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Thai Workers, Sde Nitzan, Israel, 18.10.2013

Ein einsamer Songkran in der Arava

Die dunkelroten Regenwolken, die am 13. April den Himmel über der Arava-Wüste bedeckten, waren ein Ehrfurcht einflößender Anblick. In diesem Teil des großen afrikanischen Grabens, der unter dem Meeresspiegel und Hunderte von Kilometern vom Mittelmeer entfernt liegt, ist Regen ein seltenes Schauspiel. Wenn sich dieser dann aber doch einstellt, rauscht das Wasser durch die Wadis der israelischen Negev-Wüste und von den gegenüberliegenden Hängen auf der jordanischen Seite. Es flutet den trockenen Grund des Arava-Wadis und legt die Landminen frei, die vor Jahrzehnten vergraben wurden, als sich beide Staaten noch offiziell im Krieg befanden. Noch seltener ist Regen allerdings im April, jenem Monat, in dem die kühlen Tage und kalten Nächte langsam von der erdrückenden 24-Stunden-Hitze des Sommers abgelöst werden. Der Monat, in dem die Paprikaschoten, die der israelischen Seite der Arava ihren Wohlstand beschert haben, zu welken und zu verrotten beginnen.

Der 13. ist jedoch nicht irgendein Tag im April, denn an diesem Tag wird Songkran gefeiert, das Neujahrsfest der Thai. Es ist einer von jährlich vier gesetzlichen Feiertagen für die Tausenden thailändischen Migrant*innen, die den Großteil der landwirtschaftlich Beschäftigten im Gebiet des zentralen Arava-Regionalverbands ausmachen. In Thailand, wo Songkran das allmähliche Ende der Trockenzeit anzeigt, begrüßen die Einheimischen die heißesten Tage des Jahres, indem sich alle in Erwartung der Monsunregenfälle im Mai oder Juni überschwänglich mit Wasser begießen und mit Puder bestäuben. Was die Thailänder*innen in der Arava betraf, so war der Regen natürlich kein Grund, die Feier abzusagen. Im Gegenteil: Er mag ihnen wie eine Verheißung auf etwas Besseres als die brütende und trostlose Hitze des sich anbahnenden Sommers erschienen sein.

Kurz nach 9 Uhr morgens stieß ich zur Feiertagsprozession der thailändischen Arbeiter*innen in der Arava-Gemeinde von Ein Amal (Name geändert). Über uns hingen die bedrohlich rötlichen Regenwolken, doch die Landarbeiter*innen waren vollauf mit dem Festumzug beschäftigt. Sie saßen auf blumengeschmückten, von Traktoren gezogenen Wägen, tranken Bier und Brandy, tanzten hin und wieder zu der Musik, die aus der improvisierten Anlage plärrte, die neben zahlreichen Plastik-Pokalen aufgebaut war, und sprangen ab und an vom Wagen, um Freund*innen auf anderen Traktoren mit Puder einzudecken. Was fehlte, war das Publikum: Wegen des Feiertags wurde nicht gearbeitet, und von gelegentlichen Passant*innen einmal abgesehen, hatten scheinbar alle Israelis in ihren Häusern Zuflucht vor dem Sturm gesucht.

Der Donner grollte bereits durch die Wüste und dicke Regentropfen schlugen auf den staubigen Boden, als der Umzug auf einem kleinen Grundstück nahe des Fußballfelds im Zentrum von Ein Amal zum Stehen kam. Mein Auto und ich, beide über und über mit Farbpulver bedeckt, wurden dazu auserkoren, einen Arbeiter nach Hause zu bringen, der im Vollrausch zusammengebrochen war. Als wir meinen Wagen im Traktorschuppen des Familienbetriebs untergestellt hatten, bei dem ich damals meine Feldforschung durchführte, war das Hämmern des Regens auf dem Wellblechdach hoch über uns bereits ohrenbetäubend. Als wir die nahegelegenen Schlafquartiere betraten, bemerkten wir, dass es direkt über dem Bett eines der beiden Arbeiter, die mich begleitet hatten, um ihren Freund nach Hause zu bringen, durchs Dach tropfte.

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Ein Arbeiter in seinem Schlafzimmer im Wohnbezirk für Thai Arbeiter*innen, Moshav Ahituv. (Foto: ActiveStills)

Nachdem ich mein Möglichstes getan hatte, um bei der Schadensbehebung behilflich zu sein, fuhr ich zurück zur Feier. Auf den Straßen bildeten sich bereits riesige Pfützen. Die größte davon kostete mich eines meiner Nummernschilder. Der Tag hatte sich verdunkelt, nur um zwischenzeitlich immer wieder von Blitzen hell erleuchtet zu werden. Der Regen schien niemals mehr enden zu wollen. Die Feier war jedoch in vollem Gange – und zwar unter dem dünnen, notdürftig improvisierten Verdeck eines der Festumzugswagen. Ich blieb noch für einige Minuten und entschied mich dann, nach Hause zu fahren. Keine anderen Israelis waren zu sehen.

Eine Nische für die hebräische „Selbstarbeit“

Die Kolonisierung Palästinas begann Ende des 19. Jahrhunderts mit der ersten Alija, der zionistischen Einwanderung, und der Errichtung von Plantagen, auf denen Palästinenser*innen für jüdische Siedler*innen arbeiteten, denen das Land gehörte. Eine Generation später setzte sich der „sozialistische“ oder auch „Arbeitersiedlungs-“Flügel der zionistischen Bewegung mit der „Eroberung der Arbeit“ und der Forderung durch, dass auf jüdischen Höfen das jüdische Arbeiterproletariat beschäftigt werden sollte, das infolge des Ersten Weltkriegs ins Land strömte. Die Auseinandersetzung endete mit der Verpflichtung der wichtigsten zionistischen Institutionen, den Kauf von Land für die Einrichtung kommunaler bzw. kollektiv geführter Farmen (den Moschawim bzw. Kibbuzim) zu finanzieren, die diesen europäischen Arbeitspionier*innen einen repräsentablen, wenn auch nicht einen luxuriösen Lebensstandard ermöglichen sollten. Die neuen Gemeinschaften waren stolz auf ihre Verpflichtung zur „hebräischen“ Arbeit, an der keine Palästinenser*innen beteiligt waren, und auf die „Selbstarbeit“, mit der „ausbeuterische“ Lohnverhältnisse überwunden wurden.

Die meisten Gemeinschaften der Bewegung der „Arbeitersiedlungen“ ließen nach der Gründung des Staates Israel und dem Krieg von 1948 beide Prinzipien sehr schnell fallen. Die Übereignung von Land, das der Staat zuvor von palästinensischen Flüchtlingen konfisziert hatte, versorgte die zuvor landarmen Gemeinschaften mit großen Anbauflächen. Darüber hinaus sorgten die Militärregierung, der die neuen palästinensischen Bürger*innen in Israel nun unterstanden, sowie die Einwanderung Hunderttausender Juden und Jüdinnen aus dem Nahen Osten (Mizrachim) für die Entstehung eines riesigen Pools an billigen Arbeitskräften. In Ablehnung dieser „Verlockungen“ und aus Treue zu den Grundsätzen ihrer Bewegung entschlossen sich viele junge Bewohner*innen der Kibbuzim und Moschawim dazu, neue Wege zu suchen, um ihre Pionierarbeit fortzusetzen. Manche fanden sie in der Arava.

Die Arava (auf Hebräisch Arava, auf Arabisch Araba) ist ein tief gelegenes und äußerst trockenes Tal, das sich vom Toten Meer im Norden bis zum Golf von Akaba im Süden erstreckt. Vom Regen des Mittelmeers ist es durch die Berge der Naqab/Negev-Wüste und der Halbinsel Sinai abgeschnitten. Diese im Sommer brütend heiße Gegend wird seit Tausenden von Jahren hauptsächlich zur Wanderweidewirtschaft und zur Durchreise genutzt. Mit der Durchreise war es vorbei, als die Arava aufgrund des Krieges von 1948 zur militarisierten Grenze zwischen Israel und Jordanien wurde, und viele der dort lebenden Beduin*innen über die israelische Grenze herausgedrängt wurden. Nach der Eröffnung des israelischen Hafens von Eilat Anfang der 1950er Jahre erlangte das Grenzgebiet größere strategische Bedeutung. Die Behörden waren jedoch äußerst skeptisch, was die Möglichkeiten landwirtschaftlicher Tätigkeit in dieser Gegend betraf. Erst das Eingreifen des ehemaligen Premierministers David Ben-Gurion führte dazu, dass die Regierung 1959 die Errichtung von Ein Yahav, der ersten Moschaw in der Arava, durch eine Kerngruppe von Menschen unterstützte, die in den Arbeitergemeinschaften der Siedlerbewegung geboren und groß geworden waren.

Das Zusammenkommen unterschiedlicher Faktoren führte dazu, dass in der Arava die hebräische Selbstarbeit auch dann noch Sinn ergab, als es im Rest des Landes längst nicht mehr der Fall war. Regierungsinvestitionen in das Bewässerungssystem ermöglichten es, tiefliegendes Grundwasser anzuzapfen, während die hohen Temperaturen einen profitablen Anbau von Sommergemüse auch im Winter erlaubten. Das extreme Klima sowie die große Entfernung von den Städten waren ausschlaggebende Gründe dafür, dass es junge, abenteuerlustige Menschen waren, die sich dort niederließen, während billige Arbeitskräfte in der Nähe nicht zu finden waren. Nach dem Krieg von 1967 begann die Abhängigkeit landwirtschaftlicher Betriebe im Rest des Landes von der Arbeit palästinensischer Tagelöhner*innen aus den besetzten Gebieten. Weil man von der Westbank jedoch nicht in die Arava pendeln kann und sich die lokalen Landwirte resolut dagegen wehrten, dass sich die Menschen aus der Westbank dauerhaft niederließen, war dieser Form der Beschäftigung zunächst ein Riegel vorgeschoben. Allerdings waren die Landwirt*innen der Arava von der Möglichkeit sehr angetan, junge Freiwillige, hauptsächlich aus Europa und den USA, zu beschäftigen, die ihrerseits ausreichend von der Lebensweise der Siedler*innen fasziniert waren, um ihre Arbeitskraft in Austausch gegen eine Teilnahme an eben diesem Leben zur Verfügung zu stellen.

Die Abwanderung junger Menschen der zweiten Generation aus den regenreichen Tälern im Norden und Zentrum Israels in die trostlosen Wüstenlandschaften im Süden des Landes sowie die streng befolgte Selbstverpflichtung, sich an das Prinzip der Selbstarbeit zu halten, lassen eine Haltung vermuten, die ich als „Ausbeutungsangst“ bezeichne. Diese arbeitsorientierten Zionist*innen nahmen die Ausbeutung der Arbeitskraft anderer Menschen, insbesondere von nicht jüdischen Menschen, als Übel wahr. Und zwar weniger aufgrund der Folgen für die Ausgebeuteten, sondern tatsächlich wegen der vermuteten Auswirkung auf die Ausbeutenden selbst. Inspiriert von den Werken von Ber Borochov und Joseph Haim Brenner, sahen sie Arbeit – und insbesondere landwirtschaftliche Arbeit – als eine Möglichkeit der Erlösung und des Wegs zu einer organischen Beziehung zum Land Israel. Diese Klassiker des sozialistischen Zionismus hatten die Juden und Jüdinnen in der Diaspora für ihre Abhängigkeit von „unproduktiven“ Tätigkeiten wie dem Handel und den freien Berufen gegeißelt. Und dieser Missstand sollte durch die Schaffung und Verbreitung eines jüdischen Proletariats und Bauerntums behoben werden. Die Beschäftigung von Palästinenser*innen, just nach der Blütezeit der Selbstarbeit, wurde als Fingerzeig für die mögliche Gefahr gesehen, die israelische Gesellschaft könne erneut zur verhassten „hierarchischen Klassenpyramide“ zurückkehren, die angeblich kennzeichnend für das „kranke Exil“ gewesen sei.

Trotz ihrer Verankerung in jahrzehntealte Gesellschaftstheorien waren die ideologischen Sympathien, die diese jungen Leute dazu trieben, jene Regionen zu verlassen, in denen billige landwirtschaftliche Arbeitskräfte vorhanden waren, keineswegs irrational begründet, sondern zeugten von einem rudimentären Verständnis kapitalistischer Marktlogik. Diese jungen Menschen verstanden nämlich, dass die Beschäftigung von Mizrachim und insbesondere arabischen Arbeitskräften nicht nur eine Verlockung zur „Rückkehr“ zu einem komfortableren, bürgerlichen Leben waren. Denn selbst wenn ein Hof oder eine Gemeinschaft es schafften, dieser Verlockung zu widerstehen, so würden sie dennoch im drückenden Preiswettbewerb mit den ausbeutenden Nachbar*innen unterliegen. Wenn sie sich also nicht in eine völlig autarke Existenz zurückziehen wollten, musste als einzige Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der Selbstarbeit eine Nische gefunden werden, in der bürgerliche Ausbeutung nicht möglich war. Diese Nische schufen sie sich in den 1960er Jahren und konnten sie bis in die 1980er Jahre hinein aufrechterhalten.

Paprikaschoten und thailändische Migrant*innen

Die jüdischen Siedler*innen schufen sich diese Nische allerdings nicht komplett aus eigener Kraft. Neben der Vergabe von Land und umfassenden Regierungssubventionen für das Bewässerungssystem hing ihr Lebensstandard auch ganz entscheidend vom Schutz durch hohe Einfuhrzölle ab, die den israelischen Markt davor bewahrten, mit preiswerterem Gemüse aus dem Ausland überflutet zu werden. Die Selbstarbeit der Siedler*innen überlebte, weil sie in die Arava zogen und das dortige Klima zu einem relevanten wirtschaftlichen Vorteil in den Wintermonaten umzumünzen verstanden – bei gleichzeitiger Abschottung des Marktes vor der ausländischen Konkurrenz, die ein ähnliches Klima, aber deutlich billigere Arbeitskräfte aufzuweisen hatte. Dieser Schutz begann Mitte der 1980er Jahre zu bröckeln, als der israelische Staat immer stärker auf eine neoliberale Wirtschaftspolitik setzte. Die tarifären Hürden wurden gesenkt, womit die Stückpreise zu sinken begannen und die bäuerlichen Gemeinschaften sich der Notwendigkeit stellen mussten, ihre Methoden und Zielmärkte anzupassen.

Nach einer Phase des Experimentierens begann sich ein neues Konzept herauszuschälen. Ab den frühen 1990er Jahren wurde das große Sortiment an Gemüsesorten, die bislang zum Vertrieb auf dem israelischen Markt angebaut worden waren, immer stärker von Monokulturen mit Paprikaschoten ersetzt, die für den Export nach Europa gedacht waren. Mit der raschen Ausweitung der Anbauflächen wuchs jedoch auch der Bedarf an Arbeitskraft, der nicht länger von den Siedler*innen selbst gedeckt werden konnte. Zufälligerweise fiel diese Transformation der lokalen Wirtschaft mit einer größeren und rapiden Veränderung der Politik auf dem israelischen B*innenmarkt zusammen. In Reaktion auf die erste palästinensische Intifada begann die Regierung unter Jitzchak Rabin, die billigen palästinensischen Arbeitskräfte durch migrantische Arbeiter*innen aus aller Welt zu ersetzen. Für den Bezug landwirtschaftlicher Arbeitskräfte fiel die Wahl auf Thailand.

In anderen Landesteilen wurden die palästinensischen Feldarbeiter*innen durch Thailänder*innen ersetzt, ebenso wie Menschen aus Rumänien oder später China die palästinensischen Bauarbeiter*innen ersetzten. In der Arava hingegen wurde niemand ersetzt. Stattdessen wurde durch die neuen thailändischen Arbeitskräfte eine kleine Revolution in Bezug auf die Produktionsweise vor Ort in Gang. Diese Revolution musste zwangsläufig große Konsequenzen haben für eine lokale Kultur, die auf „Ausbeutungsangst“ begründet war. Als die thailändischen Migrant*innen Anfang der 1990er Jahre in die Arava kamen, wurde sie zunächst in die bereits bestehende Kategorie der „Freiwilligen“ eingestuft, was natürlich Auswirkungen hatte, die über das Formale hinausgingen. Feiertage wie Songkran wurden zu gemeinschaftlichen Festen, an denen Arbeitgeber*innen und ihre Familien pad thai genossen – ein touristisches Gericht, das speziell für den israelischen Gaumen ersonnen wurde, obgleich es in der lokalen Küche des Isaan, der nordöstlichen Region Thailands, aus der die meisten Migrant*innen stammen, überhaupt nicht vorkommt. Diese Rituale, die nicht nur Tänze und Schönheitswettbewerbe umfassten, sondern auch „Bester Boss“-Wettbewerbe, versuchten eine Brücke zu schlagen zwischen der Pionierideologie der israelischen „Arbeitersiedlungsbewegung“ und den Traditionen jener migrantischen Arbeiter*innen, deren Präsenz bereits im völligen Widerspruch zu dieser Ideologie stand.

In dieser Zeit scheint die bäuerliche Gemeinschaft den Widerspruch zwischen ihrem Selbstbild als Pionier*innen der kollektiven Selbstarbeit und der Beschäftigung migrantischer Arbeiter*innen durch die Einführung einer Art paternalistischen Modells aufgelöst zu haben. Die heutigen Landwirt*innen sprechen von den „Thais der alten Zeiten (shel paam)“ mit großer Nostalgie und loben ihre primitive Unschuld – „sie waren gerade von den Bäumen gestiegen“ – als auch ihre harte Arbeit und Ehrerbietung. Viele beteuern, dass „sie uns ‚Mutter‘ und ‚Vater‘ nannten“ – eine Wortwahl legitimierter Herrschaft, die in der thailändischen Kultur ihren Platz hatte, die diesen ödipalen und völlig auf die Jugend fokussierten Zionist*innen jedoch arg seltsam angemutet haben muss, bevor sie schließlich, zumindest zeitweise, die Verpflichtungen akzeptierten, die mit ihrer Rolle einhergingen.

Heute erscheint dies alles tatsächlich wie die „alten Zeiten“. Denn mit dem Anstieg der Beschäftigungszahlen von zwei oder drei auf bis zu 20 pro Hof, entstanden neue Produktionsbeziehungen und Umgangsformen, die es schwierig machten, den paternalistischen Ansatz aufrechtzuerhalten. Langsam, aber unaufhaltsam wurden die Beziehungen zwischen Thailänder*innen und Israelis aus dem öffentlichen Leben gedrängt und die gemeinsamen Feierlichkeiten eingestellt. Die heutigen Gemeinschaften in der Arava sind zwar informell, aber dafür umso strikter getrennt. Das geht so weit, dass Thais und Israelis sich selten am selben Ort aufhalten. Die Traktoren, die die Wagen mit den Arbeiter*innen auf die Felder karren, sind zum Tagesanbruch bereits losgefahren, sodass sie lange weg sind, wenn die israelische Bevölkerung, die nicht in der Landwirtschaft tätig ist, zur Arbeit oder zur Schule geht. Die Baracken, in denen die Arbeiter*innen zusammengepfercht leben – zum Teil zwei oder vier in einem Zimmer mit einer Gemeinschaftsküche –, liegen im „betrieblichen“ Teil des Hofes und damit weit weg vom Wohnhaus der israelischen Familie. Auf dem Hof selbst bilden die Arbeiter*innen dann eine Art Miniatur-Gesellschaft mit ihrer eigenen, auf Alter und Dienstalter basierenden Hierarchie.

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Ein thailändischer Arbeiter neben seiner Behausung, hier im Dorf Prazon im Norden Israels. (Foto: ActiveStills)

Auch andere gesellschaftliche Räume sind getrennt. Die Thailänder*innen erledigen ihre Einkäufe in kleinen Läden, die ihren Geschmäckern entsprechend ausgestattet sind und andere Waren bereithalten als die von den Israelis frequentierten Supermärkte. Zum Freibad, für Israelis ein zentraler Ort des sozialen Austausches in den warmen Monaten, ist Thais der Zugang zwar nicht offiziell untersagt, dennoch sind sie hier selten anzutreffen. Abendliche soziale Aktivitäten wie Kochen, Essen und Trinken beschränken sich jeweils auf die kleine Hofgemeinschaft; an Wochenenden und an Feiertagen gibt es Fußball- und Takraw-Turniere, eine asiatische Ballsportart, die diese Mini-Gemeinschaften in einer größeren Gemeinschaft aufgehen lassen, die alle thailändischen Einwohner*innen der Gegend umfasst. Es ist diese größere Gemeinschaft, die für die Prozession in Ein Amal verantwortlich war – ganz auf sich gestellt und in beinahe vollständiger Isolation von der sie umgebenden israelischen Gemeinschaft.

Die Quellen der Entfremdung

Dass der ursprüngliche Versuch gescheitert ist, die thailändischen Migrant*innen im Rahmen einer paternalistischen Beziehung zu ihren Arbeitgeber*innen einzubinden, kann auf die Veränderungen im Migrationsregime und die zugrunde liegenden sozioökonomischen Dynamiken zurückgeführt werden. Dieses Regime war schon immer extrem restriktiv, getrieben vom „demografischen“ Imperativ, der eine permanente Ansiedlung von Migrant*innen in Israel ebenso zu verhindern sucht wie jede Gefährdung einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit. Migrant*innen kommen auf Grundlage eines nicht verlängerbaren 5-Jahres-Visums nach Israel; verheiratete Paare dürfen nicht gemeinsam einwandern. Sollte eine der wenigen Frauen unter den Migrant*innen schwanger werden und das Kind behalten wollen, folgt die sofortige Ausweisung. Während diese Vorgaben in den 1990er und 2000er Jahren relativ lax gehandhabt wurden – und viele Migrant*innen einfach ihre Pässe austauschten und so für zehn Jahre oder länger nach Israel kamen – sind sie in den vergangenen Jahren immer rigoroser durchgesetzt worden.

Der Staat hat mittlerweile eine sehr viel raffiniertere Methode gefunden, illegale Migration zu bekämpfen, indem er Arbeitgeber*innen dazu zwingt, zu privaten Vollstrecker*innen der Migrationsbestimmungen zu werden. Konkret läuft das so, dass Arbeitgeber*innen eine gewisse Anzahl an Arbeiter*innen (sogenannte „Visas“) zugesprochen bekommen, die sich nach Anbaufläche und -sorten so berechnet, dass die Arbeitskräfte knapp bemessen sind. Arbeiter*innen sind dann an ihre Arbeitgeber*innen „gebunden“ (wörtlich „angekettet“, kvulim). Verlässt eine oder einer von ihnen den Arbeitsplatz oder bleibt länger als die zugewiesene Zeit, verliert der bzw. die Arbeitgeberin den Anspruch auf dieses „Visa“. Die Folge: Auf dem Hof herrscht Arbeitskräftemangel. Da es dank der sozialen Medien und anderer technischer Kommunikationsmittel für Arbeiter*innen leichter geworden ist, Jobs auf anderen Höfen zu finden, werden sie zu einem potenziellen Risiko, „Flüchtige“ (barhan) zu werden. In der Folge sehen sich Arbeitgeber*innen gezwungen, auf illegale Methoden – wie die Einbehaltung der Pässe oder sogar Entführungen – zurückzugreifen, um sicherzustellen, dass ihre Arbeiter*innen bleiben und dann nach Thailand zurückgehen, wenn es ihnen gesagt wird.

Ein weiteres Hindernis bei der Umsetzung des alten paternalistischen Modells ist eine Reform des Abkommens zwischen Israel und Thailand, die dazu dienen sollte, die exorbitanten Summen zu reduzieren, die Migrant*innen ehemals an thailändische Mittler*innen zu zahlen hatten, die mit entsprechenden Geschäftspartner*innen in Israel kooperierten. Die Gebühren sind seitdem zwar drastisch gesunken, aber mit dem Wegfall der Mittler*innen können sich die Arbeitgeber*innen nicht länger aussuchen, welche Arbeiter*innen sie ins Land holen wollen. Hatten sie früher Arbeiter*innen belohnt, indem sie ihre Brüder oder Söhne ins Land holten, wodurch Beziehungen zu ganzen Familien in Thailand entstanden waren, müssen Arbeitgeber*innen heute – sehr zu ihrem Leidwesen – die Arbeiter*innen annehmen, die ihnen zugewiesen werden.

Das Ergebnis einer staatlichen Politik, die darauf ausgerichtet ist, die dauerhafte Ansiedlung von Migrant*innen zu verhindern, ist ein sehr rigider Arbeitsmarkt, der beiden Partner*innen wenig Optionen lässt. Praktisch hat das zwei logische Konsequenzen. Auf der einen Seite können Arbeitgeber*innen ungestraft außerordentlich niedrige Löhne zahlen (im Durchschnitt etwa 70 Prozent des israelischen Mindestlohns, auf den auch Migrant*innen eigentlich ein Anrecht hätten) und ungenügende Wohnverhältnisse bereitstellen, weil es derart schwierig ist, den Betrieb zu wechseln. Da die Entlassung von Arbeiter*innen allerdings genauso schwierig ist, genießen Arbeiter*innen auf der anderen Seite ein erhebliches Maß an Autonomie. Die Arbeit ist zwar hart und monoton, aber die Arbeiter*innen behalten einen Großteil der Kontrolle über die Organisation und den Rhythmus der Arbeit. De facto entscheiden die Arbeiter*innen über die Zusammensetzung der Teams und die Aufgabenverteilung auf der Grundlage von Kriterien wie Alter, Dienstalter und Prestige, die auch das gesellschaftliche Leben in den Wohnquartieren bestimmen. Den Arbeitgeber*innen bleibt häufig nichts anderes übrig, als die Entscheidungen der Arbeiter*innen hinsichtlich der Arbeitsorganisation zu akzeptieren. Sie statten den Feldern selten einen Besuch ab und wenden Sanktionen nur sehr spärlich an. Der Einsatz israelischer Vorarbeiter*innen ist, obgleich er durchaus vorkommt, doch selten erfolgreich, da die Arbeiter*innen sehr viel mehr Wissen über die Arbeit haben als ihre Vorgesetzten.

Ausbeutungsangst und die Unsichtbarmachung der Migrant*innen

Im Laufe der Menschheitsgeschichte diente Paternalismus in ausbeuterischen Gesellschaften schon immer zur Besänftigung des schmerzenden Gewissens der Dienstherr*innen, die ihre Untergebenen als hilflose Kinder ansehen, die, auf sich selbst gestellt, sehr viel schlimmer dran wären. Die erste Begegnung zwischen israelischen Arbeitgeber*innen und thailändischen Arbeiter*innen führte zur Ad-hoc-Entstehung eines Paternalismus, der jedoch schnell der vom Migrationsregime angestrebten Entfremdung gegenüber der israelischen Gesellschaft weichen musste. Dieses Regime ist für die Bauern und Bäuer*innen der Arava keineswegs von Vorteil, sondern macht sie zu Vollstrecker*innen der Migrationspolitik, während die Disziplinierung der Arbeiter*innen durch Androhung einer Kündigung quasi unmöglich ist. Gleichzeitig bietet die Situation den Siedler*innen jedoch auch die Möglichkeit, besser mit jenem Phänomen umzugehen, dass ich ihre „Ausbeutungsangst“ nenne.

Diese Ausbeutungsangst entwickelte sich – und das sollte an dieser Stelle betont werden – in impliziter Abgrenzung zum paternalistischen Ansatz. Die allerersten Bauern und Bäuer*innen in der Arava, die Eltern und Großeltern der heutigen Generation, fühlten sich von der parasitären Symbiose abgestoßen, als die sie das Zusammenleben zwischen Landwirt*innen der ersten Alija und palästinensischen Arbeiter*innen verstanden. Ihr Ziel war die Schaffung einer „reinen Siedlung“, einer, die sowohl in Bezug auf Klasse als auch auf Nationalität egalitär und homogen war. Die Übernahme der Rolle von „Müttern“ und „Vätern“ für ihre Arbeiter*innen bot zwar eine Art Auflösung dieses Dilemmas, keine jedoch, die sich gut mit der Siedlerideologie vertragen hätte, die Grundlage ihrer Erziehung war.

Indem der Staat einen kontinuierlichen und raschen Personalwechsel erzwingt, Arbeitgeber*innen zu Vollstrecker*innen werden und Arbeiter*innen unbeabsichtigt in die Lage versetzt werden, den Arbeitgeber*innen die Kontrolle über den Arbeitsprozess streitig zu machen, hat die herrschende Migrationspolitik dem paternalistischen Modell einen Riegel vorgeschoben. Ebenso ausgeschlossen ist nun die Entwicklung einer Mischkultur wie sie im Süden der USA vor dem Bürgerkrieg oder in Britisch-Indien anzutreffen war. Paradoxerweise erlaubte diese Entwicklung die Quarantäne „lokaler“ Kultur und ihre Immunisierung gegen thailändische Einflüsse. Die Israelis der Arava können von sich sagen, und viele von ihnen haben es mir tatsächlich gesagt, dass sie keinen thailändischen Einfluss auf ihre Gemeinschaft „fühlen“. Diese Fiktion schreiben sie auch in der Außendarstellung in Form zahlreicher PR-Produkte fort, in denen die thailändische Präsenz in der Arava schlicht nicht vorkommt. Bis zu einem gewissen Maß gelingt es ihnen dadurch, ihre eigene Ausbeutungsangst im Zaum zu halten – und zwar nicht, indem sie sich die ausbeuterischen Verhältnisse als vertraute Beziehung vorstellen, sondern, indem sie gemeinsam die Augen von diesen Verhältnissen verschließen.

Der israelische Staat und der eigene ideologische Habitus stellen einen unmöglichen Anspruch an die Landwirt*innen der Arava: die selbstständige und koloniale Siedler-Landwirtschaft fortzuführen trotz eines globalen Marktes, auf dem die Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte die Norm ist. Selbstarbeit ist durch die grausame ökonomische Realität unmöglich geworden, während eine paternalistische Lösung durch die staatliche Migrationspolitik verhindert wird. Was übrig bleibt, ist die Verleugnung, sodass die thailändischen Migrant*innen der Arava nicht nur zur Ausbeutung verdammt sind, sondern auch dazu, nicht mehr gesehen werden. Hin und wieder mag ein Frühlingsregen etwas Linderung verschaffen, aber der 13. April 2016 wird nicht der letzte einsame Songkran-Feiertag in der Arava gewesen sein.

Matan Kaminer ist Doktorand im Bereich der soziokulturellen Anthropologie an der Universität von Michigan und arbeitet derzeit an seiner Dissertation, die auf einer teilnehmenden Beobachtung als Farmarbeiter in der abgeschiedenen Arava-Region in Israel basiert, in der die Mehrheit der Arbeiter*innen aus der Isaan-Region oder dem Nordosten Thailands stammen. Sein Forschungsinteresse gilt dem Zusammentreffen jener Ideologie, die für die Besiedlung der Arava-Region durch israelische Siedler*innen verantwortlich war, mit der heutigen Realität, in der die lokale israelische Gemeinschaft stark von der billigen Arbeit entrechteter „ausländischer Arbeiter*innen“ abhängig ist. In diesem Projekt kommen ethnografische Methoden zum Einsatz, mit denen die Schnittstelle zwischen politischer Ökonomie und nationalstaatlicher Politik, zwischen materiellem Leben und Ideologie untersucht werden. Darüber hinaus ist der Autor an verschiedenen politischen Initiativen in Israel beteiligt, insbesondere der Academia for Equality.

(Zuerst erschienen auf Englisch im Middle East Report 279, Sommer 2016)

Übersetzung: lingua•trans•fair

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Autor:in

Dr. Matan Kaminer ist Anthropologe und Postdoktorand am Stiftungsfonds Martin-Buber-Gesellschaft an der Hebrew University, und Mitglied mehrerer politischer Initiativen, darunter Academia for Equality und LeftEast.