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Bibis Online-Armee am Golf

Am 15.September 2020 haben die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrein einen geschichtsträchtigen Vertrag zur Normalisierung der Beziehungen mit Israel unterzeichnet. Die vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump vermittelten so genannten Abraham Accords bilden den Höhepunkt einer jahrelangen Annäherung zwischen Israel und den arabischen Staaten am Persischen Golf, die von einem spürbaren Meinungsumschwung in der arabischen Öffentlichkeit gestützt wird. Zwar geriet die Vereinbarung wegen Nichtbeachtung der palästinensischen Selbstbestimmungsbestrebungen unmittelbar unter Beschuss, zugleich wurde sie aber in den sozialen Medien von zahlreichen Influencer*innen aus verschiedenen Ländern des Golf-Kooperationsrats (GKR) enthusiastisch begrüßt.

Während der Machtzuwachs der Golfstaaten im vergangenen Jahrzehnt einem zunehmenden iranischen Einflusses in der Region entgegengewirkte, hat Israel mittels eines Netzwerks arabischsprachiger Profile in den sozialen Medien pro-israelische Propaganda verbreitet, um die Herzen und Köpfe der Bevölkerung in den Staaten des Golf-Kooperationsrats (GCC) zu gewinnen und die mutmaßliche Bedrohung durch die Islamische Republik auszuhebeln. Mit dem Friedensabkommen in Sicht scheinen diese Anstrengungen Früchte zu tragen.

Kooperation mit Golf-Staaten seit den 1990ern

Historisch hat der israelisch-palästinensische Konflikt eine wichtige Rolle im Verhältnis Israels zu den Golfstaaten gespielt. Nach Aufnahme der Beziehungen in den 1990er Jahren infolge des Oslo-Abkommens, ihrem Abbruch nach Beginn der Zweiten Intifada (teilweise aufgrund von Massenprotesten in einigen Golfstaaten), ihre erneute Anbahnung durch die Arabische Friedensinitiative von 2002 und der verdeckten Wiederaufnahme in den 2000er und 2010er Jahren hat Netanjahus Regierung zuletzt Erfolge bei der Verbesserung des Verhältnisses zu den GKR-Ländern zu verzeichnen – insbesondere zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Bahrain, und in geringerem Maße auch zu Oman und Katar.

Bereits Ende der 2000er Jahre begann die israelische Regierung damit, ihre staatliche Propaganda, Hasbara genannt, auch über soziale Medien zu verbreiten. Zum Beispiel veröffentlicht das israelische Außenministerium seit 2008 kurze «Informations-»Videos auf YouTube. Zwei Jahre später eröffnete es auf Twitter virtuelle Botschaften für Ägypten und Jordanien, die «die diplomatischen Beziehungen, das Wirtschaftswachstum und die Freundschaft» zwischen Israel und diesen beiden Ländern stärken sollten. Diese Accounts befassen sich ausschließlich mit sozialen, kulturellen, technologischen und ökonomischen Inhalten. Ausgespart bleiben hingegen für die jordanische und ägyptische Bevölkerung sensible politische Themen wie beispielsweise die Rechte der Palästinenser*innen.

Mittlerweile sind ähnliche Taktiken und Mittel auch von Einrichtungen der inneren Sicherheit übernommen worden, die versuchen, die negative Wahrnehmung der palästinensischen Bevölkerung in Bezug auf die militärischen Besatzung hin zu Partnerschaftlichkeit und Nähe zu verschieben.

Netanjahu intensivierte Präsenz in arabischen sozialen Medien

In den Jahren nach seiner Rückkehr ins Amt des Ministerpräsidenten 2009 übertrug Netanjahu einer Gruppe junger Ex-Soldat*innen aus der Kommunikationseinheit «Dover Zahal» der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte – darunter sein ältester Sohn, Jair Netanjahu – die Führungsrolle beim Ausbau der staatlichen Präsenz in den sozialen Medien. Mit ihrer Eliteeinheit technikversierter Onlinekrieger*innen war die israelische Regierung startbereit, sich die arabische Blogosphäre vorzunehmen und Israel ein positiveres Image zu verschaffen.

Im Gefolge des Arabischen Frühlings eröffnete die israelische Regierung eine Reihe weiterer arabischsprachiger Accounts – darunter «Israel auf Arabisch» auf Twitter und «Israel Spricht Arabisch» auf Facebook, letzteres mit fast zwei Millionen Follower*innen in der Region –, die ein Publikum jenseits der offiziellen Verbündeten Israels erreichen. Funktionär*innen wie der Sprecher der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte Avichay Adraee, der für arabische Medien zuständige Sprecher des Ministerpräsidenten, Ofir Gendleman, und sogar Netanjahu selbst fingen zwischen 2011 und 2012 an, in sozialen Medien auf Arabisch zu posten.

Diese Accounts arbeiten zusammen, indem sie gegenseitig Twitternachrichten retweeten, Informationen und Abonnent*innen teilen und sich ausgiebig mit Menschen in der Region beschäftigen. Sie posten Diskussionen und Umfragen, Videos, die sich direkt an die Bevölkerung der Region wenden, sowie Bezüge auf die arabische Kultur und den Islam. Sie stellen Israel als progressive, tolerante, kreative und friedliche Nation dar. In den letzten Jahren hat sich der Fokus stärker auf technologische Fortschritte in Bereichen verschoben, die für die arabische Welt von Interesse sind, wie Agrartechnik und Medizin. Es gibt auch einen Schwerpunkt auf Frauenrechte und Geschlechterrepräsentanz in der israelischen Regierung und im israelischen Militär. Dadurch entsteht ein Bild, in dem die Gewalt der Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlands an den Rand rücken.

Feindbild Iran

Während Israel die Kontrolle über die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten verschärfte und die Besatzung in den strategischen Überlegungen der arabischen Staatslenker zugleich an Bedeutung verlor, sind einige dieser Accounts immer offener zu politischen Statements übergegangen. Dieser zunehmend aggressive Diskurs kritisiert den palästinensischen Umgang mit dem Konflikt, behauptet, dass die Palästinenser*innen wiederholt jegliche Friedensangebote Israels abgelehnt hätten, stellt Widerstand als illegitimen Terrorismus dar und übertreibt die Beziehungen der Palästinenser*innen mit dem Iran und Katar. Diese jüngste Erweiterung des Repertoires der Accounts – insbesondere was die Darstellung des Iran als bösartigen Einfluss in der Region betrifft – zeigt, dass sich der Fokus zunehmend zum Golf hin verschiebt.

Der Account «Israel im Khaleej» wurde 2013 angelegt. Die in den Golfstaaten äußerst einflussreichen sozialen Medien lassen Berührungspunkte mit globalen Communities, Diskursen und Trends entstehen, was zum schnellen Wachstum des Kanals beigetragen hat. «Israel im Khaleej» wird von offizieller Seite als eine der erfolgreichsten Informationskampagnen des Außenministeriums in den sozialen Medien angesehen und wurde 2018 zur «virtuellen Botschaft» erkoren. «Immer mehr unserer Follower*innen geben an, dass unsere Posts ihre Haltung zu Israel verändert haben», so der Gründer des Accounts, Yonatan Gonen.

Den Golf im Fokus

Youtube Video

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Häufig berühren die politischen Posts auch gemeinsame strategische Anliegen oder Interessen, besonders hinsichtlich außenpolitischer Themen wie den iranischen Fortschritten bei der Nukleartechnik und der Eindämmung des islamischen Extremismus (der oft mit der palästinensischen Widerstandsbewegung gleichgesetzt wird). Sie heben auch Netanjahus guten Draht zu und Zusammenarbeit mit Donald Trumps Administration hervor, was viele Golfstaatenbewohner*innen anspricht, die Trumps aggressive Iranpolitik befürworten.

Die mutmaßliche Bedrohung durch den Iran war Katalysator und das Hauptanliegen der diplomatischen Ambitionen Israels am Golf, aber sie ist nicht das einzige verbindende Element. 2011 ließ auch der Arabische Frühling Israel und die Golfstaaten näher zueinander rücken, als die Revolten zeigten, welche Macht Stimmungen in der Bevölkerung entfalten können, bis hin zum Sturz autoritärer Regime.

Arabische Aufstände als gemeinsame Bedrohung

Die Proteste waren für die israelische Regierung, die hauptsächlich an der Erhaltung des Status quo, sprich der Neutralisierung von Bedrohungen in der Region interessiert ist, ebenso beängstigend wie für die Golf-Regime, die politische Massenbewegungen sowohl direkt als auch indirekt als Bedrohung wahrnahmen. Die beiderseits als Gefahr angesehene Möglichkeit, dass aus Protestbewegungen islamistische Strömungen gestärkt hervorgehen könnten, wurde von diesen offiziellen Accounts dazu benutzt, die nationalen Ambitionen der Palästinenser*innen als gefährlich, korrupt und radikal darzustellen.

Häufig greifen Posts radikalislamische Ideologie an und unterscheiden dabei zwischen «guten Araber*innen», das heißt fügsamen und produktiven Bürger*innen, und «schlechten Araber*innen», das heißt Unterstützer*innen islamistischer Bewegungen oder «Terror»-Organisationen (einschließlich militanter Palästinenser*innengruppen).

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Tausende demonstrierten im Juni 2020 gegen die Annektionspläne der Regierung, Tel Aviv 2020. Foto: Activestills

Dämonisierung palästinensischen Widerstands

Zusätzlich kritisieren diese Kanäle den palästinensischen Widerstand, dämonisieren Bemühungen, sich gegen die Besatzung zur Wehr zu setzen, und befeuern die Angst autoritärer Regime vor popularen Bewegungen, die den Status quo infrage stellen oder radikale ideologische Strömungen unterstützen. Mit Hashtags wie «Hamas ist eure Nakba» oder «Nicht Awda (Rückkehr), sondern Fawda (Chaos)» stellen offizielle israelische Accounts Aufstände und Proteste als gewaltsam und von der Hamas aufgestachelt oder vom Iran unterstützt dar.

Zugleich nehmen in den GCC-Ländern und insbesondere in Saudi-Arabien pro-israelische Accounts zu, die die israelischen Erfolge und Politiken loben und palästinensische Anstrengungen, sich gegen die Besatzung zu wehren, verurteilen. Die von pro-zionistischen arabischen Kanälen angeführten Argumente zur Rechtfertigung ihrer schwindenden Unterstützung für Palästina umfassen Israels technologische Fortschritte und Erfolge bei der Terrorbekämpfung, die Korruption und Ohnmacht des palästinensischen Widerstands sowie die Ablehnung früherer Friedensvereinbarungen seitens der Palästinenser*innen.

Diese klassischen Hasbara-Argumente belegen, wie effektiv die israelische Öffentlichkeitsarbeit in der Region wirkt und wie erfolgreich sie diese Taktiken an ein arabischsprachiges Zielpublikum angepasst hat. Solche Accounts insbesondere in den Emiraten und in Saudi-Arabien verwenden Hashtags wie «Palästina ist nicht mein Problem» und «Ja zur Normalisierung». In den vergangenen Monaten haben sie diverse Kampagnen gestartet, die antipalästinensische Gefühle unter Golfstaaten-Bürger*innen aufgreifen, indem sie in Luxus lebende Palästinenser*innen zeigen oder alltägliche Aspekte des palästinensischen Lebens hervorheben, um damit Behauptungen, es gebe Unterdrückung und Unrecht, zu diskreditieren.

Hoher israelischer Lebensstandard als Anreiz

Nadim Nashif, geschäftsführender Direktor von 7amleh – The Arab Center for the Advancement of Social Media – erklärt, dass die zunehmende israelische Präsenz in den arabischsprachigen sozialen Medien darauf abgestellt ist, die hohe Lebensqualität in Israel und damit die Möglichkeiten zu zeigen, die sich der arabischen Welt bieten, sobald sich die Beziehungen vollständig normalisiert haben. «Dieses Phänomen macht deutlich, dass die Beziehungen mit der arabischen Welt enger werden und das Interesse an der palästinensischen Sache abnimmt», führt Nashif aus.

Tatsächlich schlägt die antipalästinensische Rhetorik allmählich Wurzeln im popularen Diskurs auch außerhalb der sozialen Medien. Immer mehr Bewohner*innen der Golfstaaten posten ohne Hemmungen darüber, dass sie Israel unterstützen und des Konflikts mit den Palästinenser*innen müde sind. Für diese «arabischen Zionist*innen», wie sie gemeinhin genannt werden, wird es zunehmend legitim, offen über ihre pro-israelischen Ansichten zu sprechen.

Diese Stimmen werden von der Kritik innerhalb dieser Länder nicht ausgespart, und in einigen Staaten führen pro-israelische Positionen immer noch zur gesellschaftlichen Ächtung (so zum Beispiel in Kuwait). Doch in Ländern, in denen die offiziellen Beziehungen zu Israel zunehmend sichtbar werden, wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten, bleibt auch die öffentliche Meinung nicht dahinter zurück.

Herdenmentalität weit verbreitet

«Das liegt nicht nur daran, dass die Leute hier eine Herdenmentalität besitzen und das unterstützen, was die Regierung unterstützt», erklärt ein Social Entrepreneur, der anonym bleiben möchte, weil er befürchtet, dass seine Gesellschaftskritik seinen Ruf unter Kolleg*innen und in seinem Umfeld schädigen könnte. «Es liegt auch daran, dass solche Äußerungen unter Einwohner*innen der Emirate mittlerweile als akzeptabel angesehen werden. Unterstützung für Israel gilt nicht länger als komisch, es ist eine Haltung, die einem regelmäßig begegnet.» Wie der Interviewpartner schon vermutet, lässt sich die wachsende Popularität des pro-israelischen Diskurses in der Tat darauf zurückführen, dass viele Bürger*innen die Haltung ihrer Regierung übernehmen und dass Bildung zum Palästina-Konflikt in aus den Lehrplänen entfernt wurde. Soziale Medien ermöglichen, dass sich diese Haltungen verbreiten und normalisieren.

Außerdem hat das Embargo gegen Katar (2017 von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Ägypten wegen Katars Unterstützung islamischer Bewegungen verhängt) eine Rolle beim Niedergang des pro-palästinensischen Bewusstseins und Diskurses gespielt, da der in Katar ansässige Sender Al Jazeera (der gegenwärtig in den Emiraten und in Saudi-Arabien gesperrt ist) früher die harte Realität der israelischen Besatzung zeigte, die heute der Bevölkerung der GCC-Länder nicht mehr im selben Umfang zugänglich ist.

Einige wenige Intellektuelle in den Emiraten, die eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel lautstark ablehnen, sehen sich der Kritik durch andere Bürger*innen ausgesetzt und stoßen auf Widerstand, wenn sie für eine Lösung der Palästina-Frage vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen eintreten.

Kritik an Normalisierung zunehmend gefährlicher

In Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo die Regierung regimekritische Bürger*innen einsperren oder sogar foltern kann, wird es zunehmend gefährlich, sich gegen die Normalisierung der Beziehungen mit Israel zu stellen. Seit die Friedensvereinbarung verkündet wurde, haben die Behörden in den Emiraten deutlich gemacht, dass Widerstand gegen die neue Regierungsposition zu Israel nicht geduldet wird. In den Golfstaaten sind die Möglichkeiten der Einwohner*innen, politische Institutionen und Entscheidungen zu kritisieren, eingeschränkt. Dadurch konnte der pro-israelische Diskurs wachsen, ohne einer genaueren Prüfung ausgesetzt zu sein.

Als Reaktion darauf posten auch Palästinenser*innen in den sozialen Medien häufiger über die Beziehungen der Golfstaaten zu Israel und verurteilen ihre Nachbar*innen dafür, die palästinensische Sache aufgegeben zu haben. «Diese Normalisierung zwischen Netanjahu und den Golfstaaten wird schon seit Jahren angestrebt, und zu den Methoden gehören das Aufstacheln gegen die Palästinenser*innen sowie das Schüren von Spannungen zwischen Palästinenser*innen und Golfstaatenbewohner*innen», erklärt Sulaiman Khatib, ein palästinensischer Sozialaktivist und Mitgründer von Combatants for Peace, einer von ehemaligen israelischen Soldat*innen und ehemaligen palästinensischen Kämpfer*innen gegründete Organisation, die sich gegen die israelische Besatzung einsetzt. «Sie benutzen definitiv Stimmen aus den Golfstaaten, um diesen Konflikt hochzuspielen. Ich vertraue aber darauf, dass die Menschen vom Golf am Ende doch Palästina beistehen, so wie sie es auch in der Vergangenheit getan haben.»

Kritische Stimmen online kaum präsent

Während die Befürworter*innen der Besatzung Erfolge dabei feiern, Unterstützung in der Bevölkerung für eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel zu gewinnen, hinken israelische Stimmen, die den Status quo ablehnen und sich für ein Ende der Besatzung einsetzen, in ihren Bemühungen, von der arabischen Blogosphäre wahrgenommen zu werden, hinterher. Auf offizieller wie auf zivilgesellschaftlicher Ebene sind sie innerhalb der Golfstaaten noch kaum präsent. Friedens- und Verständigungsinitiativen in Israel haben bisher erst wenige ihrer Materialien ins Arabische übersetzt, ganz zu schweigen von einer aktiven Präsenz in den konventionellen oder sozialen Medien in arabischer Sprache.

«Die Menschen aus den Golfstaaten haben keine Ahnung, dass Israelis und Palästinenser*innen zusammenarbeiten», bestätigt Aisha al-Ghamdi, die sich von Riad aus für Frauenrechte in Saudi-Arabien einsetzt. «Die Leute sind überzeugt, dass ein Interesse für Israel notgedrungen impliziert, dass man die palästinensische Sache aufgibt oder auf Palästinenser*innen herabblickt. So verhält sich das im Netz, es ist alles sehr schwarz-weiß.»

Die israelische Linke hat ihre Öffentlichkeitsarbeit aus unterschiedlichen Gründen auf die USA und Europa ausgerichtet», erklärt Achiya Schatz, der frühere Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei Breaking the Silence, einer Organisation von Veteran*innen der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte, der es in ihrer Arbeit darum geht, die Alltagsrealität der Besatzung sichtbar zu machen. «Die Palästinenser*innen machen Lobbyarbeit in der arabischen Welt. Sie kennen die Bedingungen viel besser als wir und können ihre eigenen strategischen Entscheidungen darüber treffen, was zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung dort erforderlich ist. Zweitens macht das Fehlen diplomatischer Beziehungen eine solche Aufgabe zu einer Herausforderung und vielleicht sogar sinnlos. Drittens stellt der Autoritarismus der Golfstaatenregime eine offensichtliche Hürde für unser Lager dar, das ja gerade die Menschenrechte betont.»

Friedensschluss mit Palästin gerät ins Hintertreffen

In der Vergangenheit haben unter allen internationalen Interventionen tatsächlich die öffentliche Meinung und Politik in Europa und in den USA den stärksten Einfluss auf den Konflikt gehabt. Nichtsdestotrotz gewinnt die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit dem Golfkooperationsrat für die israelische Führung zunehmend an Attraktivität. Die Netanjahu-Regierung hat unbeirrt auf eine Partnerschaft mit den Golfnationen hingewirkt und nun bewiesen, dass eine Verwirklichung dieser Beziehungen nicht von einem Friedensabkommen mit den Palästinenser*innen abhängt. Die diplomatischen Entscheidungen dieser Nationen wirken sich zunehmend auf die Entwicklung des Konflikts aus und werden auch in Zukunft, wenn die Normalisierung der Beziehungen zur neuen Realität geworden ist, die Natur eines möglichen Abkommens mit den Palästinenser*innen mitbestimmen.

Unterdessen setzt sich im besatzungskritischen Lager allmählich die Einsicht durch, dass man die Bürger*innen der Golfstaaten direkt ansprechen muss, wenn man sie davon überzeugen will, dass Beziehungen zu Israel nicht auf Kosten der Rechte der Palästinenser*innen gehen sollten. Im Juni veröffentlichten drei ehemalige israelische Diplomaten einen Artikel in The National, in dem sie ihre Anerkennung für den Botschafter der Emirate in den USA, Youssef Al Otaiba, ausdrückten, der in der israelischen Zeitung Jedi’ot Acharonot davor gewarnt hatte, dass die Annexion «einen ernsten Rückschritt für Beziehungen mit der arabischen Welt» bedeute.

Ähnlich wurde auch auf einem neuen Twitter-Kanal, «Eine neue Stimme aus Israel», 2020 ein Kurzvideo veröffentlicht, in dem ehemalige Angehörige der Knesset auf Arabisch sprechen und die Annexion und Besatzung ablehnen. Dieses Video hat in den Golfstaaten ein großes Echo unter jungen Nutzer*innen sozialer Medien gefunden, von denen nicht wenige ihrer Überraschung Ausdruck gaben, dass offenbar manche Israelis stärkeres Interesse an der Gründung eines palästinensischen Staats haben als arabische Staatslenker. Talal Alkhanfar aus Kuwait twitterte: «Es ist bedauerlich, dass arabische Stimmen unter dem Vorwand der Zusammenarbeit die Normalisierung zustimmen, während wir israelische Stimmen sehen, die die Annexion des Westjordanlands ablehnen und sich gegen zionistischen Rassismus und für die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates aussprechen».

Solche Initiativen sind nicht nur jung, sondern auch im Nachteil, weil ihnen die Unterstützung seitens offizieller Institutionen in Israel und in den GKR-Staaten fehlt. Dennoch sprechen sie die schweigende Mehrheit junger Khaleejis an, die sich für die potenziellen Vorzüge einer aktiven Beziehung zu Israel und zu den Israelis interessieren, während sie die Verletzung der grundlegenden Menschenrechte der Palästinenser*innen strikt ablehnen. Auf solche Bestrebungen, wenn sie denn befördert und ausgeweitet werden, könnten weitere Stimmen folgen, die vorankommen und eine wirklich verflochtene Region mit Chancen für alle Bewohner*innen schaffen möchten.

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Fastner & Lisa Jeschke für Gegensatz Translation Collective

Katie Wachsberger arbeitet an der Ben Gurion University, wo sie zu Literatur in der arabischen Welt, insbesondere in den Golfstaaten forscht. Ihre Artikel erscheinen regelmäßig auf der Webseite des israelischen Forum for Regional Thinking.