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Wann und wie zerfielen Israels demokratische Räume

Dieser Artikel handelt von verschiedenen Lebensrealitäten und davon, wie diese miteinander verwoben sind. Dafür werden wir wiederholt die interne Grenze in Israel, die sogenannte Grüne Linie [Begriffserklärung siehe Glossar], in beide Richtungen überqueren. Das Echo jüngster internationaler Entwicklungen und des Aufwinds, den autoritäre Regierungen in der ganzen Welt erfahren, hallt in Israel wider und befördert die negativen Trends im Land. Sollte es allerdings gelingen, diese Tendenzen weltweit umzukehren und zurückzudrängen, dann könnte dieser veränderte internationale Kontext eine Schlüsselrolle spielen in der Entwicklung Israels hin zu einer gewaltfreien Gesellschaft, die sowohl allen Israelis als auch Palästinenser*innen Freiheit, Demokratie und die vollen Menschenrechte garantiert.

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Wie ist es um die «israelische Demokratie» bestellt? Nähern wir uns dieser Frage zunächst einmal aus palästinensischer Sicht.

Mai Da’na ist eine Palästinenserin aus Hebron. In einer Winternacht vor zweieinhalb Jahren drangen israelische Soldat*innen in ihr Haus ein. Für palästinensische Familien im von Israel besetzten Westjordanland ist das Alltag: Fast jeder Soldat kann jederzeit die Häuser von Palästinenser*innen betreten. Dafür bedarf es weder eines Durchsuchungsbefehls noch einer anderen rechtlichen Grundlage wie etwa einem «hinreichenden Tatverdacht», nicht einmal eines „Anfangsverdacht“.[1]

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Screenshot von Mai Da’na's video (B'tselem Youtube-Kanal)

In den besetzten Palästinensergebieten ist der von Giorgio Agambens permanente Ausnahmezustand [2] keine bloße Theorie, sondern seit 50 Jahren gelebte Realität. Da’na ist 26 Jahre alt und zusammen mit ihren Kindern hat sie ihr ganzes Leben unter diesen Bedingungen verbracht. Genau genommen ist dieser Zustand fast doppelt so alt wie sie. Um ein Gefühl für die Bedeutung des nackten Lebens zu bekommen, braucht man sich nur ihr Video anzuschauen, das zeigt, wie israelische Soldat*innen in ihre Wohnung eindringen, mitten in einer kalten Nacht die Kinder wecken lassen und sie zwingen, ihre Namen zu nennen.[3]

Anders als Da’na bin ich jüdischer Bürger Israels und lebe im zu Israel gehörenden West-Jerusalem. Mein Schicksal ist daher ein gänzlich anderes – das bezieht sich nicht nur darauf, wer mein Haus betreten darf, das sich nur etwa 30 Kilometer nördlich von Da’nas Zuhause befindet, sondern trifft auf weitere Tausend anderer Aspekte zu, die das Leben der Unterdrückten von dem Leben der Unterdrückenden trennen. Dennoch sind wir räumlich miteinander verbunden – und darum geht es in diesem Text ebenso wie in unserem Leben.

Da’na ist seit einigen Jahren als Freiwillige in B’Tselems Videoprojekt aktiv. Während der letzten zehn Jahre gehörten Frauen immer wieder zu den Besten der insgesamt rund 200 Teilnehmer*innen dieses zivilgesellschaftlichen Journalismusprojekts, das die Realität der Besatzung ungeschminkt aufzeigt[4]. Kaum verwunderlich daher, dass B’Tselem zum zehnjährigen Bestehen des Projekts im August 2017 entschied, die Filmreihe «Palästinensische Frauen von der Ersten Intifada[5] bis heute“(Palestinian Women, from the First Intifada until Today) in der Jerusalem Cinematheque zu zeigen. Präsentiert wurden Filme, die alle von Frauen gedreht wurden, darunter auch das Video von Mai Da’na aus besagter Nacht im Februar 2015.

An und für sich sollte es unproblematisch sein, die Lebensrealitäten der einen Seite der Grünen Linie[6] auf der anderen Seite zu zeigen. Allerdings wurden hier mehr Grenzen überschritten, als es der Transport von ein paar Bildern aus Hebron vermuten lässt.

Folgendes geschah im Anschluss an die Vorführung: Das israelische Kulturministerium schrieb mit großer öffentlicher Resonanz an das Finanzministerium, es möge doch «angesichts des Zeigens von Filmen der B’Tselem-Freiwilligen die Zuwendungen an die Jerusalem Cinematheque prüfen». Formal gründet diese Forderung auf einem 2011 in Israel im Zuge einer früheren Welle «anti-demokratischer Maßnahmen» verabschiedeten Gesetz.[7] Zwar sind seitdem bereits sechs Jahre vergangen, dennoch hat die Kulturministerin Miriam Regev (Likud) erst vor ein paar Monaten eine Kampagne angestoßen, bei der sie mit der vollen Macht ihres Amtes gegen Künstler*innen, Drehbuchautor*innen, Theater und eben auch Kinos vorgeht, die es bei Veranstaltungen, in Theaterstücken oder Filmen wagen, «gegen Israel zu hetzen“.[8] «Aufhetzung» in ihrem Verständnis umfasst bereits, die Wahrheit über Israels Herrschaft über die Palästinenser*innen zu zeigen.[9] Die Ministerin wünscht sich, was sie in wahrhaft Orwell'scher Manier «Mittelfreiheit» nennt, die Freiheit, solche künstlerischen Ausdrucksformen finanziell nicht zu unterstützen, die sich mit dem permanenten nur ein paar Kilometer von der Jerusalem Cinematheque entfernten Ausnahmezustand auseinandersetzen.[10]

02

Auf der israelischen Seite der Grünen Linie genießen die Bürger*innen und dabei insbesondere die jüdischen Bürger*innen gewohnheitsmäßig ihre Meinungsfreiheit. Im besetzten Palästina hingegen war mit der Meinungsfreiheit schon zwei Monate nach Beginn der Besatzung, also im August 1967, Schluss. Seitdem herrscht, mit gewissen Änderungen die Militäranordnung 101 des israelischen Zentralkommandos «über das Verbot von Aufhetzung und feindlicher Propaganda».[11] Grundlage ist, dass Palästinenser*innen im Kern kein Demonstrationsrecht und kein Recht auf Meinungsfreiheit haben. Selbst gewaltfreier Widerstand und ziviler Protest in der Form friedlicher Versammlungen ist ihnen verboten. Seit 50 Jahren definieren wir fast jedwede palästinensische Opposition gegen Israels Besatzung als Aufhetzung, während wir ihnen Grundfreiheiten wie die Meinungsfreiheit verweigern. Wen kann es da noch überraschen, dass eine Filmreihe, die das Besatzungsregime zum Thema hat, als hetzerisch eingestuft und die Redefreiheit von Israelis infrage gestellt wird?

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Protest gegen die Kulturministerin Miri Regev. Tel Aviv, 2015. Foto: Activestills

In der Tat schrumpft in Israel derzeit der Raum für eine offene Gesellschaft. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Israel westlich der Grünen Linie können nicht mehr länger erwarten, frei arbeiten zu dürfen. Nur schwerlich lässt sich angesichts dieses Prozesses ein bitteres, ironisches Gerechtigkeitsempfinden verhindern. Der Arbeitskontext für israelische und palästinensische NGOs – sowie für israelische und palästinensische Aktivist*innen – wird nun zunehmend ähnlicher, aber nicht etwa, weil der zivilgesellschaftliche Raum im besetzten Palästina größer würde, sondern weil er im besetzenden Israel kleiner wird.

Für die seit Jahrzehnten unter unserer Herrschaft lebenden Palästinenser*innen ist so etwas wie demokratischer Spielraum natürlich schon vor langer Zeit zu einem Fremdwort geworden. Millionen von Nicht-Bürger*innen unterliegen unseren militärischen Dekreten, die ihnen die Bürgerrechte verwehren. In diesem Kontext sind die fast alltäglich in palästinensischen Häusern durchgeführten Razzien nur ein Beispiel dafür, wie man Menschen auf ihr nacktes Leben reduzieren kann. Israel kann hier, um nur ein paar Beispiele zu nennen, ohne rechtliche Konsequenzen[12] durch administrative und völlig willkürliche Entscheidungen darüber bestimmen, ob Menschen ins Ausland reisen[13], eine Arbeitsgenehmigung erhalten[14], heiraten[15], Zugang zu ihrem Land bekommen[16] oder ein Haus bauen[17] können. [18]

Aber an der Türschwelle zu diesem Abgrund nur ein paar Kilometer weiter ist das Trugbild einer westlichen Demokratie wohlauf. Noch 2008 hieß es etwa im Israel National Report, einem Bericht, den Israel im Zuge des Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahrens des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen eingereicht hat, stolz: «Israel hat eine offene, lebendige und pluralistische Zivilgesellschaft, die aktiv Probleme anspricht und das Regierungshandeln hinterfragt. Die Regierung befindet sich im Austausch mit zahlreichen NGOs.» [19]

Nicht einmal ein Jahrzehnt später ist es in Israel von der Ebene des Premierministers abwärts heute gang und gäbe, NGOs, die sich gegen die Besatzung positionieren, des Hochverrats zu bezichtigen und sie als Lakaien ausländischer Mächte zu diffamieren. Der neue Normalzustand unserer Realität ist eine Mischung aus permanenter Einschüchterung, Infiltrierung und gesetzlicher Regulierung.[20] An die Stelle des Bemühens, wenigstens den Anschein demokratischer Formen zu wahren, ist der Ehrgeiz getreten, einer jubelnden Öffentlichkeit zu zeigen, dass man sich von der «Fünften Kolonne» nichts gefallen lässt.

Damit fügt sich das Agieren der Kulturministerin in ein Mosaik vieler ähnlicher Initiativen ein. Zusammen sorgen sie dafür, dass der Raum für freie Meinungsäußerung und Kritik der Zivilgesellschaft immer kleiner wird. Dieser Prozess fand in Israel vor allem in den letzten sieben Jahre statt, zeitgleich mit ähnlichen Entwicklungen in Ländern wie Ungarn, Indien und der Türkei. Der sich in Jerusalem breit machenden Autoritarismus wird selbst an einem so fernen Ort wie Berlin wahrgenommen. Im Juni 2017 sagte ein Sprecher des deutschen Außenministeriums, dass Ungarn sich mit einem Gesetz, das ausländische Zuwendungen an NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen verbietet, «in eine ganze Reihe von Staaten wie Russland, China und Israel ein[reiht], für die die Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen, von zivilgesellschaftlicher Arbeit durch Geber aus dem Ausland offensichtlich als ein feindlicher, jedenfalls als ein unfreundlicher Akt empfunden wird.»[21] Ein paar Monate später wurde Israel im jährlichen «Repressalienbericht» des UN-Generalsekretärs, «Cooperation with the United Nations, its representatives and mechanisms in the field of human rights», genannt.[22]

03

Von allen Maßnahmen, die darauf abzielen, israelische Menschenrechtsorganisationen an die Kette zu legen, war die durchschlagendste wohl die, sie von ausländischen Mitteln abzuschneiden. Jedoch konnte die Regierung nicht einfach ein Gesetz verabschieden und im Nachtrag eine Liste unerwünschter Gruppen anfügen, das wäre zu offenkundig gewesen. Bis sich die Behörden auf ein Kriterium einigen konnte, mit dem man die unerwünschten Gruppierungen gezielt schwächen kann – ein hoher Anteil von «Zuwendungen seitens ausländischer Staaten» –, hat es deshalb etliche Jahre gedauert und ein paar legislative Durchgänge gebraucht. Der Hintergrund ist, dass in Israel die Finanzierung aus dem Ausland auf allen Ebenen weit verbreitet ist. So erhält etwa die israelische Armee großzügig Gelder aus den USA und israelische Forschungseinrichtungen genießen einen einzigartigen Zugang zu EU-Förderprogrammen. Auch Krankenhäuser, Universitäten, Schulen, Museen, Wohlfahrtsverbände, Siedlergruppen, Menschenrechtsorganisationen und viele weitere Einrichtungen erhalten sehr viel Mittel von internationalen Spendern und Sponsoren.

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Protest gegen das "NGO-Gesetz" Tel Aviv, 2015. Foto: Activestills

Diejenigen NGOs, die von ausländischen Botschaften, der UN und anderen internationalen Institutionen Geld erhalten, bekommen dies aus offensichtlichen Gründen tendenziell eher für die Förderung der Menschenrechte und nicht für ihr Loblied auf die Besatzung. Macht man also für NGOs zum Kriterium, wie groß der Anteil der Finanzierung aus solchen Quellen ist, ergibt sich de facto eine Liste derjenigen NGOs, die im Visier der Regierung stehen, ohne dass diese ausdrücklich in einer Liste erfasst werden müssten.

Diese Logik stand auch Pate bei Israels jüngsten Reformen des Gemeinnützigkeitsrechts. Eine 2016 verabschiedete Änderung[23] sah vor, dass NGOs, die 50 Prozent oder mehr ihrer Zuwendungen von «ausländischen staatlichen Akteuren» erhalten, sich ab 2018 (basierend auf Finanzdaten des Jahres 2017) faktisch selbst zu ausländischen Agenten erklären müssen. Zunächst wurde die Änderung als «Transparenz schaffende» Maßnahme verkauft[24] – seit seiner Verabschiedung hat das Gesetz jedoch als Vorlage für weitere Gesetze[25] gedient, die mit «Transparenz» rein gar nichts mehr zu tun haben und viel mehr ganz (im eigentlichen Sinne des Wortes) darauf aus sind, Menschenrechtsorganisationen weiter öffentlich bloßzustellen und zu gängeln und zu schikanieren.

Diese Gesetzesänderung (meist Transparenzgesetz genannt) beschränkt ausländische Zuwendungen nicht direkt. Im Juni 2017 jedoch bestätigte der Premierminister öffentlich, dass er Minister Yariv Levin mit der Ausarbeitung eines neuen Gesetzes beauftragt habe, das die Möglichkeit von Zuwendungen ausländischer Regierungen an israelische gemeinnützige Organisationen blockieren würde; eine Maßnahme, die ausdrücklich auf Menschenrechtsorganisationen abzielt, die sich gegen die Besatzung positionieren.[26] Die Gründe der Regierung, die in ihrem Gesetz vom Vorjahr keine Beschränkung von Zuwendungen durch ausländische Regierungen vorgesehen hatte, jetzt ihre Position zu ändern und durch ein neues Gesetz diese Form von Finanzierung zu unterbinden, erklärte Minister Levin in der Tageszeitung Haaretz. Levin verwies dabei auf die Rolle der neuen Regierung in Washington: «Während der Regierung Obama hätten wir das nicht machen können. Sie waren von dem Gesetz gar nicht begeistert. Aber die jetzige US-Regierung hat mit diesem Gesetz überhaupt kein Problem.»[27]

04

Palästinenser*innen können die Grüne Linie in Richtung Israel nicht ohne Weiteres überschreiten. Sie brauchen hierfür Sondergenehmigungen: um zu arbeiten, um sich medizinisch versorgen zu lassen, für was auch immer. Autoritäres Denken benötigt jedoch keine Papiere, grünes Licht von den entsprechenden Stellen reicht völlig aus. Ähnlich scheint der Wind aus Washington auf beiden Seiten der Grünen Linie spürbar zu sein. Nur ein paar Wochen nach Minister Levins Aussagen griff Verteidigungsminister Liebermann zu einer fast identischen Sprache, nur dass er sich jetzt auf mögliche Aktionen jenseits der Grünen Linie bezog. Ihm ging es um die Möglichkeit, palästinensische Dörfer wie Khan al-Ahmar östlich von Jerusalem und Susiya in den South Hebron Hills einfach abzureißen.[28]

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Solidaritätsdemo für das von Räumung bedrohte Dorf Susiya, Westbank, 2014. Foto: Activestills

Auch Mai Da’nas Video hat die Grüne Linie überquert. Im Israel des Jahres 2017 führte seine Ausstrahlung vor einem bescheidenen Publikum von etwa 100 Zuschauer*innen zur staatlichen Überprüfung einer angesehenen israelischen kulturellen Institution, und zwar auf eine Weise, die Erinnerungen an die McCarthy-Ära in den USA weckt. Die Unterdrückung der Palästinenser*innen verlangt jetzt auch eine stärkere Unterdrückung der Israelis. Unsere Schicksale sind miteinander verwoben.

Ähnlich verhält es sich mit den internationalen Mechanismen, die diese Entwicklungen bisher zu einem gewissen Grad bremsen konnten. Nicht nur sind es viele internationale Akteure gewohnt, sich an Washington zu orientieren – wo jetzt Trump regiert –, Israels Regierung fühlt sich zusätzlich von den weltweit erstarkenden autoritären Kräften in seinem Kurs bestätigt. Angesichts dieser Zustände gibt es keine einfachen Lösungen und die Aussichten sind oft trübe.

So bedrohlich diese Entwicklungen innerhalb Israels auch sein mögen, sie sind nicht der Grund, weshalb Israel nicht als Demokratie angesehen werden kann. Hierfür dürfen wir unseren Blick nicht auf die Ereignisse der letzten Jahre beschränken, sondern müssen auf das vergangene halbe Jahrhundert schauen. Abgesehen von den ersten 19 Jahren herrscht Israel bereits seit seiner Gründung als unabhängiger Staat über Millionen von Palästinenser*innen, indem es ihnen ihre politischen Rechte vorenthält. Dies ist der Grund dafür, dass Israel keine Demokratie ist, und zwar schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Wir erleben eine Realität, in der die Ein-Staaten-Lösung zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer einen permanenten Ausnahmezustand etabliert, der Millionen von Menschen in zwei Kategorien unterteilt: in Unterdrückende mit politischen Rechten und in Unterdrückte, denen diese Rechte verwehrt werden.

Damit kommen wir zu dem Punkt, um den es mir wirklich geht. Die globale autoritäre Wende ist real. Wer das nicht glaubt, braucht sich nur Netanjahu, Trump, Modi, Orban[29] und die vielen weiteren Kandidaten, die Aufnahme in diesen Club begehren, anzuhören. Es ist keineswegs gesagt, dass dies die einzige Wende sein wird, die wir im 21. Jahrhundert erleben. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist eine viel zu kostbare und aus unvorstellbarem menschlichem Leid geborene Errungenschaft. Wir wissen, was auf dem Spiel steht. Wir könnten also auch zusammenstehen für die Umsetzung der «gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen», damit «die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt» so fest ist, wie sie sein muss. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht, nur die Gewissheit, dass dies eine Zukunft wäre, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Übersetzt von Tim Jack, lingua•trans•fair

Zuerst erschienen im Sur - International Journal of Human Rights.

Hagai El-Ad ist Direktor von B’Tselem, des Israelischen Informationszentrums für Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten. Zuvor war er Direktor der Association for Civil Rights in Israel (ACRI, 2008–2014) und des Jerusalem Open House for Pride and Tolerance (2000–2006). Im Jahr 2014 war El-Ad unter den „100 Leading Global Thinkers“ des US-Magazins Foreign Policy. 2016 sprach er vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und rief zu internationalem Druck zur Beendigung der israelischen Besatzung der Palästinensergebiete auf.

Weiterführende Links:

Dossier 50 Jahre Besatzung

• Tsafrir Cohen: Der Konflikt nützt den Regierenden

• Vereinigung für Bürgerrechte in Israel (Association for Civil Rights in Israel - ACRI) Dokumentiert: Menschenrechtsbericht Israel 2018

Weiterführende Literatur:

• Asseburg, Muriel und Busse, Jan, Der Nahostkonflikt. Geschichte, Positionen, Perspektiven, München 2016.

• Cohen, Tsafrir, Hartmann, Mieke & Konas, Tali (Hrsg.), ISRAEL – ein Blick von innen heraus; Debattenbeiträge zu Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Ein Reader der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Berlin 2017.

• Khalidi, Rashid. The iron cage: The story of the Palestinian struggle for statehood. Boston 2007.

• Shavit, Ari: Mein gelobtes Land. Triumph und Tragödie Israels, München 2015.

• Sterzing, Christian & Böhme, Jörn, Kleine Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts, 8. überarbeitete, erweiterte & aktualisierte Auflage, 2018.

• Wasserstein, Bernard, Israel und Palästina: Warum kämpfen sie und wie können sie aufhören?, München 2009.

• Weizman , Eyal, Sperrzonen – Israels Architektur der Besatzung, Edition Nautilus 2009.

• Zertal, Idith und Eldar, Akiva, Die Herren des Landes. Israel und die Siedlerbewegung seit 1967, München 2007.

Anmerkungen:

[1] „Ein Offizier oder Soldat ist allgemein wie auch im besonderen Fall befugt, jederzeit Orte, Boote, Fahrzeuge oder Flugzeuge zu betreten, bei denen Grund zur Annahme besteht, dass sie gegen den öffentlichen Frieden, die Sicherheit der israelischen Armee IDF, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung eingesetzt wurden oder werden bzw. Aufstand, Revolte und Randale dienen bzw. wenn es Grund zur Annahme gibt, dass sich dort eine Person befindet, die gegen diese Bestimmung verstoßen hat bzw. es dort Waren, Objekte, Tiere, Dokumente gibt, die im Rahmen dieser Bestimmungen zu beschlagnahmen sind; und sie sind autorisiert, Orte, Fahrzeuge, Boote oder Flugzeuge zu durchsuchen sowie auch jede Person, die sich dort aufhält oder diese verlässt“ “Order Regarding Security Provisions (Consolidated Version) (Judea and Samaria) (No. 1651), 5770-2009,” No Legal Frontiers, 1. November 2009, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, Abschnitt 67, nolegalfrontiers.org/military-orders/mil019ed2.html?lang=en.

[2] Siehe Giorgio Agamben, State of Exception (Chicago: University of Chicago Press, 2005): 1-112, in dem er untersucht, wie Staaten scheinbare Krisen oder Ausnahmezustände zum Abbau von Rechten nutzen.

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[4] Seit 2007 werden im Rahmen von B’Tselems Filmprojekt Videokameras an palästinensische Freiwillige im Westjordanland verteilt und Schulungen organisiert. Das Projekt ist zu einem der erfolgreichsten seiner Art weltweit geworden. Weitere Informationen und Hintergründe, Beispielvideos und mehr finden sich auf „B’Tselem’s Camera Project“, B’Tselem, 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, https://www.btselem.org/video/about-btselem-video

[5] Die erste Intifada, der palästinensische Aufstand gegen die israelische Besatzung, begann 1987, die zweite im September 2000.

[6] Die Grüne Linie, Israels Waffenstillstandsgrenze von 1949 mit seinen Nachbaren, wird oft als die Grenze vor 1967 bezeichnet. Israels territoriale Zugewinne im Jahr 1967 über die Grüne Linie hinaus sind die besetzten Gebiete.

[7] Haushaltsgesetz (Änderung 40), „Reducing Budget or Support for Activity Contrary to the Principles of the State”. Weitere Hintergrundinformationen finden sich in: „The Nakba Law“, The Association for Civil Rights in Israel, 9. November 2011, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.acri.org.il/en/knesset/nakba-law/.

[8] Anfang 2016 machte sich Ministerin Regev für ein „Gesetz zur Staatstreue in der Kultur“ stark. Allerdings endete dieses Gesetz in der Schublade, nachdem das Finanzministerium zugesagt hatte, stärker auf die Durchsetzung der genannten Änderung 40 zu achten. Regev bezichtigte Künstler*innen jedoch weiterhin, Israel nicht treu zu sein, gegen den Staat zu hetzen oder beides. Im September 2017 etwa rief sie die Polizei dazu auf, aufgrund einer Solidaritätsveranstaltung mit der palästinensischen Dichterin Tatour Ermittlungen gegen das Jaffa Theatre einzuleiten. Dareen Tatour ist Bürgerin Israels und steht seit Ende 2015 unter Hausarrest. Für ihr Gedicht „Qawem Ya Shaabi Qawemahum“ (Leiste Widerstand mein Volk, widerstehe ihnen) soll ihr wegen Aufhetzung gegen Israel der Prozess gemacht werden.

[9] Etwa im September 2017 sagte Ministerin Regev: „Es ist unerhört, dass israelische Künstlerinnen und Künstler die junge Generation durch Lügen im Gewand der Kunst gegen die moralischste Armee der Welt aufhetzen.“

[10] Finanzielle Zuwendungen der Regierung an kulturelle Institutionen, insbesondere durch das Kulturministerium, sollen frei von politischer Wertung geschehen. Im Januar 2016 sagte Ministerin Regev, dass sie „eine Schwächung des Staates nicht erlaube, insbesondere wenn diese durch öffentliche Gelder finanziert sei“.

[11] „Israel Defense Forces Order No. 101, Order Regarding Prohibition of Incitement and Hostile Propaganda Actions“, B’Tselem, 27. August 1967, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, https://www.btselem.org/download/19670827_order_regarding_prohibition_of_incitement_and_hostile_propaganda.pdf.

[12] Siehe diese drei Berichte von B’Tselem: „The Occupation’s Fig Leaf: Israel’s Military Law Enforcement System as a Whitewash Mechanism“, B’Tselem, Mai 2016, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.btselem.org/publications/summaries/201605_occupations_fig_leaf; „Whitewash Protocol: The So-Called Investigation of Operation Protective Edge“, B’Tselem, September 2016, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.B’Tselem.org/publications/summaries/201609_whitewash_protocol; sowie, „Getting Off Scot-Free: Israel’s Refusal to Compensate Palestinians for Damages Caused by Its Security Forces“, B’Tselem, März 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, http://www.btselem.org/publications/summaries/201703_getting_off_scot_free.

[13] „Israel Bars Thousands of Palestinians from Traveling Abroad; Many Other Don’t Even Bother to Make the Attempt“, B’Tselem, 15. Mai 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, https://www.btselem.org/freedom_of_movement/20170515_thousands_of_palestinians_barred_from_traveling_abroad

[14] „Crossing the Line: Violation of the Rights of Palestinians in Israel without a Permit“, B’Tselem, März 2007, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.btselem.org/publications/summaries/200703_crossing_the_line. Siehe auch: „Israel Deliberately Forces Inhuman Conditions on Palestinians Working in the Country by Permit“, B’Tselem, 31. Juli 2016, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.btselem.org/workers/20160731_inhuman_conditions_in_checkpoints.

[15] Siehe den gemeinsamen Bericht: „So Near and Yet So Far: Implications of Israeli-Imposed Seclusion of Gaza Strip on Palestinians’ Right to Family Life“, Hamoked und B’Tselem, Januar 2014, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.btselem.org/publications/summaries/201401_so_near_and_yet_so_far.

[16] Siehe den Bericht: „Access Denied: Israeli Measures to Deny Palestinians Access to Land Around Settlements“, B’Tselem, September 2008, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.btselem.org/publications/summaries/200809_access_denied; sowie „Expel and Exploit: The Israeli Practice of Taking over Rural Palestinian Land“, B’Tselem, Dezember 2016, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.btselem.org/publications/summaries/201612_expel_and_exploit.

[17] „Restrictions on Palestinian Planning and Construction in Area C“, B’Tselem, 30. Oktober 2013, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.btselem.org/planning_and_building/restrictions_on_palestinian_planning_and_building.

[18] Eine breitere Perspektive bietet die Ansprache des Autors vor den Vereinten Nationen im Rahmen einer Diskussion über die Siedlungen „Hagai El-Ad’s Address in a Special Discussion About Settlements at the United Nations Security Council“, B’Tselem, 14. Oktober 2016, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.btselem.org/settlements/20161014_security_council_address.

[19] „Israel“, UPR Info, Dezember 2008, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.upr-info.org/en/review/Israel/Session-03---December-2008/National-report.

[20] Siehe „Report of the Special Rapporteur on the Situation of Human Rights in the Palestinian Territories Occupied Since 1967, Michael Lynk“, A/HRC/34/70, Human Rights Council, 16. März 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/RegularSessions/Session34/Documents/A_HRC_34_70_AUV.docx, der die zunehmend feindselige Atmosphäre für Menschenrechtsverteidiger*innen aufzeigt, die thematisch zu den besetzten Gebieten arbeiten.

[21] Georgi Gotev, „Germany Voices ‘Great Concern’ Over Hungarian NGO Law.“ Euractiv, 15. Juni 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.euractiv.com/section/central-europe/news/germany-voices-great-concern-over-hungary-ngo-law/.

[22] „Cooperation with the United Nations, its Representatives and Mechanisms in the Field of Human Rights“, Human Rights Council, A/HRC/36/31, 15. September 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/RegularSessions/Session36/Documents/A_HRC_36_31.docx; Barak Ravid, „Netanyahu Slams Human Rights NGO B’Tselem for Joining ’Chorus of Slander’ Against Israel.“ HAARETZ, 16. Oktober 2016, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.haaretz.com/israel-news/1.747653; Jonathan Lis, „Coalition Chairman Threatens to Strip Citizenship of Israeli Activist Who Criticized Occupation at UN.“ HAARETZ, 21. Oktober 2016, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.haaretz.com/israel-news/1.748609.

[23] „Law Requiring Disclosure by NGOs Supported by Foreign Governmental Entities (Amended) – 2016“, The Association for Civil Rights in Israel, 2016, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, https://www.acri.org.il/en/wp-content/uploads/2016/07/Summary-of-NGO-Law.pdf. Weitere Hintergrundinformationen finden sich in: „Update – NGO Law Approved by the Knesset“, The Association for Civil Rights in Israel, 11. Juli 2016, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.acri.org.il/en/2016/07/11/update-ngo-law-passed/.

[24] Transparenz war nie das eigentliche Problem, da sämtliche Spenden über 20.000 NIS (in etwa 5.700 US$) an israelische NGOs laut Gesetz einmal pro Jahr öffentlich gemeldet werden müssen. Zudem sind Zuwendungen ausländischer staatlicher Organisationen seit 2011 vierteljährlich zu melden: „Proposed Bill on Disclosure Requirements for Recipients of Support from a Foreign State Entity, 5770-2010“, The Association for Civil Rights in Israel, 2014, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.acri.org.il/pdf/bill5770.pdf.

[25] Siehe: Hagai El-Ad, „The Only Democracy… Right.“ Jerusalem Post, 30. März 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.jpost.com/Opinion/The-only-democracy-right-485702.

[26] „Israel to Develop Law Limiting Foreign Gov’t Funding to Left-wing NGOs“, i24NEWS, 12. Juni 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.i24news.tv/en/news/israel/147706-170612-israel-to-develop-law-limiting-foreign-gov-t-funding-to-left-wing-ngos.

[27] Yossi Verter, „Why Netanyahu Suddenly Renewed His Assault on Human Rights Groups.“ HAARETZ, 18. Juni 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.haaretz.com/israel-news/.premium-1.796041.

[28] „The Obama administration strongly opposed the eviction, but it appears the Trump administration has been much less involved in the issue“, zitiert nach Yotam Berger, „Israeli Defense Chief Blasts Radical Settler Youth as ’Disturbed Idiots’.“ HAARETZ, 29. August 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.haaretz.com/israel-news/1.809627.

[29] Krisztina Than, „Hungary, Israel Seek Closer Ties as Orban Campaign Unnerves Jews.“ Reuters, 17. Juli 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.reuters.com/article/us-hungary-israel/hungary-israel-seek-closer-ties-as-orban-campaign-unnerves-jews-idUSKBN1A214O. Bei einem Treffen im Juli 2017 in Budapest der Premierminister Ungarns, Tschechiens, Polens und der Slowakei, sagte Premierminister Netanjahu: „Dies ist eine seltsame Situation. Die Europäische Union ist die einzige Gruppe von Staaten in der Welt, die ihre Beziehungen zu Israel an politische Bedingungen knüpft … Das ist verrückt. Wirklich verrückt … Wir haben eine besondere Beziehung zu China. Und denen ist das egal. Sie scheren sich nicht um politische Fragen.“ Darauf antwortete der ungarische Premier: „Herr Netanjahu, die Europäische Union ist sogar noch viel einzigartiger als Sie glauben. Die EU knüpft nicht nur Bedingungen an Länder, die nicht in der EU sind, sondern sogar an die, die schon Teil von ihr sind.“ In: Barak Ravid, „Netanjahu Launches Blistering Attack on EU: ’Their Behavior Toward Israel Is Crazy’.“ HAARETZ, 19. Juli 2017, zuletzt zugegriffen am 27. November 2017, www.haaretz.com/israel-news/1.802143.

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