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Demonstration gegen Femizide in Tayibe, April 2020. Foto: Tomer Appelbaum

Die Politik des Eherechts

Bei dem feministischen Kampf in den postkolonialen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens geht es größtenteils um eine Reform des Personenstandsrechts, das in fast all diesen Ländern auf einer orthodoxen Version der Religion beruht. Diese Gesetze gewähren Männern Privilegien. So legen sie zum Beispiel fest, dass eine Frau einen Ehevertrag nur mittels eines männlichen Vormunds schließen kann oder dass ein Mann mehr als nur eine Frau heiraten darf. Im Falle einer Scheidung wird meist dem Mann das Sorgerecht für die Kinder übertragen.

Die zentrale Stellung des auf der Religion basierenden Familienrechts (oder Eherechts) in diesen Ländern stellt feministische Organisationen und Menschenrechtsaktivist:innen im Nahen und Mittleren Osten, die versuchen, gegen die im Eherecht verankerte Unterdrückung von Frauen zu kämpfen, vor Herausforderungen: Zum einen argumentieren konservative Gelehrte und Vertreter der Religion, dass die Ehegesetze ihren Ursprung im Koran hätten und daher heilig seien und nicht geändert werden sollten. Dem folgt dann in der Regel ein zweites Argument angesichts der Tatsache, dass es meist Frauen sind, die Reformen fordern: Frauen sei es nach religiösem Recht nicht erlaubt, sich mit religiösen Angelegenheiten zu befassen. Zudem wird Frauen und Organisationen, die eine Reform des Eherechts fordern, vorgeworfen, dass sie sich vom Islam abgewendet hätten und verwestlicht seien.

Im Gegensatz zu der Situation in anderen nahöstlichen und muslimischen Ländern findet der feministische Kampf für die Gleichstellung der palästinensischen Frauen im Eherecht in Israel in einem noch komplexeren historischen und politischen Kontext statt. Diese Frauen sind palästinensische Staatsbürgerinnen Israels. Sie gehören zum palästinensischen Volk und als solche zur islamischen Umma (Gemeinschaft). Während der Nakba im Jahr 1948 wurde die palästinensische Bevölkerung jedoch von einer Mehrheit zu einer Minderheit in ihrem Heimatland. Die Zerstörung der politischen und kulturellen Infrastruktur löschte alle palästinensischen Frauenorganisationen aus, die vor der Gründung Israels aktiv waren. Erst in den 1990er Jahren begannen sich unabhängige palästinensische feministische und Frauenorganisationen auf nationaler und regionaler Ebene zu organisieren.

Darüber hinaus agieren palästinensische Aktivistinnen, die sich für Verbesserungen der Geschlechterbeziehungen, in der Religion und im Staat engagieren, in einem politischen Kontext, in dem der Staat seit seiner Gründung im Jahr 1948 als jüdischer Staat definiert ist und die jüdische Religion als Quelle der staatlichen Gesetzgebung dient. Bestimmte jüdische religiöse Regeln gelten für alle Staatsbürger:innen, einschließlich der palästinensischen: Es gelten zum Beispiel nur jüdische Feiertage als nationale Feiertage. Das Personenstandsrecht richtet sich nach der Religionszugehörigkeit und beruht auf religiösen Gesetzen, die während des britischen Mandats (1920–1948) erlassen wurden.

Das Eherecht und die palästinensischen Staatsbürger:innen: historischer Hintergrund

Das Eherecht in Israel hat sich seit dem britischen Mandat nicht verändert. So wurden die Fragen des Eherechts den religiösen Institutionen überlassen, was bedeutete, dass Menschen einer Religionsgemeinschaft zugehörig und nicht als gleichberechtigte Staatsbürger:innen gegenüber der staatlichen Exekutive gesehen wurden und dass sich die existierenden Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern sogar noch verstärkten. In Bezug auf die nicht-jüdischen Bevölkerungsgruppen wurde festgelegt, dass für Christ:innen das osmanische Millet-System und für Muslim:innen das 1917 erlassene osmanische Familienrechtsgesetz gilt. Religiöse Gerichte sind demnach für Eheschließungen und Scheidungen zuständig; darüber hinaus entscheiden (muslimischen) Scharia-Gerichte über andere Familienangelegenheiten (Unterhalt für Kinder und Ehefrau, Sorgerecht für Kinder usw.).

Im Laufe der Jahre hat die Knesset eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die für alle religiösen Gerichte bindend sind. So zum Beispiel das Gesetz über die Gleichberechtigung von Frauen (1951); Paragrafen des Strafgesetzbuchs, die Polygamie oder einseitige Scheidung verbieten; das Gesetz, das Geschäftsfähigkeit und Vormundschaft regelt (1962); und das Ehegüterrechtsgesetz (1977). Außerdem wurde ein Gesetz zum Erbrecht erlassen, das die Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Erbschaft sicherstellt und die Zuständigkeit für diese Fragen einem staatlichen Gericht überträgt, außer in Fällen, in denen alle beteiligten Parteien übereinkommen, sich an ein religiöses Gericht zu wenden.

Allerdings gibt es immer noch Angelegenheiten, insbesondere im Eherecht, die nicht durch staatliche Gesetze geregelt sind. Im Jahr 1995 wurde das Familiengerichtsgesetz verabschiedet, das es Jüdinnen und Juden ermöglicht, sich bei Fragen zu Sorgerecht, Unterhalt und Vermögens-aufteilung bei Scheidungen an ein staatliches Familiengericht zu wenden.

Aktionskomitee für Gleichheit in Eherechtsangelegenheiten – Novelle des Familiengerichtsgesetzes

Nach der Verabschiedung des Familiengerichtsgesetzes (1995) organisierten sich eine Gruppe von Aktivistinnen mit feministischen Initiativen sowie Menschenrechtsorganisationen in einer Koalition, die sich »Aktionskomitee für Gleichheit in Eherechtsangelegenheiten« nannte. Das Komitee hatte sich zum Ziel gesetzt, das Familiengerichtsgesetz dahingehend zu ändern, dass es auch für Muslim:innen und Christ:innen gilt und sich muslimische und christliche Frauen und Männer neben den religiösen Gerichten auch an das staatliche Familiengericht wenden können.

Hauptgrund für die Initiative zur Gesetzesänderung waren die Schwierigkeiten und Frustration, auf die Anwältinnen und Aktivistinnen in Hilfszentren und Frauenhäusern stießen, wenn sie sich an die religiösen Gerichte wandten, da die Richter meist zugunsten der Männer entscheiden. Bei Klagen auf Unterhaltszahlungen zum Beispiel pflegten Qadis (Richter) an Scharia-Gerichten keine professionellen Sachverständigen, sondern Laien (Männer aus dem Bekanntenkreis) zur Ermittlung der finanziellen Situation des Mannes einzusetzen und sich sogar mit der Familienangehörigen des Mannes über die Höhe der festzulegenden Unterhaltszahlungen zu beraten. Sie bezeichneten die Frau als »Rebellin« und wandten damit das Prinzip der »Gehorsamspflicht« der Frau gegenüber dem Mann als Kriterium für die Höhe der ihr zustehenden Unterhaltszahlungen an.

Die Aktivistinnen mobilisierten öffentliche Unterstützung und agierten über eine Lobby in der Knesset. Der Knesset-Abgeordnete Nawaf Massalha von der Arbeitspartei bemühte sich um eine breite Unterstützung für den Gesetzesentwurf, der erstmals am 2. Mai 1997 der Knesset vorgelegt und am 5. November 2001 in dritter Lesung mit großer Mehrheit (51 Ja-Stimmen, 23 Ablehnungen und 3 Enthaltungen) verabschiedet wurde.

Die Aktivitäten für die Gesetzesnovelle haben viele Fragen über den Status von Frauen und den Stellenwert von Religion, Identität, und Staat aufgeworfen. Denn dies war nicht nur die erste feministische Gesetzgebungsinitiative von palästinensischen Staatsbürger:innen in Israel, sondern es handelte sich auch um eine erste öffentliche Diskussion über Geschlechterfragen, die sonst gesellschaftlich tabu sind.

Die Gesetzesreform zielte nicht darauf ab, die Zuständigkeit der religiösen Gerichte in Eherechtsangelegenheiten abzuschaffen, sondern darauf, dass muslimische und christliche Frauen und Männer wählen können, an welches Gericht sie sich wenden, und dass das Wahlrecht der Prozessparteien respektiert wird. Trotzdem war klar, dass das Ende ihrer alleinigen Zuständigkeit die Macht und den Status der religiösen Gerichte verringern würde, weshalb diese die Initiative ablehnten. Trotz interner Spaltungen schloss sich die gesamte Islamische Bewegung der Position der religiösen Gerichte an. Sie argumentierte, dass es sich bei der Gesetzesinitiative um einen Angriff auf das religiöse Establishment, auf die arabische und muslimische Identität und auf die wenigen Institutionen in Israel, die noch unter muslimischer Kontrolle sind, handele.

Eine Gruppe von religiösen Gelehrten, Scharia-Richtern und führenden Persönlichkeiten der Islamischen Bewegung veröffentlichte im Jahr 1997 sogar eine Erklärung unter der Überschrift »Fatwa«, in der sie ihre Ablehnung der vorgeschlagenen Gesetzesänderung zum Ausdruck brachte. Sie stellten fest, dass die Gesetzesänderung die Befugnisse der Scharia-Gerichte schmälere und ein Schritt in Richtung Abschaffung sei, und argumentierten, dass die Prinzipien, auf denen die israelischen Gesetze zum Eherecht, Unterhalt, Adoption und Erbrecht beruhen, Modelle schafen würden, die dem Islam fremd seien und dem islamischen Recht widersprächen. Die Verfasser erklärten, dass den arabischen Staatsbürger:innen in Israel kulturelle Autonomie, zu der die Religion gehöre, gewährt werden müsse, und dass jede Beeinträchtigung der Scharia-Gerichte eine Abkehr von der arabischen und muslimischen Identität zur Folge habe.

Die säkulare Balad (eine antizionistische links-orientierte Partei, deren Mitglieder zumeist arabisch sind) brachte zum ersten Mal den Begriff »kulturelle Autonomie« in den israelischen Diskurs ein, als sie im Jahr 1995 die Errichtung einer solchen Autonomie, das heißt die Selbstverwaltung von Schulen, Universitäten, Medien und anderen kulturellen Einrichtungen, für die palästinensische Bevölkerung in Israel forderte. Azmi Bishara und Said Zeedani, damals Dozenten an der Bir-Zeit Universität, erhoben diese Forderung erstmals 1989 in einem Artikel. Sie wird mittlerweile fast von der gesamten säkularen intellektuell-nationalen Elite der palästinensischen Bevölkerung in Israel vertreten.

In der Auseinandersetzung über die Gesetzesreform wurde somit auch das Konzept der kulturellen Autonomie thematisiert. Angesichts des Widerstands aller religiösen Strömungen kam es zu einigen Debatten unter säkularen und nationalen Organisationen und Parteien, wie zum Beispiel Balad, der Arabischen Vereinigung für Menschenrechte und Adalah (ein Zentrum, das Rechtsbeistand für den Kampf um die Rechte der arabischen Minderheit in Israel leistet). Es wurde insbesondere darüber diskutiert, ob die religiösen Gerichte, und vor allem die Scharia Gerichte, als Teil der von diesen säkularen Organisationen und Parteien geförderten kulturellen Autonomie zu betrachten seien. Diese Diskussion fokussierte Fragen bezüglich des kulturellen und nationalen Kollektivs, der Grenzen der kulturellen Autonomie und des »Rechts« auf ein Monopol auf die Religion. Während der Debatten um die Novelle gab es zwei unterschiedliche Grundhaltungen: Eine Seite war der Ansicht, die Scharia-Gerichte seien eine nationale und nicht nur eine religiöse Angelegenheit und der Staat solle sich nicht in die Angelegenheiten der Minderheit einmischen, außer in solch seltenen Fällen wie zum unmittelbaren Schutz des Lebens und der Menschenwürde; die andere Seite argumentierte, dass sich diese Debatte auf religiöse Gesetze beziehe und nicht auf die Frage der kulturellen Autonomie, und dass mithin kulturelle Autonomie nicht auf Kosten der universellen Menschenrechte gehen dürfe.

Eines der Probleme, die sich im Zuge der Gesetzesnovelle ergaben, ist, dass die staatlichen Familiengerichte gemäß dem religiösen Recht der Prozessparteien entscheiden. Das heißt, die Familienrichter:innen sollen nach dem für die Prozessparteien anwendbaren religiösen Recht und dessen Interpretation urteilen, auch wenn die Richter:innen jüdisch sind und Prozessparteien säkulare oder religiöse Muslim:innen oder Christ:innen.

In Interviews, die ich mehr als ein Jahrzehnt nach der Gesetzesnovelle geführt habe, argumentierten Mitglieder der Anwaltskammer, dass die staatlichen Familiengerichte zwar nach religiösem Recht entschieden, aber dem Zivilrecht zu viel Gewicht beimäßen und einer stärkeren Kontrolle unterlägen als die religiösen Gerichte. Die Interviewten fügten hinzu, dass das religiöse Recht zwar für die staatlichen Familiengerichte bindend sei, aber die Richter:innen eine generelle Verpflichtung gegenüber dem staatlichen Zivilrecht hätten und nicht gegenüber den religiösen Texten, denen die religiösen Gerichte verpflichtet seien.

Diese Debatte zeigt, dass die kulturell-nationale Dimension bei den Themen Frauen, Familie und Geschlechterverhältnisse im Vordergrund steht und sich der Diskurs auf Autonomie und den »Erhalt der Identität« konzentriert, was bei anderen politischen Themen nicht passiert. Das Ignorieren des nationalen-politischen Hintergunds in Israel seitens der Aktivistinnen erzeugt einen kontextlosen liberalen Diskurs, der der Situation in keiner Weise Rechnung trägt. Zum Beispiel ignorieren sie die Tatsache, dass der Staat sich als jüdischer Staat definiert, der bei den Themen Nationalität, Kultur und Land Gesetze zugunsten von Jüdinnen und Juden auf Kosten von Palästinenser:innen verabschiedet; dass den staatlichen Zivilgerichten in der Regel jüdische Richter:innen vorsitzen, die mit den religiösen Gesetzen der Parteien nicht vertraut sind; dass in den Gerichtsverfahren auf Hebräisch verhandelt wird, das heißt in einer Sprache, die nicht alle Palästinenser:innen fließend beherrschen. Dies bedeutet, dass für Personen sehr wichtige Entscheidungen aufgrund religiöser Gesetze getroffen werden, ohne dass die Richter:innen mit der islamischen Religion vertraut sind. Die Beschäftigung mit diesem liberalen Diskurs wiederum stärkt die Stellung der Frau als Symbol der Identität, selbst unter der säkularen Bevölkerung. Diese Situation bringt Frauen in eine Zwickmühle: Sie müssen zwischen ihrer nationalen und ihrer Geschlechtsidentität wählen. Entscheiden sie sich für ihre nationale Identität, führt das zu den Scharia-Gerichten, die dem israelischen Religionsministerium oder Justizministerium unterstellt sind, während die Wahl der Geschlechtsidentität bedeutet, Eherecht anzuwenden, das ebenfalls religiös ist, aber vor staatlichen Gerichten durch zumeist jüdische Richter:innen verhandelt wird.

Die Organisation »Frauen und Horizonte«: Aktion zur Reform des osmanischen Familienrechtsgesetzes

Im Jahr 2002 wurde die Organisation Nisaa wa-Afaq (Frauen und Horizonte) gegründet. Diese feministische Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, die Stellung von Frauen zu verbessern und durch eine feministische Lektüre des Korans gegen den Gebrauch der Religion als Instrument zur Unterdrückung von Frauen vorzugehen.

Zwischen 2012 und 2015 arbeitete die Organisation an einer Reform des osmanischen Familienrechtsgesetzes, das 1917 in Kraft trat und in allen nahöstlichen Ländern bereits verschiedentlich novelliert wurde. Die Aktivistinnen argumentierten, dass das Gesetz nicht mehr zeitgemäß sei. Deshalb forderte die Organisation im Gegensatz zum oben beschriebenen Aktionskomitee für Gleichheit in Eherechtsangelegenheiten keine Änderung der Zuständigkeit der Gerichte, sondern eine Änderung des Gesetzes selbst im Sinne einer reformorientierten religiösen Interpretation.

Folgende Änderungen wurden zum Beispiel vorgeschlagen: Im Gesetz zur Eheschließung sollte der Passus »die Person, die die Frau bei der Unterzeichnung der Ketuba (Ehevertrag) vertritt, ist ihr nächster männlicher Verwandter auf der väterlichen Seite« durch den folgenden ersetzt werden: »Es gibt keinen Vertreter für eine Person über 18 Jahren, es sei denn, er/sie will dies.« An einer anderen Stelle sollte die Regelung, dass die Ketuba von zwei männlichen Zeugen unterschrieben werden muss, dahingehend geändert werden, dass es sich bei den beiden Zeug:innen auch um einen Mann und eine Frau handeln kann.

Die vorgeschlagene Gesetzesnovelle, deren Text im Jahr 2014 in einer Broschüre veröffentlicht wurde, wurde von drei Expert:innen verfasst: von einer für Menschenrechtsfragen, einem für die Scharia und einer für israelisches Recht. Während der Vorbereitung des Entwurfs für die Gesetzesnovelle trafen sich die Mitglieder der Organisation mit Fachleuten für islamisches Recht zu Schulungen und Diskussionen. An den Schulungen nahmen auch Juristen und Richter der Scharia-Gerichte der Palästinensischen Autonomiebehörde teil.

Der Entwurf für die Gesetzesnovelle wurde der Knesset-Abgeordneten Hanin Zoabi (Balad) übergeben, damit er in der Gemeinsamen Liste (der zu dem Zeitpunkt alle arabischen Parteien angehörten) diskutiert werden konnte. Aber noch bevor eine solche Debatte stattfinden konnte, sickerte der Entwurf an die Medien durch und wurde von Scharia-Richtern, Mitgliedern der Islamischen Bewegung und Kommentatoren in den sozialen Medien vehement angegriffen.

Anfang November 2015 wurde eine Presseerklärung veröffentlicht, in der behauptet wurde, dass Balad-Abgeordnete der Knesset einen Gesetzesentwurf zum Eherecht mit 121 Paragrafen vorgelegt hätten, ohne vorher »sachkundige und erfahrene« muslimische Personen konsultiert zu haben. Der südliche Flügel der Islamischen Bewegung erklärte, dass er jede Gesetzesnovelle ablehnen werde, die nicht vom Scharia-Establishment komme. Der ehemalige Präsident des Scharia-Berufungsgerichtshofs war der Ansicht, dass der Gesetzentwurf Israel dazu befuge, die inneren Angelegenheiten der Muslim:innen gesetzlich zu regeln, und dass die Vorlage eines solchen Gesetzes ein Angriff auf die Religion und die natürliche Ordnung der Welt, auf den Islam und die Muslim:innen sei.

Die Argumentation der Islamischen Bewegung gegen die Forderungen der Organisation »Frauen und Horizonte« spiegelt unter anderem einen Kampf um Repräsentation und Autorität in Angelegenheiten der islamischen Rechtstradition wider. Die Empörung und die öffentliche Reaktion darauf ähneln der Situation während der oben skizzierten Novellierung des Familiengerichtsgesetzes. Die Argumente, die gegen die Novelle im Jahr 1997 vorgebracht worden waren, tauchten wieder auf: Erstens wollten Feministinnen angeblich die Befugnisse der Scharia-Gerichte beschneiden und das staatliche Recht auf Kosten des islamischen stärken, wodurch sie die letzte und einzige Institution schädigten, in der Muslim:innen Autorität und Autonomie besäßen; zweitens könnten jüdische Abgeordnete über eine religiöse Interpretation des Koran abstimmen, wenn die Gesetzesvorlage das Knesset-Plenum erreicht. Das sei problematisch für eine nationale Minderheit, die in ihrem Land, aber nicht in ihrem eigenen, sondern einem jüdischen Staat lebt. Darüber hinaus sprachen die Aktivistinnen in beiden Fällen über die Verachtung, die ihnen von den Gegnern ihrer Initiative entgegengebracht worden sei: »Wer seid ihr überhaupt?« »Was versteht ihr schon?« Es wurde ihnen ihre Kompetenz und die Legitimation abgesprochen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, obwohl die Aktivistinnen selbst von der Rechtsgrundlage betroffen sind und obwohl ihre Reformvorschläge im Vergleich zu den Forderungen, die von Muslim:innen in anderen Ländern im Nahen und Mittleren Osten sowie in anderen Teilen der Welt erhoben werden, relativ moderat sind. Aktivistinnen in Marokko ist es zum Beispiel gelungen, im Jahr 2004 die Verabschiedung eines neuen Gesetzes durchzusetzen, das vorschreibt, dass eine erwachsene Frau keinen Vormund in der Ehe braucht.

Die Angriffe auf »Frauen und Horizonte« ließen schnell nach, als die Organisation ihre Aktivitäten zum Thema einstellte. Die Knesset-Abgeordnete Hanin Zoabi organisierte keine Debatte über den Entwurf, obwohl sie dafür bekannt ist, dass sie jeder Form von religiösem Zwang energisch entgegentritt. Zoabi erklärte, dass sie ihr Engagement in der Sache eingestellt habe, weil ihre Partei (Balad) die öffentliche stürmische Debatte nicht als Gelegenheit sähe, einen Kampf zu beginnen, der soziale und politische Veränderung bewirken kann, sondern als Belastung, der es sich zu entledigen gelte. Sie teilte auch mit, dass sich, als sie in der Angelegenheit aktiv geworden war, die Qadis und die Islamische Bewegung mit ihren Beschwerden darüber an die männlichen Balad-Abgeordneten gewandt hatten, so als stände sie unter deren Vormundschaft.

Andere feministische Politikerinnen bestärkten die Knesset-Abgeordnete Zoabi in ihren Äußerungen. Sie erklärten, dass die männliche säkulare politische Führung einen Kompromiss mit der Tradition und dem religiösen Establishment suche, und dass, wenn es darum ginge, die Grenzen des Patriarchats zu hinterfragen, Fragen der Sexualität aufzuwerfen oder größere Freiheiten für Frauen zu fordern, dies als Angriff auf die Institution der Familie gesehen werde.

Der Kampf palästinensischer Feministinnen, seien sie religiös oder säkular, für eine Reform des Personenstandsrechts in Israel zeigt deutlich, dass dieser nicht nur mit Geschlechterfragen verbunden ist, sondern auch mit dem politischen Verhältnis zwischen Religion, Geschlecht und Staat. Jede Initiative zur Änderung von Gesetzen muss sich an den politischen Souverän wenden. Anders als in muslimischen Ländern agierten die Aktivistinnen der beiden Organisationen in einem Land, in dem sie keine gleichberechtigten Staatsbürgerinnen sind.

Es machte keinen Unterschied, ob der Kampf im Namen der »universellen« Werte der Menschenrechte geführt wurde oder ob er eine reformorientierte islamische Interpretation heranzog und von Entwicklungen in der arabischen und muslimischen Welt inspiriert war. In beiden Fällen wurden die Organisationen, die den Kampf führten, von ihrer Community angegriffen und beschuldigt, mit dem »zionistischen Establishment« zu kollaborieren, in den Diensten einer »fremden Agenda« zu stehen, »dem Islam« sowie den einzigen Institutionen, in denen Palästinenser:innen »nationale Autonomie in Israel« haben, zu schaden. Und das zu einer Zeit, in der das Scharia-Establishment dem israelischen Justizministerium untersteht (bis 2001 war es das Religionsministerium) und seine Funktionsträger israelische Beamte sind.

Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, dass das Eherecht, das Einfluss auf Frauen, Sexualität und die Privatsphäre hat, eine Art Kompensation für den sonstigen Kontrollverlust der patriarchalischen politischen Kräfte der palästinensischen Minderheit, die ihrerseits vom israelischen Staat kontrolliert, unterdrückt, geschwächt und abhängig sind, darstellt. Die Angriffe auf das Aktionskomitee für Gleichheit in Eherechtsangelegenheiten und die Knebelung der Organisation »Frauen und Horizonte« verdeutlichen, dass es diesen Machtstrukturen gelingt, stärker zu sein als die Frauenorganisationen, die gegen sie kämpfen.

Übersetzung von Ursula Wokoeck Wollin

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