Jahre vorsahen, sondern eine „Verhandlungslösung“, die „den legitimen Bedürfnissen und Bestrebungen beider Völker entspricht“, ist das Ziel – zumindest das der US-amerikanischen Führung unter Trump und der beiden kleinen Golfstaaten. Aber indirekt hat dem auch die Arabische Liga zugestimmt, indem sie eine von der Palästinensischen Autonomiebehörde eingebrachte Resolution, die Verträge zu verurteilen, im August nicht annahm.

Dass die palästinensische Seite mehr als vierzig Jahre nach dem Friedensschluss Ägyptens mit Israel immer noch versucht, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen als Verrat zu diskreditieren, zeigt allerdings auch, wie aus der Zeit gefallen sie ist. Das belegt auch ihre Reaktion auf die Entscheidung der Arabischen Liga, die Abkommen mit Israel nicht, wie von der Autonomiebehörde im August in einer Resolution gefordert, zu verurteilen. Aus Protest gegen diesen Schritt kündigte die PA im September an, auf den Vorsitz der Liga, den sie turnusgemäß 2021 hätte übernehmen sollen, zu verzichten. „Es ist keine Ehre zu sehen, wie die Araber zur Normalisierung eilen“, sagte der palästinensische Außenminister Riyad al-Maliki zur Begründung.

Auch als das israelische Parlament im November über das Abkommen mit Bahrein abstimmte, beharrten die arabischen Abgeordneten geschlossen auf ihrer Ablehnung der Abraham-Abkommen. Der Vereinbarung stimmten lediglich die jüdischen Parlamentarier zu, die 14 arabischen Abgeordneten der Gemeinsamen Liste dagegen. Ministerpräsident Netanjahu freilich tat auch alles dafür, ihnen ein Entgegenkommen zu erschweren. „Wenn wir uns weiter von der palästinensischen Ablehnung abhängig machen, können wir noch viele Jahre warten“, sagte er und warf der palästinensischen Seite vor, seit Verabschiedung der Balfour-Erklärung 1917 durch die britische Regierung jeglichen Fortschritt bei der Lösung des Konflikts zu verhindern.

Ob es in den kommenden Jahren zu einer Zweistaatenlösung kommt, wie sie die Oslo-Verträge der 1990er Jahre vorsehen, hängt deshalb stark davon ab, inwieweit die kommende US-Regierung Druck auf Israel ausübt, Zugeständnisse an die Autonomiebehörde in Ramallah zu machen. 25 Jahre nach der Ermordung Ministerpräsident Jitzchak Rabins und 20 Jahre nach Beginn der Zweiten Intifada könnte der direkte Draht zwischen Abu Dhabi und Jerusalem dafür ein wichtiges Kapital sein, kein Hindernis. Das allerdings verlangt ein Anerkennen der neuen Begebenheiten im Nahen Osten, bei denen nicht mehr der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis an erster Stelle steht, sondern die Konfrontation der autoritären sunnitischen Staaten mit dem Iran.

Der Artikel erschien zuerst in den "Blättern für deutsche und internationale Politik"

Markus Bickel leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv.

Autor:in

Markus Bickel leitete das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv zwischen 2020-2023.