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Der US-Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran gefährdet uns alle

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Dov Khenin - Knesset-Abgeordneter der Gemeinsamen Liste.

Die Menschen in Israel und im ganzen Nahen und Mittleren Osten wachten heute Morgen in einer angespannten Situation auf, nachdem iranische Streitkräfte von Syrien aus israelische Militärposten angriffen und Israel am Morgen mit weiteren Militärschlägen auf iranische Stellungen in Syrien antwortete. Eine Eskalation im Konflikt zwischen dem Iran und Israel scheint unausweichlich.

Wird das Atomabkommen mit dem Iran nach dem US-Ausstieg noch Wirkung zeigen?

Es ist wichtig zu verstehen: Obwohl die meisten Mitglieder der internationalen Gemeinschaft das Atomabkommen mit dem Iran unterstützen und es fortsetzen wollen, droht die Gefahr, dass das Abkommen durch den amerikanischen Ausstieg zusammenbrechen wird. Der Grund dafür ist, dass die Wiedereinführung der US-Sanktionen gegen Unternehmen, die mit dem Iran Geschäfte machen, sie vor die Wahl zwischen dem US-Markt und dem iranischen Markt stellen wird. Die meisten von ihnen werden den wichtigeren großen amerikanischen Markt wählen und in Folge dessen wird die dem Abkommen zugrundeliegende Struktur, nämlich die Aufhebung der Sanktionen als Gegenleistung für iranische Konzessionen in Bezug auf sein Atomprogramm, zusammenbrechen.

Netanjahu und Trump setzen darauf, dass in einem solchen Fall das iranische Regime zusammenbrechen wird. Die meisten Experten sehen dies anders. Iran hat es schon geschafft, sehr umfangreiche und scharfe Sanktionen über viele Jahre hinweg durchzustehen. Und wie wir wissen, stärkt eine Dynamik militärischer Konfrontation gerade Extremisten. Angesichts der äußeren Bedrohung wird auch das iranische Regime in der Lage sein, die Unterstützung des Volkes zu mobilisieren, die es so dringend benötigt.

Der Ausstieg aus dem Atomabkommen wird nicht zum Verschwinden des iranischen Atomprogramms führen, sondern zu dessen Erneuerung und Beschleunigung.

Der Ausstieg aus dem Atomabkommen gefährdet unser aller Sicherheit

Somit bedeutet Trumps Ausstieg aus dem Atomabkommen vor allem, dass Israel und der Iran auf direkten Kollisionskurs gebracht werden. Ein solcher totaler Krieg wäre schrecklich und gefährlich. Wir werden alle dafür sehr teuer bezahlen. Das ist auch der Grund, warum auch die meisten Leute im Sicherheitsestablishment, sowohl in Israel als auch in den USA, dagegen sind, das Atomabkommen aufzuheben.

Der Ausstieg aus dem Atomabkommen gefährdet die Sicherheit von uns allen.

Ebenso wie in der Fernsehserie House of Cards so auch in der Realität: In-den-Krieg-Ziehen ist die ultimative Zuflucht der Herrscher, gegen die Untersuchungsverfahren wegen Korruption laufen. Aber bei Netanjahu ist hier auch eine umfassende Weltanschauung im Spiel. Er ist in der Tat davon überzeugt, dass Israel einzig und allein mittels Gewalt im Nahen Osten agieren kann.

Das war immer Netanjahus Ansatz zum israelisch-palästinensischen und zum israelisch-arabischen Konflikt. Er hat niemals an ein Abkommen geglaubt und hat niemals wirklich versucht, ein Abkommen zu erreichen. Netanjahu ist davon überzeugt, dass der Konflikt unlösbar ist, dass es sich dabei um einen tiefen, historischen Konflikt handelt, eine tektonische Konfrontation zwischen dem Islam und dem Westen. Das einzige, was Israel angesichts dieser Situation seiner Meinung nach machen muss, ist, den gesamten Westen hinter sich zu bringen, um den Kampf zu führen, der seinem Wesen nach unvermeidlich ist.

Nur ein Streben nach Frieden und Abkommen kann Israels Sicherheit gewährleisten

Netanjahu ist von der selben Weltsicht auch in der iranischen Frage getrieben. Er lehnt des Abkommen nicht ab, weil es Schwachstellen hat, sondern weil es ein Abkommen ist. Er ist davon überzeugt, dass die gewaltsame Unterwerfung des Iran der einzig richtige Weg ist. Deshalb tut er alles, um das erreichte Abkommen zu Fall zu bringen und den von den USA geführten Westen zu einer militärischen Konfrontation mit dem Iran zu bringen, an der sich auch Israel aktiv beteiligen würde.

Angesichts dessen ist es heute wichtiger denn je, eine entgegengesetzte Alternative aufzuzeigen: Nur ein konsequentes Streben nach Frieden und Abkommen mit unseren Nachbarn wird Israels Leben, Existenz und Sicherheit in der Region gewährleisten. Das gilt in Bezug auf die Palästinenser*innen und die arabische Welt. Und das gilt auch in Bezug auf die iranische Frage.

Ein gutes Beispiel ist die hoffungsvolle Entwicklung in Korea: Die Zuspitzung auf eine militärische, eventuell sogar nukleare, Konfrontation hin wurde gestoppt, hauptsächlich durch die mutige und weise Politik von Moon Jae-in, dem südkoreanischen Präsidenten. Moon wurde mit einer Agenda des Dialogs und der Verringerung der Spannungen mit Nordkorea in sein Amt gewählt. Von Anfang an arbeitete er darauf hin, den Dialog zu fördern und baute konsequent „Leitern“, die es beiden Seiten ermöglichten, von den hohen Bäumen, auf die sie geklettert waren, herabzusteigen.

Die jüngsten Entwicklungen in Korea zeigen, dass selbst kumulative Spannungen, die bereits einen Explosionspunkt erreicht haben, durch Konsens noch in eine Entspannung umgewandelt werden können. In Korea war die Situation sogar noch explosiver and gefährlicher als im Iran, da es Nordkorea bereits gelungen war, Atomwaffen, einschließlich Wasserstoffbomben, zu bauen. Dennoch gelingt es der richtigen Politik, die Welt vom Rande des Abgrunds zurückzuholen und eine Perspektive auf eine Entwicklung hin zu einer sichereren Welt zu eröffnen.

Netanjahus Politik bietet Israel keine Zukunft

Genau das gleiche muss in der iranischen Frage gemacht werden. Das Atomabkommen mit dem Iran hat die Grundlage für eine solche Entwicklung geschaffen. Deswegen habe ich es befürwortet und tue dies weiterhin. Statt das Regime der internationalen Abkommen zu sprengen, sollte es erweitert werden, auch im Nahen Osten, damit dieser schließlich von allen Atomwaffen befreit wird.

Das ist eine Debatte, die verschärft werden muss. Die harte historische Realität muss der israelischen Öffentlichkeit in aller Schärfe präsentiert werden: Netanjahus Politik stellt eine existenzielle Bedrohung für Israel da, denn Netanjahu führt uns nach Masada. Und wer nicht will, dass dies in einem nationalen Selbstmord endet, muss für die Alternative kämpfen. Hier ist kein Platz für Unentschlossenheit und Wankelmütigkeit. Hier gibt es nur zwei, entgegengesetzte Wege.

Netanjahu und Trump führen uns in den Abgrund. Es ist an der Zeit, aufzustehen und „Halt!“ zu sagen. Lasst uns das Leben wählen und für unsere Anliegen kämpfen.

Übersetzt von Ursula Wokoeck Wollin

Zuerst erschienen auf der linken Webseite Mekomit (Lokalgespräch) https://mekomit.co.il/ am 9. Mai 2018

Dov Khenin ist ein Knesset-Abgeordneter der Gemeinsamen Liste und gehört der sozialistischen Partei Chadasch/al-Dschabha. Die Schwerpunkte des 1958 geborenen Politologen und Juristen sind Umwelt, sozioökonomische Gleichberechtigung, kommunale Verwaltung und jüdisch-arabische Koexistenz. 2008 kandidierte er für das Amt des Bürgermeisters von Tel Aviv und erzielte mit über 34 Prozent einen landesweit beachteten Erfolg.

Weiterführende Links:

- Hana Amoury, Yossi Bartal & Tsafrir Cohen: Gemeinsam anders - Die Gemeinsame Liste und progressive Politik in Israel

- Assaf David: Israel im Nahen Osten, der Nahe Osten in Israel

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